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Heinz Strunk: In einem Sumpf aus Suff und Depression

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Heinz Strunk: In einem Sumpf aus Suff und Depression

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    Heinz Strunk (46), eigentlich Mathias Halfpape, gilt als eine der eigenwilligsten Stimmen seiner Generation. Sein Debütroman „Fleisch ist mein Gemüse“ verkaufte sich 300 000 Mal und wurde verfilmt. Im neuen Buch, „Die Zunge Europas“, erzählt der Hamburger, Mitglied des Komik-Trios „Studio Braun“, sieben Tage aus dem Leben eines Gagschreibers. Der Roman ist ein komisch-bissiger Streifzug durch alkoholschwangere Kieznächte und das deutsche Fernsehnachmittagsprogramm.

    Frage: Ihr Debütroman „Fleisch ist mein Gemüse“ verkaufte sich 300 000 Mal. Eignet sich Erfolg als Gradmesser für Glück?

    Heinz Strunk: Ich will nicht ausschließen, dass das auf Menschen zutrifft. Ich gehöre nicht dazu. Leider korrespondiert die subjektive Befindlichkeit nicht immer mit den objektiven Umständen.

    In Ihrer Jugend drohten Sie, wie Sie schreiben, in einem Sumpf aus „Saufen und Depression“ zu versinken. Hat die Kunst Sie letztendlich gerettet?

    Strunk: Meine Kindheit war zuerst glücklich. Dann kam die Zäsur, als meine Mutter erkrankte. In dem Moment war die Kindheit vorbei und es wurde schwierig. Aber ich habe keine durchgehend schreckliche Adoleszenz mitgemacht. Die Akne hatte ich halt, aber andere auch. Und wenigstens 50 Prozent aller Jungs meinen, sexuell zu kurz zu kommen. Heute geht es mir beruflich ganz okay, was aber nicht bedeutet, dass ich ein glücklicherer Mensch geworden bin.

    Ihr amerikanischer Schriftstellerkollege David Foster Wallace hat den Kampf mit dem eigenen Ich verloren und sich selbst getötet. Haben Sie Sympathien für diese Entscheidung?

    Strunk: Natürlich. Wie oft habe ich darüber schon nachgedacht. Das geht auf keine Kuhhaut mehr. Bei David Foster Wallace haben selbst Medikamente nicht mehr funktioniert. Was soll man da sonst noch machen? Viele Männer nehmen sich das Leben, wenn sie über 60 sind. Wenn man diese Hürde einmal genommen hat, hat man seine Schäfchen im Trockenen, dachte ich immer. Aber je älter man wird und je mehr hinter einem liegt, desto stärker die Neigung, sich das Leben zu nehmen.

    Kann man als Künstler auf der Welt sein, ohne in Schmerzen zu leben?

    Strunk: Es wäre schlimm, wenn alle Künstler depressive Naturelle wären. Ich kenne auch fröhliche Zeitgenossen. Das Wort „depressiv“ wird mittlerweile inflationär gebraucht. Ich bin damit vorsichtig, um den wirklich Depressiven ihre Depressionen auch zu lassen. Wenn man zu offen damit umgeht, handelt man sich schnell den Vorwurf der Koketterie ein. Vielleicht auch zu Recht.

    Stehen Sie dem Erfolg eher skeptisch gegenüber?

    Strunk: Mir ist Erfolg nicht suspekt. Wenn ich in der Lage bin, das, um was es mir geht, zu vermitteln, ohne mich dabei künstlerisch zu verleugnen, ist das ein schöner Erfolg. Im Zweifelsfall war ich auch immer links eingestellt, aber ich komme eher aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Bei den Brockdorf-Demos bin ich zwar mitgelatscht, aber das war eher ein allgemeiner gesellschaftspolitischer Reflex. Wenn ich irgendetwas hasse, dann ist es Anbiederei. Mit dem neuen Buch wollte ich einfach mal probieren, was bei mir literarisch noch geht.

    Ihr neues Buch klingt stellenweise, als seien Sie vom Kulturbetrieb selbst gemartert.

