In Kasan, einer Millionenstadt im Südwesten von Russland, soll das kleine Wunder gelingen, denn die deutschen Florettfechterinnen wollen am Wochenende doch noch das Ticket zu den Olympischen Spielen in Tokio lösen. Beim letzten Mannschaftsweltcup im Qualifikationszeitraum muss das Quartett aus dem Bundesstützpunkt Tauberbischofsheim dafür aber mindestens ins Halbfinale kommen und wahrscheinlich sogar Dritter werden, um die beiden Konkurrenten Ungarn und Polen in der Weltrangliste noch zu überholen.
Ein derart gutes Ergebnis ist der Würzburgerin Leonie Ebert, Anne Sauer, Carolin Golubytskyi (alle Future Fencing Werbach) und Eva Hampel (FC Tauberbischofsheim) aber lange nicht gelungen. Rang vier bei der Europameisterschaft in Düsseldorf, wo naturgemäß die Topnationen USA und Japan fehlten, war das beste Resultat in der Olympia-Qualifikation. Die mageren Plätze acht (Kairo), zehn (St. Maur/Frankreich) und neun (Kattowitz) bei den drei letzten Mannschaftsweltcups brachten die Mannschaft vorentscheidend ins Hintertreffen.
Ein wenig Pech war auch dabei. Bei allen drei Turnieren trafen die Deutschen früh auf Angstgegner Polen, aber nur einer der drei Vergleiche wurde gewonnen. "Polen liegt uns einfach nicht. Es war hart, immer so knapp zu verlieren", sagt Leonie Ebert. Für Sven Dressel, den Sportdirektor des Deutschen Fechter-Bundes (DFeB), war "die Konzentration auf den unmittelbaren Konkurrenten zu stark. Der Fokus auf die eigene Leistungsfähigkeit hat gefehlt. Warum soll diese Mannschaft nicht einmal Italien oder Russland schlagen? Gut genug dafür ist sie."
"Jetzt heißt es alles oder nichts. Wir werden angreifen."
Fechterin Leonie Ebert
Die Ungarinnen haben es vorgemacht, dass es möglich ist, in die Phalanx der führenden Nationen einzubrechen. In Kairo wurde mit einem Sieg gegen Frankreich das Halbfinale erreicht. Nun hat Ungarn als Weltranglistenachter sogar die beste Ausgangsposition vor Polen (9.) und Deutschland (10.), den Sprung nach Tokio zu schaffen. Neben den besten vier Nationen (Russland, Italien, Frankreich, USA) erhält nur der Beste pro Kontinent einen Startplatz. Ebert gibt sich kampfeslustig vor Kasan: "Wir haben noch eine Chance. Jetzt heißt es alles oder nichts. Wir werden angreifen." In der Mannschaft herrsche weiter die nötige Harmonie, Bundestrainer Giovanni Bortolaso mache keinen zusätzlichen Druck. "Er will, dass wir frei fechten. Man braucht diese Lockerheit, um gut zu sein", sagt Ebert.
Moralische Unterstützung gibt es durch Sportdirektor Dressel, der in Kasan selbst vor Ort sein wird. Eigentlich hatte der Verband damit gerechnet, nach der Pleite von Rio 2016, als nur vier Einzelfechter am Start waren, mit drei von sechs Mannschaften in Tokio vertreten zu sein. Für die Säbel-Herren und die Florett-Herren sieht es nach wie vor gut aus. Die wackelnden Florett-Damen haben sich bei zwei gemeinsamen Trainingslagern mit den Herren in Bonn noch einmal ein Plus an Wettkampfhärte geholt. Von "ziemlich vielen blauen Flecken" berichtete Anne Sauer auf Instagram, aber sie und ihre Teamkolleginnen fanden die Spezialeinheiten ziemlich gut.
Ebert wird es als Einzelstarterin schaffen
Klappt es nicht mit der Mannschaft, wird es viele Tränen geben, möglicherweise personelle Einschnitte - und nur Ebert wird als Einzelstarterin in Tokio dabei sein. Die zwei besten Fechterinnen aus Europa, die nicht über das Team qualifiziert sind, erhalten einen Quotenplatz. Die Würzburgerin ist in der Weltrangliste zwar auf Rang elf zurückgefallen, hat in dieser Wertung aber so gut wie keine Konkurrenz. Mit Platz zehn beim Turnier in Turin sammelte sie vor zwei Wochen zudem neues Selbstvertrauen. Zwei Mal war sie zuvor in der Runde der letzten 32 an der Italienerin Martina Batini gescheitert, mit deren Größe die Würzburgerin nicht zurechtkam: "Sie greift von weit draußen an, ich konnte kein Gefecht aufbauen. Aber daran darf man nicht verzweifeln."
DFeB-Sportwart Ressel macht sich um das größte deutsche Talent bei den Frauen keine Sorgen. "Man sollte die Erwartungen an Leonie nicht so stark nach vorne schieben. Sie ist 20, hat großes Potenzial und wird ihren Weg machen. Aber man kann noch nicht permanente Top-acht-Platzierungen von ihr erwarten."