Wer steht da und spricht? Ein Kraftprotz oder eine Heulsuse? So genau weiß man das bei den Auftritten von CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder zur Zeit nicht, was da im nächsten Moment kommt. Mal ist Bayern das schönste und stärkste Bundesland, mal das hilflose Opfer einer bösartigen Politik der Bundesregierung. Alles Gute kommt von hier, aus eigener Kraft, alles Unheil aus Berlin– getreu dem alten christsozialen Motto: Wenn über Bayern die Sonne lacht, dann hat das die CSU gemacht. Kommen Hagel, Sturm und Schnee, war´s bestimmt die SPD.
Oder doch die Grünen? Oder gar die FDP? Ganz klar ist das im Fall der von den Ampelparteien geplanten Wahlrechtsreform nicht, die an diesem Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll, um das Parlament künftig auf maximal 630 Abgeordnete zu begrenzen. Der eigentliche Urheber ist unbekannt.
Bundesweit kratzt die CSU bei Wahlen an der 5-Prozent-Hürde
War es ein Unwissender? Vermutlich nicht. War es ein Witzbold? Gut möglich. War es ein hinterhältiger Mensch, der der CSU mal so richtig einen Schreck einjagen und der Linken gleich den Garaus machen wollte? Das ist die wahrscheinlichste Version.
Die CSU jedenfalls hat plötzlich ein Horrorszenario vor Augen: Sie könnte, wenn die Reform in der jetzigen Fassung Gesetz wird, bei der nächsten Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, und zwar sogar dann, wenn sie – wie bisher – nahezu alle 46 Direktmandate in Bayern gewinnt. Völlig unwahrscheinlich ist das nicht. Die 31,7 Prozent an Zweitstimmen, die die CSU zuletzt in Bayern geholt hat, reichten bundesweit gerade mal für 5,17 Prozent.
Dementsprechend groß ist das Lamento bei Söder. Er spricht von einer Attacke auf die Demokratie. Er bezichtigt die Ampel, sich ein Wahlrecht nach ihren Bedürfnissen stricken zu wollen. Und er kündigt eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, von der er mit guten Gründen annimmt, dass er sie gewinnen wird.
Die Regionen müssen im Bundestag vertreten sein
Tatsächlich hat er in vielen Punkten recht. Direkt gewählten Abgeordneten den Einzug in den Bundestag zu verweigern, ist nicht akzeptabel. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, das bewährte deutsche System – eine ausgewogene Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht – zu ändern. Das föderale Prinzip, dass jede Region im Bundestag vertreten sein muss, sollte nicht aufgeweicht werden. Die Parteien würden damit gestärkt, die direkte Demokratie geschwächt werden.
Doch da sind halt auch noch ein paar Dinge, die Söder nicht sagt. Der einfachste und geradlinigste Weg zur Verkleinerung des Bundestags wäre – ohne sonstige Veränderungen des Wahlrechts – eine Verringerung der Wahlkreise um ein Drittel gewesen. Derlei Vorschlägen hat sich die CSU, als sie im Bund noch Regierungspartei war, stets verweigert. Dabei ging es ihr freilich nicht um den Schutz der Demokratie, sondern um die Sicherung ihrer Machtbasis in Bayern. Motto: Viele CSU-Abgeordnete helfen viel. Söders Wehklagen gilt also nicht in erster Linie einer Attacke auf die Demokratie, es gilt dem Angriff auf die Sonderrolle der CSU im Parteiensystem.
Im anstehenden Landtagswahlkampf in Bayern wird sich der CSU-Chef die Hinterhältigkeit aus Berlin zunutze machen. Sie fügt sich ein in seine Erzählung von der angeblichen Benachteiligung Bayerns durch den Bund. Die Ampelparteien in Bayern haben dieser Propaganda bisher nichts entgegenzusetzen. Einige aus ihrem Spitzenpersonal verteidigen sogar den Unsinn – und überlassen damit der CSU ihre Opferrolle.