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WÜRZBURG/AUGSBURG: Das Kreuz mit dem Kreuz

WÜRZBURG/AUGSBURG

Das Kreuz mit dem Kreuz

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    Professor Florian Geiger bei einer Rückenuntersuchung. Die Ursache für Rückenschmerzen ist nicht immer leicht zu finden.
    Professor Florian Geiger bei einer Rückenuntersuchung. Die Ursache für Rückenschmerzen ist nicht immer leicht zu finden. Foto: Foto: Hessing Stiftung/Königer

    Viele kennen das Problem: Plötzlich sitzt ein Schmerz im Rücken und man kann sich kaum noch bewegen. Betroffen ist der Lendenwirbelsäulenbereich, die Region im Kreuz. „Lumbago“ wird der Hexenschuss medizinisch genannt. Angeblich erwischt es fast jeden mindestens einmal im Leben. Der stechende Schmerz führt dazu, dass man gebeugt gehen muss wie die böse Hexe im Märchen. Wenn man denn überhaupt noch gehen kann.

    Dass keine Hexe geschossen hat, wenn der Schmerz auftritt, das ist klar. Aber was stattdessen dahintersteckt, das weiß man auch nicht so genau, sagt Professor Florian Geiger, Chefarzt des Wirbelsäulenzentrums an den Hessing-Kliniken in Augsburg-Göggingen. Es gibt nur Vermutungen. Eine Ursache könnten Blockierungen in den kleinen Gelenken der Wirbelkörper sein oder Reizzustände in den Bandstrukturen. Beides könnte wiederum zu einer verstärkten Muskelanspannung führen, die ihrerseits den Schmerz verstärkt.

    Nicht immer kommt der Schmerz unvermittelt. Es gibt auch Menschen, bei denen er sich schleichend einstellt, weil sie täglich stundenlang vor ihrem Computer sitzen und chronischen Stress ertragen müssen. Oder weil sie sich am Vortag stark verausgabt haben. Aber was kann man dagegen tun? Und lässt sich verhindern, dass der Schmerz chronisch wird?

    Die Patientenleitlinie „Kreuzschmerz“, im Internet zu finden, wendet sich tröstend an alle Rückenschmerz-Geplagten: „Sie sind nicht allein“, heißt es da. „Kreuzschmerzen gehören in Deutschland zu den am meisten angegebenen Schmerzen überhaupt.“ Die Sorgen der Patienten sind oft groß, denn was könnte nicht alles hinter den Schmerzen stecken? Ein Bandscheibenvorfall? Eine Spinalkanalverengung (-stenose)? Ein Tumor? Eine Entzündung? Dinge, die man meist operieren muss.

    Es gibt Warnsymptome, die auf solche Probleme hindeuten. Rückenärzte nennen sie red flags, also rote Flaggen. Sie zeigen an, dass ein Bruch, eine Infektion oder gar eine Geschwulst hinter den Schmerzen stecken könnte. Solch rote Flaggen sind beispielsweise Lähmungserscheinungen oder schwerwiegende neurologische Ausfälle wie der Verlust der Blasenfunktion. Kann der Patient etwa ein Bein nicht mehr bewegen, weil eine Lähmung aufgetreten ist, muss man etwas tun. Um dem Problem auf den Grund zu gehen, müsse der Arzt erfragen, was passiert sei, das Alter und eventuelle altersbedingte Probleme wie Osteoporose (Knochenschwund) mit in Betracht ziehen, erklärt Geiger.

    Und doch ist es in über 80 Prozent der Fälle weder ein Bandscheibenvorfall noch eine Entzündung, weder ein Tumor noch eine Stenose. Dann nennt sich das Problem „unspezifischer Rückenschmerz“, was bedeutet, dass man mit normalen klinischen Methoden keine genaue Ursache für die Pein im Rücken erkennen kann. Geröntgt wird trotzdem viel zu schnell und zu oft, wie die Bertelsmann-Stiftung Ende 2016 kritisierte. Viele Röntgenaufnahmen, hieß es, wären vermeidbar.

