Von einigen Werken Gerhard Richters steht jetzt schon fest, dass sie zu Ikonen der Kunstgeschichte sind:
• „Tante Marianne“ (1965), Privatbesitz (Asien). Das Doppelporträt, nach einem Foto gemalt, zeigt Richters Tante Marianne Schönfelder mit einem Baby – dem vier Monate alten „Gerd“. Das Bild erscheint wie ein Foto aus dem Familienalbum. Dahinter verbirgt sich eine furchtbare Geschichte: Tante Marianne war schizophren und wurde von den Nazis erst zwangssterilisiert, dann getötet. Wenn der kleine Gerd Dummheiten machte, drohte ihm die Mutter: „Du endest wie Tante Marianne!“ Später heiratete Richter die Tochter des ehemaligen SS-Arztes Heinrich Eufinger, der an den Zwangssterilisierungen beteiligt war. So kreuzen sich in Richters Leben die Linien von NS-Opfern und Tätern.
• „Ema – Akt auf einer Treppe“ (1966). Museum Ludwig, Köln. Das Bild gilt heute als eines der schönsten Werke Richters – 1966 war es ein Skandal. Eine schöne nackte Frau zu malen, das war reaktionär, das hatten in Deutschland zuletzt die Nazis gemacht. Das Bild erschien wie eine Trotzreaktion auf ein Schlüsselwerk der Moderne, Marcel Duchamps „Akt, eine Treppe herabsteigend“ (1912), das den Bewegungsablauf einer Figur stark abstrahiert zusammenfasst. Richters Bild dagegen sieht aus wie ein unscharfes Foto. Der Direktor der Berliner Nationalgalerie lehnte es mit der Begründung ab: „Ich sammle keine Fotos, sondern Malerei.“ Tatsache ist: Seit diesem Bild haben viele Künstler wieder angefangen, Akte zu malen. Die Frau auf dem Bild – Richters erste Frau Marianne Eufinger – ist heute weltberühmt. Sie hat allerdings seit ihrer Scheidung vor 30 Jahren mit „Herrn Richter“ abgeschlossen.
• „18. Oktober 1977“ (1988), Museum of Modern Art, New York. Dieser Gemäldezyklus aus 15 Bildern über die RAF ist Richters umstrittenstes Werk. Der Titel bezieht sich auf die „Todesnacht von Stammheim“, als Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe sich in ihrer Zelle das Leben nahmen. Die Bilder sind alle von Schwarz-Weiß-Fotos abgemalt, überwiegend Polizei- und Pressefotos. Kritiker werfen Richter vor, den Terrorismus zu verharmlosen, weil er nur die Täter, aber kein einziges Opfer gemalt hat. Richter selbst sagt, er wolle die RAF mit den Bildern weder verurteilen noch entschuldigen. Seine Bilder seien dokumentarisch-distanziert. Die Deutung überlasse er dem Betrachter.