Ihm sei ganz wunderlich ums Herz, sagt Papageno, der pfiffige Vogelfänger, der auf der Suche nach seiner Papagena ist. Der kleine Kerl, gerade mal eine knappe Fingerspanne groß, bewegt sich durch ein Fantasieland in Miniaturformat. Hier gibt es Palmen, Palastmauern, Säulenfiguren und geheimnisvolle Schriftzeichen, zwischen die sich ein zweirädriger, mit einer güldenen Sonne gezierter Wagen schiebt – gezogen von vier Löwen mit buschigen Mähnen. Dann erscheint auch noch eine Gruppe von Männern und Frauen, alle in farbenprächtige Gewänder gehüllt. Ihr Chorgesang – „Es lebe Sarastro, Sarastro soll leben.“ – erfüllt den Raum.
Das alles spielt sich im ersten Stock eines Barockgebäudes in Bamberg ab. Im Staub'schen Haus ist das Bamberger Marionettentheater untergebracht. Das opulente Stadtpalais aus dem Jahr 1775 war ursprünglich das Wohnhaus eines Tabakfabrikanten, die Manufaktur befand sich im Hinterhaus. Später erwarb der Apotheker Staub das Gebäude, bevor es in den Besitz der Stadt Bamberg überging.
Auf knarrenden Treppenstufen geht es heute hinauf in die Märchenwelt. Auf dem Programm steht die Oper „Die Zauberflöte“, die Wolfgang Amadeus Mozart mit seinem Librettisten Emanuel Schikaneder erschaffen hat und die 1791 uraufgeführt wurde. 29 Besucher finden in der Beletage in der Unteren Sandstraße Platz. Das 45 Quadratmeter große Theaterzimmer ist mit handgedruckten Tapeten eines englischen Hoflieferanten tapeziert. Im Mittelpunkt aber steht die weniger als einen Meter breite Bühne mit den Orchestermusikern samt Dirigenten im Miniaturformat, die vor einem Guckkasten mit wallendem Vorhang drapiert sind.
Klaus Loose, der Gründer und erste Prinzipal des Marionettentheaters, hatte das kleine Theater aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei einem Spaziergang im Jahr 1958 in einem Kellergeschäft im Antiquitätenviertel von Berlin entdeckt. Eine Sternstunde für den Theaterkenner. Sein Fundstück war nur wenig größer als die kleinen Papiertheater, in denen man damals in Bürgerhäusern mit Papierfiguren oder Marionetten spielte. Neben dem Proszenium, also der Bühnenfassade im Theatersaal, fand Loose verschiedene Kulissenteile und einzelne, scheinbar nicht zusammengehörende Ausstattungstücke.
Bei genauerer Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine bespielbare Bühne handelt, die über einige erstaunliche technische Raffinessen verfügt, die denen einer großen Bühne in nichts nachstehen.
Für Loose, der von Kindesbeinen an interessiert an jeglicher Art von Theater, Theatertechnik und Theatergeschichte ist, ist der Kellerfund in etwas so bedeutend wie für einen Briefmarkensammler der Fund einer Blauen Mauritius. Klaus Loose erwirbt das historische Stück und vervollständigt seine Kenntnisse über barocke Verwandlungsmaschinerien und perspektivisch genaue Entwürfe von Dekorationen und Beleuchtung. Er stellt einen Spielplan aus Barockstücken und romantischen Schauspielen zusammen und beginnt an seinem damaligen Wohnort Oldenburg mit Theatervorstellungen.
Seit 1986, Looses Umzug ins Fränkische, tanzen die Puppen nun in Bamberg. Viele sind 60 bis 80 Jahre alt. Es gibt um die 900 Figuren, die nahezu alle im Haus gefertigt wurden und werden. Sie sind winzig, nicht größer als 17 Zentimeter, und etwa im Maßstab 1:10 gearbeitet, passend zu Bühnenportal, Möbeln und Requisiten. Obwohl ihnen, durch ihre minimale Größe bedingt, Mimik und detaillierte Bewegungsabläufe fehlen, wirken sie in Aktion fast schon magisch. Dazu trägt auch die Entfernung bei, in der die Zuschauer zur Bühne sitzen.
Wie die Puppen lebendig werden, erklärt die derzeitige Intendantin Maria Sebald, eine Künstlerin, die eigentlich im Marionettentheater nur Bühnendekoration erstellen wollte und schnell dem Charme der kleinen Gestalten erlag. Die Bewegungen entstehen durch spezifische Fäden, die an einem Spielkreuz befestigt sind: Die Figuren haben am Kopf und an Stelle der Ohren Ösen, durch die der mit dem Spielkreuz verbundene Führungsdraht läuft. Dünne Fäden ermöglichen Arm- und Beinbewegungen, so Sebald.