    Warum werden die Aufnahmen trotzdem gemacht? Die Patienten können Fehler machen, „aber auch die behandelnden Ärzte“, sagt Geiger. Das Hauptproblem aufseiten der Ärzte sei, dass nicht genug mit den Patienten gesprochen werde. Einflussfaktoren wie Psyche, Stress, die Situation am Arbeitsplatz würden nicht genug beachtet.

    Aufseiten der Patienten liege der Fehler oft darin, dass sie eine schnelle und einfache Lösung des Problems wünschen, ein Röntgenbild erwarten und eine Spritze. Etwas an ihrem Lebensstil verändern wollen sie meist nicht. Doch ein Röntgenbild gleich zu Beginn ist aus medizinischer Sicht nicht hilfreich. Nur wenn Warnhinweise vorliegen, der Schmerz länger als sechs Wochen anhält oder sich in diesem Zeitraum gar verschlimmert, wird eine Bildgebung empfohlen, so heißt es auch in der überarbeiteten Leitlinie, an der Geiger mitgearbeitet hat.

    „Klar, wer akute Rückenschmerzen hat, dem schadet es nicht, sich ein wenig auszuruhen mit einer Wärmflasche am Rücken“, sagt Geiger. Auch gegen die Einnahme von Schmerzmitteln für ein bis zwei Tage sei nichts einzuwenden. „Aber man muss dann auch schauen, was geht“, so der Orthopäde, „und wenn laufen nicht geht, dann vielleicht schwimmen oder radeln.“ Kämen die Patienten erst einmal in ein „Vermeidungsverhalten“ hinein, sei es schwer, es wieder zu durchbrechen. Dann droht die Chronifizierung, von der etwa jeder zehnte Patient mit unspezifischem Rückenschmerz betroffen ist.

    Mediziner kennen Risikofaktoren, die solch eine Chronifizierung begünstigen – yellow flags, gelbe Flaggen, werden sie genannt. Rückzug und Vermeidungsverhalten spielen laut Geiger dabei die größte Rolle. Aber auch von Depressionen oder Unzufriedenheit am Arbeitsplatz weiß man, dass sie eine Chronifizierung fördern.

    Die psychische Komponente sei nicht zu unterschätzen, so Geiger. Wer im Urlaub mit Rückenschmerzen aufwache, werde sich vielleicht sagen, „das bisschen Schmerz macht nichts, ich genieße den Tag trotzdem“. Wer dagegen aufwacht und an einen ungeliebten Arbeitsplatz muss, werde den Schmerz sehr viel schwerer nehmen.

    All das müsse man in einem Gespräch erfragen, erklärt Geiger, und sodann den Patienten aktivieren. Denn wer einen unspezifischen Rückenschmerz hat, sollte sich nicht längerfristig schonen. „Bei ungefähr vier Wochen liegt die Grenze“, sagt Geiger, „danach wird es schwer, den Patienten wieder an Aktivität zu gewöhnen.“ Er rät, in einer Gruppe aktiv zu werden, also zum Beispiel zum Nordic Walking oder zum Yoga zu gehen. Beliebt, aber schlecht seien dagegen Maßnahmen, bei denen sich die Patienten hinlegen und passiv bearbeiten lassen, sei es mit Massagen oder Akupunktur: Damit werde dem Patienten Abhängigkeit suggeriert und dass er selbst nichts machen kann, so Geigers Kritik. „Massagen und Wellness dürfen kein Dauerzustand sein.“

    Auf die Mitarbeit des Patienten selbst kommt es vielmehr ganz wesentlich an. Ihm müsse man auch beibringen, dass Rückenschmerzen primär etwas Ungefährliches seien, sagt Florian Geiger, und meist von selbst ausheilen.

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