Sie können in wenigen Minuten locker die gesamte Musikgeschichte durchmessen, von Barock bis Disco, bringen einen ganzen Saal dazu, astrein dreistimmig zu singen, musizieren selbst in jeder Haltung, Verrenkung und Verkleidung makellos und hinterlassen zum Schluss ein Publikum, das sie mit ihrer Musikalität tief berührt, mit ihrer Komik bestens unterhalten haben: Der Geiger Aleksey Igudesman und der Pianist Hyung-ki Joo sind das weltweit erfolgreiche Klassik-Comedy-Duo Igudesman & Joo, das vom Kalauer (gerne in der jeweiligen Landessprache) über die Slapstick-Einlage bis hin zur hochintelligenten musikalischen Maskerade alles drauf hat. Am besten sind sie, wenn alles irgendwie gleichzeitig stattfindet. Wobei sie die Schraube beinahe unmerklich Richtung Wahnsinn drehen, in der diabolischen Absicht, den Zuschauer notfalls auch gegen seinen Willen zum Lachen zu bringen. Beim Kissinger Sommer 2020 wären die beiden für den 27. Juni gebucht gewesen – daraus wird nun nichts, im Interview hat Aleksey Igudesman trotzdem genügend Interessantes zu berichten.
Ich nehme an, Sie sitzen fest wie alle anderen auch – wo sind Sie gerade?
Aleksey Igudesman: Ich bin gerade in Österreich, wo alle mehr oder weniger eingesperrt sind. Es ist teilweise dramatisch, andererseits lässt es uns Musiker alle umdenken – hoffentlich. Da sind einerseits die Sorgen um das Finanzielle und die Gesundheit, andererseits ist da die Ruhe, die einfach eintritt, wenn man ein paar Wochen zu Hause bleiben muss und zum ersten Mal Zeit hat. Ich habe gerade gestern mit dem Geiger Julian Rachlin gesprochen, und wir haben beide gesagt: Hey, vielleicht sollten wir in Zukunft solche Ruhepausen auch ohne Katastrophen in unser Leben bringen.
"Der beste Tipp jetzt ist, Ruhe bewahren, möglichst weiter kreativ arbeiten. Aber dann auch in Ruhe kalkulieren."
Aleksey Igudesman über den wirtschaftlichen Umgang mit Corona
Wie sieht denn Ihr Leben sonst aus?
Igudesman: Entweder wir reisen herum wie die Wilden, geben Konzerte, geben nonstop Interviews, komponieren, denken uns Projekte aus. Oder man fährt irgendwo hin in die Ferien, das ist dann extrem weit weg, und dort ist dann auch Action. Jetzt ist dagegen eine kuriose Phase, wo man zur Ruhe gezwungen wird. Und man merkt das Therapeutische daran.
Sie wollten ja demnächst nach Norwegen auf Tour gehen...
Igudesman: Das ist natürlich abgesagt, oder hoffentlich verschoben. Das hoffen alle Musiker: Dass die Sachen eher verschoben werden als abgesagt. Aber das ist leider in vielen Fällen nicht möglich. Was mich auch bewegt, ist die Frage, wie das viele Leute finanziell schaffen werden.

Haben Sie einen Tipp, wie sich Künstler durch diese Durststrecke retten können?
Igudesman: Künstlerisch ist das kein Problem, aber für einige sind schon ein paar Wochen ohne Auftritte finanziell problematisch. Viele haben ja zwei Monate an Terminen abgesagt bekommen, das sind Hunderte von Tausenden von Euro. Man denkt bei den prominenten Künstlern immer, naja, die verdienen so viel, das ist doch kein Problem. Leider funktioniert das nicht so. Die Leute, die mehr verdienen, wie wir auch, die haben ein Team. Angestellte, die uns praktisch und kreativ helfen. Der beste Tipp jetzt ist, Ruhe bewahren, möglichst weiter kreativ arbeiten. Aber dann auch in Ruhe kalkulieren, wie viel Geld verliere ich, wen kann ich jetzt nicht bezahlen, wen kann ich später bezahlen, und welche Personen muss man feuern, um sie dann später wieder anzustellen, ähnlich wie es auch die Gastronomie macht. Das Problem bei Künstlern und Musikern ist oft, dass das die letzten Personen sind, die irgendeine Ahnung von finanziellen Dingen haben. Jetzt wird man wirtschaftlich einiges lernen müssen, damit man als Künstler nicht untergeht.
Wie reagieren Sie persönlich auf die wirschaftliche Krise?
Igudesman: Ich habe ein eigenes Unternehmen, ein Start-up namens Music Traveller, bei dem man Zimmer zum Musik machen oder für Proben buchen kann. Aber das funktioniert natürlich jetzt nicht. Wir haben Music Traveler erschaffen, um das Musikmachen für alle zu erleichtern, mit wunderbaren Ambassadors, die uns unterstützen und die Botschaft verbreiten, wie Yuja Wang, Hans Zimmer und Billy Joel. Bereits in vielen Ländern können Jung und Alt verschiedenste Räume nutzen, um Musik zu machen. Während der Coronavirus-Pandemie haben viele Musiker kein Einkommen mehr. Mit der Hilfe des Karajan-Instituts, arbeiten wir jetzt daran das Feature „Music From Home“ auf Music Traveler einbauen, mit dem wir Musikern helfen, Tickets für ihre digitalen Live-Konzerte von zu Hause aus zu verkaufen. Durch die Zentralisierung der Live-Streams möchten wir maximale Aufmerksamkeit und zusätzliches Einkommen für die Musiker generieren.