Im Augenblick besteht das Ensemble, das die Puppen führt, aus acht Mitgliedern, die sowohl fingerfertig spielen, als auch den Part des Beleuchters übernommen haben. Zwei bis drei Spieler und ein Beleuchter bilden ein Team, das Pyrotechnik, Ton- und Lichtsteuerung und das Bedienen der Vorhänge beherrschen muss.
Monika Einweg ist seit 2006 als Puppenspielerin im Marionettentheater tätig, „weil es Spaß macht“, sagt sie und lächelt. Sie ist – wie alle Puppenspieler – von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Auch Frieda Lange, pensionierte Lehrerin, die vor fünf Jahren aus dem Saarland nach Bamberg übersiedelt ist, hat sich entschlossen, das Puppenspiel zu erlernen und als Spielerin die Fäden in der Hand zu halten.
„Ich genieße die Sprache der alten und schönen Stücke“, sagt sie.
Die Köpfe der Puppen sind aus Stuckmasse, die individuell bearbeitet und bemalt wird, ihre Körper und Gliedmaßen sind aus Holz. Für den Guss der Beine braucht es schwere Metalle wie Zinn, deren Gewicht den Stand der Figuren verbessert. Gekleidet sind die kleinen Schauspieler mit weichen, fließenden Stoffen, die die Beweglichkeit nicht behindern. Es gibt aber auch eine Reihe von Figuren, die starre Statisten sind – wie der Jubelchor in „Die Zauberflöte“.
Die Mozart-Oper ist eines von 14 Stücken, die im Repertoire des Bamberger Marionettentheaters ihren festen Platz haben. Die Kulissen für die Oper – historische Bauten, Innenräume und Naturdarstellungen – nach Entwürfen des preußischen Baumeisters, Architekten, Stadtplaners, Malers und Grafikers Karl Friedrich Schinkel sind eine Augenweide.
Was sich abspielt, wenn das Licht aus- und die Bühnenbeleuchtung angeht, ist glutvoll und prall, gespickt mit Metaphern und märchenhaften Bildern. Heute läuft alles auf ein Happy End hinaus, ganz in der Tradition der seinerzeit geliebten Alt-Wiener Zauberpossen, in denen es gute und böse Mächte gibt. Die Freimaurerideen des Komponisten Mozart und seines Freundes Schikaneder geben der Geschichte um die Zauberflöte den letzten Kick.
Es ist „historisches“ Theater, das große und kleine Zuschauer fasziniert. Das bedeutet, dass Aufführungen aus dem 18. Jahrhundert im Kleinen so dargeboten werden, wie sie in der Zeit der Klassik und Romantik an berühmten Theatern der großen Städte gezeigt wurden – samt Dekoration, Beleuchtung und technischen Raffinessen. Eine Seltenheit in Europa, die es sonst nur noch einmal in einer alljährlich stattfindenden, kurzen Sommerspielzeit im Königlichen Schlosstheater Drottningholm im schwedischen Stockholm gibt.
Mittlerweile hat die Königin der Nacht ihre Rachearie im Bamberger Theaterchen geschmettert, Tamino hat seine Tamina gefunden und der Vogelfänger seine Papagena. Die Musik zu der in Originallänge aufgeführten Oper lieferten die Berliner Philharmoniker samt dem Rias Kammerchor unter dem Dirigat von Karl Böhm. Für die Opern werden historische Aufnahmen verwendet, Schauspiele teils von professionellen Sprechern, teils von Ensemblemitgliedern eingesprochen und aufgezeichnet.
Während Sarastro, der Hüter der Wahrheit, „O Isis und Osiris, schenket der Weisheit Geist dem neuen Paar“ zelebriert, wird einmal mehr klar, dass das kein lebloses Theatermuseum ist. Das Bamberger Marionettentheater berührt die Menschen. Nach der Vorstellung darf man einen Blick hinter die Bühne werfen. Dort sieht man Technik, Werkstatt und Püppchen in Warteposition. All das, was man braucht, um die Illusion einer Zauberwelt zu erschaffen.
Das Bamberger Marionettentheater Die Bühne ist seit 1986 im „Staubschen Haus“ untergebracht. In dem Jahr zog Klaus Loose, der Gründer des Marionettentheaters, von Oldenburg nach Bamberg und brachte sein Theater mit. Heute betreibt der Förderverein „Freunde des Bamberger Marionettentheaters e. V.“ das Theater im Namen und Auftrag der Stadt. Das Theater bewahrt die Spielkultur des 19. Jahrhunderts. Adresse: Bamberger Marionettentheater, Untere Sandstraße 30. 96049 Bamberg, www.bamberger-marionettentheater.de Karten per E-Mail: info@bvd-ticket.de oder unter www.bvd-ticket.de; Reservierung unter Tel. (09 51) 98 08 220 Die Abendkasse im Theater öffnet 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn.
„Ich genieße die Sprache der alten und schönen Stücke.“
Frieda Lange, Puppenspielerin