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SCHACH: Was die Körpersprache verrät

SCHACH

Was die Körpersprache verrät

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    Wenn Jürgen Müller den Ausgang einer Schachpartie prognostizieren soll, dann blickt der 43-Jährige nicht unbedingt auf das Brett mit den 64 weißen und schwarzen Feldern, sondern unter den Tisch. „Übergeschlagene Beine sind fast immer ein Zeichen für eine drohende Niederlage“, sagt Müller. „Die Fußstellung verrät, wie sich ein Spieler fühlt.“ Zeit und Gelegenheit, auf solche Details zu achten, hatte der Spielleiter des Unterfränkischen Schachverbands zuletzt hinreichend: Er war Turnierverantwortlicher für die 61. unterfränkische Meisterschaft, die nach 1956 zum zweiten Mal in Kitzingen ausgespielt wurde. Sechs Tage am Stück und neun Runden lang saßen 79 Teilnehmer zwischen 13 und 83 Jahren in der Florian-Geyer-Halle. Müller, der aus Kleinbardorf im Grabfeld kommt, war der Schiedsrichter. Der Datenverarbeitungsleiter einer Gewürzmühle ist für den Weltschachbund auch international im Einsatz: Im Februar etwa war er zu den Schachmeisterschaften nach Moskau gereist.

    „Die Atmosphäre in Kitzingen ist sehr ruhig“, sagte Müller während des Turniers. „Die Spieler sind emotional angespannt, aber untereinander fair.“ Was nicht hieß, dass es keine Diskussionen gab. Beim Blitzschach-Wettbewerb am Mittwochabend zum Beispiel, in dem jeder Spieler pro Runde fünf Minuten Zeit für seine Züge hatte, musste Müller durchaus schlichten. Einmal war auf beiden Seiten die Uhr bis null gelaufen, was bei den Beteiligten eine Debatte über das Ergebnis auslöste. Einige Zeit später gab es sogar einen kleinen Eklat – für Schachkreise zumindest: Ein Spieler empörte sich über sein Gegenüber. „Das ist flegelhaft“, sagte der streitbare Senior und wiederholte es mehrmals, nachdem der Konkurrent während der Partie – auch das ist zulässig – von seinem Stuhl aufgestanden war. „Wenigstens sind keine Fäuste geflogen“, sagte ein Beobachter süffisant. Jürgen Müller half selbst demjenigen, der seinen Gegner suchte: An einem der 41 nummerierten Tische war es für einige Züge zu einer falschen Paarung gekommen, weil ein Spieler den verkehrten Platz gewählt hatte. Sein vorgesehener Partner saß derweil alleine vor dem Brett. Schach ist im Vergleich zu anderen Sportarten statisch und liefert keine spektakulären Motive für Fotografen, doch solche Anekdoten sind Stoff für Geschichten.

    „Bei uns begegnen sich alle auf Augenhöhe, und jeder ist ein Exzentriker, weil der Klischee-Schachspieler nicht existiert.“

    Jürgen Müller, Turnierleiter

    Wenn herkömmliche Schachspiele, die bis zu sechs Stunden dauern, ein Marathon sind, dann ist Blitzschach der 100-Meter-Lauf. Züge im Sekundentakt belegen den Kampf gegen die Zeit und erinnern den Laien an eine wilde Zockerei. Mancher entlädt beim Schlagen des Kippschalters auf der Digitaluhr, welches die friedliche Stille im Raum durchsticht, ein heimliches Aggressionspotenzial. Rüde kann es auch werden, wenn Unterhaltungen anderer zum Störfaktor werden. „Ruhe dahinten, verdammte Scheiße!“, zischte es durch die Halle, als ein Teilnehmer für einen Moment seine Contenance aufgab. Selbst profane Sportarten wie Fußball sind für Schachspieler attraktiv. Deshalb war im Foyer der Florian-Geyer-Halle eine Leinwand aufgebaut. Während der Begegnung Bayern Münchens in Manchester einigte sich mancher mit seinem Kontrahenten kurzerhand auf ein Remis, um nach einem Tor an den Bildschirm zu rennen.