Belastend ist ja auch diese Ungewissheit – niemand hat eine Vorstellung, wie das alles weitergehen könnte.
Igudesman: Natürlich ist die Hoffnung, dass es so bald wie möglich weitergeht, und dass die Wirtschaft nicht so stark getroffen wird, dass dann gar kein Geld mehr da ist, weder für Kunst noch für irgendetwas anderes. Die größte Hoffnung aber ist, dass wir daraus lernen, dass wir die Zeichen erkennen. Dass es nicht genau wie vorher weitergeht und wir als Menschen lernen, was brauchen wir, was brauchen wir nicht, was ist wichtig, was nicht. Ich glaube, da wird noch einiges zum Vorschein kommen. Kunst ist so wichtig für jeden Menschen – wer weiß, vielleicht bringt es im Nachhinein noch einen Boom.
"Wir schreiben keine Arrangements oder Sketche, um lustig zu sein. Der Humor kommt von alleine aus der Situation."
Aleksey Igudesman
Wir haben vor fünf Jahren schon einmal gesprochen, damals hieß das Programm "And now Mozart!", aber es kam praktisch kein Mozart vor. Diesmal wird es heißen "And now Beethoven!" – ist denn diesmal Beethoven dabei?
Igudesman: Es wird viel Beethoven drin sein. Das Schöne an Beethoven ist, aber das merken viele nicht: Er hat extrem viel Humor. Und dieser Humor ist schon in der Musik. Es ist ein extremer Humor mit Sarkasmus, mit Überraschungen, teilweise auch ziemlich wild. Da ist er seiner Zeit voraus, manche Stücke sind für manche Menschen heute noch befremdend. Wenn man diese Musik kompromisslos interpretiert, wie es sich gehört, dann ist da schon sehr viel Humor dabei.
Und dann gibt es ja noch die Zutaten, die Sie hinzufügen.
Igudesman: Beethovens Material ist wunderbar zu bearbeiten. Mozart hat wunderschöne Melodien und ist extrem natürlich. Beethovens Musik wirkt auch sehr natürlich, ist aber formal sehr stark. Er arbeitet mit Motiven, das berühmteste sind diese vier Noten (singt das Motiv der fünften Sinfonie). Dass er daraus fast eine ganze Sinfonie macht, ist bezeichnend. Das heißt: Diese kleinen Motive, die sofort erkennbar sind, kann man immer wieder benutzen. Und das eignet sich hervorragend für humoristische Sachen. Man kann die Werke viel, viel leichter auseinander nehmen und neu zusammensetzen. Das heißt, wir erfinden Musik neu.
Und dadurch entsteht die Komik?
Igudesman: Humor ist dabei fast Nebensache, obwohl das bei uns immer als Hauptsache gesehen wird. Wir schreiben keine Arrangements oder Sketche, um lustig zu sein. Wir arbeiten auf vielen Ebenen, man könnte sagen, wir machen Musik mit Theatralik. Der Humor kommt von alleine aus der Situation. Wir finden etwas kurios, entdecken Parallelen und fragen uns: Was wäre, wenn? Wenn Beethoven zum Beispiel die fünfte Sinfonie im Fünf-Viertel-Takt geschrieben hätte? Resultat: "Beethoven Takes Five", jeder kennt den Standard von Dave Brubeck. Das lieben wir – genau daraus entsteht der Humor. Es heißt, Beethoven hat sehr viele spätere Entwicklungen in der Musik vorweggenommen. Wir sind der Meinung, dass der Jazz sehr stark auf Beethoven zurückzuführen ist. Deshalb klingen einige seiner Sachen bei uns wie Jazz oder wie mexikanische Musik. Das ist lustig, aber man versteht dadurch auch besser den Ursprung mancher Dinge.
In "And now Mozart!" war der Disco-Hit "I Will Survive" ein Dauerbrenner – gibt es ein prägendes Stück in "And now Beethoven!"?
Igudesman: Das zentrale Thema wird lustigerweise "Für Elise" sein. Nicht, weil es eines seiner größten Meisterwerke ist, sondern, weil es das eben nicht ist. Wir werden das Stück durch das Programm hindurch in verschiedenen Varianten verbessern. Eine Variation heißt "For A Lease" – also zu vermieten. Da habe ich versucht, vom Kitsch wegzukommen. Die Melodie ist schön, aber furchtbar abgegriffen, deshalb erkunde ich, wie sie klingt, wenn man sie frischer spielt. Mit dem Elektronik-Musiker Dandario habe ich eine Version gemacht, die heißt "Foreign Lise", wegen der fremden Elemente. Und: Wir werden den Weltrekord brechen für die kürzeste Zeit für alle 32 Klaviersonaten.