    Strunk: Das sind zum Teil eigene Erfahrungen. 1998 habe ich mal einen Pilotfilm für ProSieben gedreht. Ich war einer von sechs Comedians. Außerdem gab ich mehrere Gastspiele in der Sat.1-Wochenshow. Ich war zwar nie Comedyautor wie meine Hauptfigur, kenne aber sehr wohl den Betrieb. Damit ich keinen Schwachsinn schreibe, habe ich das Buch von Fachleuten gegenlesen lassen.

    Ihr Held Markus Erdmann ist Autor beim Fernsehen und muss Witze im Akkord schreiben. Muss man Würde und Selbstachtung hintanstellen, wenn man in dem Metier überleben will?

    Strunk: Ich bin mit einigen Comedyautoren befreundet. Einer erzählte mir mal, dass Comedians alle unglaublich neidisch und missgünstig sind. Die tun zwar immer so, als seien sie es nicht. Neid ist in Deutschland unheimlich ausgeprägt. Die Autoren, die vom Feuilleton hoch gelobt werden, aber nur wenige Bücher verkaufen, sind angeblich wahnsinnig neidisch auf einen wie Sven Regener, der von „Herr Lehmann“ 1,3 Millionen Stück abgesetzt hat. Den Deutschen Buchpreis werde ich wahrscheinlich nicht mehr bekommen, aber ich muss mich nicht hinter langweiliger Konsensliteratur verstecken. Vieles ödet mich so an, dass ich es gar nicht beschreiben kann.

    Sie schweifen beim Erzählen immer wieder ab. Spiegelt das Ihr Bemühen wieder, einer überkomplexen Welt gerecht zu werden?

    Strunk: Ich glaube, mein Vorteil als Schriftsteller ist, dass ich von der kurzen Form komme. Bei „Studio Braun“ oder meinen Kurzhörspielen ging es immer darum, in zwei bis fünf Minuten etwas auf den Punkt zu bringen. Das musste auch in der langen Form möglich sein. „Die Zunge Europas“ wollte ich so dicht und unterhaltsam schreiben, wie es irgend geht. Bei Jonathan Franzen denke ich immer, man kann es in punkto Langatmigkeit auch übertreiben. Mich interessiert es nicht, auf drei Seiten zu beschreiben, wie ein Baum aussieht.

    Sie sind trotzdem ein genauer Beobachter. Betreiben Sie in Wirklichkeit soziologische Studien?

    Strunk: Gleich im ersten Kapitel behaupte ich, meine Beobachtungen seien genauer als bei anderen. Mein Lektor hat mir gesagt, dass mein Protagonist manchmal etwas unsympathisch wirke, weil er sich ständig über seine Mitmenschen echauffiert. Ich habe das ganz anders empfunden. Aber was soll ich machen?

    Sie beschreiben das Publikum als schenkelklopfende Kretins. Ein Albtraum, der den Künstler bis in den Schlaf verfolgt. Auch Sie?

    Strunk: Ich habe so etwas selbst kennen gelernt. Bei Comedyshows im Fernsehen gibt es ja immer diese Kameraschwenks in den Zuschauerraum. Ganz wenige auftretende Künstler haben ein geiles Publikum. In aller Unverschämtheit behaupte ich, dass ich dazugehöre. Meine Zuschauer sind zwischen 25 und 35 und sehen aus, als hätten sie schon mal ein Buch gelesen. Aber bei den größten deutschen Popstars sitzen 90 Prozent Honks.

    Sind Sie unter anderem Schriftsteller geworden, weil Sie auf keinen Fall als Stargast auf Ü-30-Partys enden wollten?

    Strunk: Während meiner Zeit als Tanzmusiker befürchtete ich, noch mit 50 in einem Paulchen-Panther-Kostüm auf Silberhochzeiten spielen zu müssen. Als ich später die „Wochenshow“-Auftritte hatte, lockte mich die Vorstellung, von heute auf morgen berühmt zu sein und endlich mal vernünftig zu verdienen. Damals hatte Marco Rima gerade in den Sack gehauen, und ich hoffte, für ihn reinzurutschen. Aber sie haben Markus Maria Profitlich genommen. Ich war damals wahnsinnig geknickt. Im Nachhinein bin ich darüber natürlich froh.

    Heinz Strunk liest am 4. November um 20 Uhr im Würzburger Saalbau Luisengarten aus „Die Zunge Europas“. Kartenvorverkauf unter: Tel. (09 31) 37 23 98.

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