Als Nadja Tiller als Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt auf der Leinwand die Doppelmoral der Wirtschaftswunderzeit entblößte, war das 1958 ein Skandal – und lockte Millionen Zuschauer in die Kinos. Betritt die Schauspielerin, die an diesem Sonntag, 16. März, 85 Jahre alt wird, heute das Café ihrer Hamburger Seniorenresidenz, wird noch immer getuschelt. Erinnert man sich noch an „Das Mädchen Rosemarie“? Wird eine ihrer zahlreichen anderen Rollen präsent? Oder sind es die Bilder vom Traumpaar, das sie mit ihrem Mann – dem vor zwei Jahren gestorbenen Komödianten Walter Giller – auf der Leinwand wie im Leben war?
Zu den prominentesten Bewohnern des Augustinums am Elbufer zählt sie. „Ein Taxifahrer fragte mich neulich, ob die Frau Tiller denn noch hier wohnt“, erzählt die einstige Film-Ikone. Die Wienerin und erste „Miss Austria“ (1949) gab die Femme fatale schon in Streifen wie „Die Barrings“ (1955).
Die erotische Dame
Filmemacher besetzten die Schauspielerin mit der leicht rauchigen Stimme bevorzugt als erotische Dame mit dem gewissen Etwas. „Manchmal hat das auch Spaß gemacht“, sagt sie heute. „Für die damalige Zeit war ich eben eine sehr erotische Frau.“ Doch früher nervte es sie auch. „Ich musste mich mit Schmuck behängen und benehmen, wie sich – außer im deutschen Film – kein Vamp benimmt“, beklagte sie mal.
Die Rolle des Luxus-Callgirls war es jedoch, die ihr zum internationalen Durchbruch verhalf. Die Verfilmung der Lebensgeschichte jener Frankfurter Prostituierten, die 1957 ermordet aufgefunden worden war, hatte der Schauspielerin zwar auch unangenehme Drehmomente beschert („Man hat uns unglaublich viele Steine in den Weg geworfen“), sie aber eben auch noch bekannter gemacht. Sie drehte mit Kollegen wie O.W. Fischer, der „mehr als schwierig war“, und dem „phänomenalen“ Jean Gabin. Auch Curd Jürgens, Yul Brunner, Mario Adorf und Jean-Paul Belmondo standen mit ihr vor der Kamera.
Privat war die Schöne längst vergeben: Beim Dreh zu „Schlagerparade“ (1953) traf sie auf ihren Kollegen Walter Giller, der zur Liebe ihres Lebens wurde. Nicht nur privat waren die beiden, die 1956 heirateten, ein Traumpaar, auch in so manchen Filmen. Tiller mochte davon vor allem „Schloss Gripsholm“. „Ich habe mich immer ein bisschen in Nadjas Schatten gesonnt, die in der ersten Reihe stand“, sagte Giller einmal. Das Geheimnis ihrer langen Ehe (mit angeblich so manchen Seitensprüngen) lag für ihn in „Vertrautschaft“ – „ein Mittelding zwischen Vertrauen und inniger Freundschaft“. 55 Jahre lang waren sie bis zu Gillers Tod 2011 verheiratet. „Mein Mann fehlt mir immer noch“, sagt Tiller. „Nicht täglich und nicht ununterbrochen, aber es gibt so Augenblicke, in denen man denkt: Es wäre schön, wenn er jetzt da wäre.“ Doch Abschiede gehörten eben dazu. „Man muss sich von vielen Dingen im Leben verabschieden. Wir müssen ja leider alle irgendwann einmal gehen. Man muss lernen, das zu akzeptieren.“ Das Appartement ihres Mannes direkt neben ihrem eigenen hat sie behalten: „für Besucher“.
Entzückende Enkelkinder
„Zum Glück habe ich ganz wunderbare Kinder, eine Tochter und einen Sohn, und vier entzückende Enkelkinder“, sagt sie. Aus dem Seniorenheim wieder auszuziehen, sei für sie nie infrage gekommen. „Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben“, erzählt Tiller und betont: „Ich habe alles, was ich brauche. Man wird hier sehr verwöhnt.“ Außerdem begegne sie Menschen in ähnlichen Lebenssituationen: „Die als Paar zusammen hierhergekommen sind und wo ein Partner gehen musste. Das erinnert einen immer wieder daran, dass man nicht der einzige Mensch auf der Welt ist, dem so etwas passiert.“
Mit einem von ihnen, dem Schauspieler Fritz Lichtenhahn, nahm sie das Hörspiel „Traumrollen“ auf, das prompt zum Hörspiel des Jahres 2013 gekürt wurde. Film- oder Bühnenrollen will Nadja Tiller nicht mehr annehmen – zu anstrengend. Ihr Wunsch zum Geburtstag, den sie mit der Familie in Zürich feiern möchte: „Es soll mir nicht schlechter gehen.“ Sie schaue gern auf all die Jahre zurück. „Ich habe ein schönes Leben gehabt“, sagt sie, „ich bin zufrieden – was will ich mehr?“