    Was bei den Wettbewerben in Kitzingen ebenfalls sichtbar wurde: Schach verbindet Generationen und soziale Milieus. Hier trifft der jugendliche Turnschuhliebhaber im Jogginganzug auf den Pensionär mit silbernem Seitenscheitel, Sandalen und grün-braun gestreifter Strickjacke. Dort spielt der langhaarige Student im Kapuzenpulli mit Totenkopfemblem gegen den besser verdienenden Sakko-, Hemd- und Lackschuhträger. „Schach ist eine Sportart vom Kindergarten bis in den Rollstuhl“, sagt Jürgen Müller, der sich in Kitzingen täglich wechselnde Krawatten mit Schachmotiven um den Kragen band und Funktionärsplaketten ans Revers steckte. „Bei uns begegnen sich alle auf Augenhöhe, und jeder ist ein Exzentriker, weil der Klischee-Schachspieler nicht existiert.“ Was sich auch im Gespräch mit den Akteuren der unterfränkischen Meisterschaft zeigte: Während einige gelöst über ihr Befinden im Laufe des Sechstage-Turniers plauderten, gingen andere zu Beginn eines Wettkampftages oder in den Essens- und Raucherpausen lieber in sich.

    Einer, der von sich erzählte, war der Sennfelder Norbert Lukas. „Eine verständnisvolle Familie ist in dieser Woche besonders wichtig“, sagte der 39-Jährige, der für den SK Schweinfurt antritt und dessen Vorsitzender ist. Zwei Partien pro Tag konnten den Aufenthalt in der Halle auf 13 Stunden dehnen. „Kaffee und frische Luft sind Mittel gegen die Müdigkeit, doch gutes Sitzvermögen ist am wichtigsten“, erklärte Lukas, der sich wie die meisten für den Wettbewerb Urlaub genommen hatte.

    In einer Zeit, in der die Nutzung des Computers steigt und zunehmend über das Internet kommuniziert wird, wirkt Schach an einem Holzbrett auf manchen ziemlich altmodisch. Virtuelle Spielfelder und Figuren existieren längst im weltweiten Netz. Doch sie werden die Partie in der realen Welt nie ersetzen können, glaubt Jürgen Müller: „Schach hat auch mit Psychologie und Körpersprache zu tun. Diese Elemente lassen sich nicht über eine Webcam transportieren.“

    Endstand

    61. unterfränkische Schach-Einzelmeisterschaft, Meisterklasse I 1. FM Golda (SK Schweinfurt) 6,5 Punkte; 2. Kunz (SC Kitzingen), 3. Pfarr (SK Mömbris) je 6; 4. Bräutigam (SV Würzburg) 5,5; 5. FM Hofstetter (SK Bad Neustadt), 6. Röder (TSV Karlburg), 7. Sternheimer (SC Bad Königshofen) je 5; 8. N. Kuhn (SV Würzburg), 9. G. Kwossek (SC Kitzingen), 10. Lukas (SK Schweinfurt), 11. T. Kuhn (SK Klingenberg), 12. Basel, 13. Nußbaumer (beide SC Kitzingen) je 4,5.

    Meisterklasse II 1. Link (SK Klingenberg) 7,5; 2. Haßelbacher (SV Neuendorf), 3. Yalcin je 6; 4. Seifert (beide SC Kitzingen), 5. Bauer (SV Heidingsfeld) je 5,5; 6. Klüber (SC Prichsenstadt), 7. Pfannes (SC Kitzingen), 8. Hauck (SK Mainaschaff) je 5.

    Hauptturnier 1. Trice (SV Würzburg) 8; 2. Kirchner (TV Faulbach) 6,5; 3. Schreck (beide TV Faulbach), 4. Kraus (SK Mömbris), 5. F.Link (SC Kitzingen), 6. Schäfer (SB Versbach), 7. Hegel (SC Schweinfurt), 8. Graunke (SC Kitzingen) je 6.

    ONLINE-TIPP

    Alle Ergebnisse im Internet unter www.ufra-schach.de

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