Die Toten Hosen werden 30, Sänger Campino wird im Juni 50. Zum Jubiläum gönnt sich die Düsseldorfer Band zwei neue Alben – mit 16 eigenen Liedern und 15 deutschen Coverversionen. Ein Gespräch mit dem Tote-Hosen-Chef über die Piratenpartei und die Wirkung von Musik.
Frage: Ihr neues Album mit eigenen Songs heißt „Ballast der Republik“. Das Cover ist eine Collage, Konrad Adenauer ganz groß, Angela Merkel dagegen sehr klein. Und daneben die Toten Hosen. Gehören Sie auch zum Ballast der Republik?
Campino: Natürlich eher mit einem lachenden Auge. Auf diesem Umschlag ist das zu sehen, was mit diesem Land im weitesten Sinn zu tun hat. Wenn man eine Collage macht, hofft man immer auf den Anspruch der künstlerischen Freiheit. Aber es ist gar nicht so einfach, so etwas zusammenzustellen, ohne Gefahr zu laufen, dass jemand etwas dagegen hat. Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass Angela Merkel gegen das Cover einschreiten wird, es ist ja auch völlig wertfrei. Aber wir dürften zum Beispiel Leute wie Boris Becker und Claudia Schiffer, die eine gewisse Zeit auch irgendwie für Deutschland gestanden haben, nicht ungefragt in diese Collage einbauen. Die Sache wäre wesentlich schärfer ausgefallen, wenn wir wirklich freien Lauf gehabt hätten.
Hatten Sie als Band von Anfang an den Anspruch, die Bundesrepublik Deutschland zu verändern?
Campino: Das wäre jetzt zu groß. In den 1980er Jahren war es aber schon so, dass man über die Musik Massen mobilisieren konnte. Wir erinnern uns alle an die Konzerte gegen Rassismus und die Festivals gegen Atomkraft. Bei der Aktion gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf kamen Hunderttausende. In diesen Momenten hatte man schon gedacht, wir alle könnten etwas bewegen. Auch die Live-Aid-Veranstaltungen um Bob Geldof hatten ihre Wirkung. Aber es hat keine Nachhaltigkeit, die Sachdiskussion muss dann anders geführt werden, die kann ja nicht über Musik laufen.
Hat Musik heute weniger Wirkung?
Campino: Die Bedeutung der Musik hat sich in unserer Gesellschaft sehr geändert. Es wird immer so bleiben, dass sie für uns alle im gewissen Sinn der Soundtrack des Lebens ist. Man heiratet zu Musik, man beerdigt zu Musik. Sie wird immer Gefühle unterstützen, aber die Zeiten, in denen sich junge Leute über sie identifiziert und irgendwo auch definiert haben, sind vorbei. Wenn Ende der 1970er Jahre jemand sagte, er höre die Sex Pistols, dann war das mehr als nur eine Auskunft. Es war ein Statement. Diese unmittelbare Verknüpfung, die Musik seiner Helden zu hören und auch nach deren Gesetzen zu leben, gibt es nicht mehr. Aber ich trauere der Sache nicht hinterher, ich stelle das einfach völlig wertfrei fest.
Beobachten Sie das politische Personal in Deutschland mit Interesse?
Campino: Mit Interesse wäre sicherlich übertrieben. Die Politik arbeitet hart daran, dass man sich von ihr abkehrt. Einzelne Persönlichkeiten in diesem Sumpf des Mittelmaßes zu finden ist eine schwierige Aufgabe. Die Generation der Politiker, die wirklich etwas bewegen wollte, weil sie noch unter den Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs lebte, stirbt langsam aus. Typisch für heute sind eher Karrieretypen. Denen ist letztendlich weniger wichtig, in welcher Partei sie sind, Hauptsache, Aufstiegschancen sind da. So kommt es, dass das Profil der Parteien sich verwischt und eine Gruppierung wie die der Piraten eine solche Chance bekommt – einfach nur, weil die Wähler genervt sind. Ich finde das sehr bedauerlich. Das Geschwätz der Piraten ist unreif und planlos, die Zuneigung seitens der Wähler kann man nur als vorzeitige Protestnote verstehen. Die klassischen Parteien müssen es sich ankreiden, dass sie das mit verursacht haben. Das ist kein schönes Ergebnis.
Auch die Grünen zeichneten sich anfangs durch unbedarftes, amateurhaftes Herangehen an die Politik aus und haben mit einem Reizthema die Parlamente erobert. Geben Sie den Piraten die gleiche Chance?
Campino: Ich konnte damals schon deutlich mehr mit den Idealen der Grünen anfangen. Ich finde, die Piraten sind überhaupt nicht genau zu orten. Für mich ist das eine chaotisierte FDP-Version. Viele Sachen könnten auch ganz subtil von den Rechten kommen. Eine völlig fehlgeleitete Freiheitsdiskussion im Internet zum Beispiel. Wir alle wissen, dass es für die Gesetzgebung eine wahnsinnige Schwierigkeit ist, der Entwicklung im Netz hinterherzukommen. Ich beobachte natürlich mit großem Interesse die Urheberrechtsdiskussion. Einerseits gibt es Schwierigkeiten mit dem Urheberrecht im Internet, andererseits darfst du noch nicht einmal eine zentimetergroße Abbildung einer öffentlichen Person auf einem Albumcover haben, ohne ein Risiko einzugehen. Da stimmt die Verhältnismäßigkeit einfach nicht mehr. Diese Diskussion ist sehr komplex und schwierig.
Sind Politsongs heute noch cool?
Campino: Es ist heute schwieriger, zum Tagesgeschehen einen Kommentar abzulassen, weil sich die Ereignisse viel mehr überschlagen als früher. Vor zwei, drei Jahren hatten wir ein persiflierendes Lied über Guido Westerwelle gemacht, haben es aber im letzten Moment gestoppt, weil sich ohnehin ein Shitstorm gegen ihn ankündigte. Wir wollten nicht als Wellenreiter dastehen. Rückblickend ist der Typ – und seinesgleichen – auch gar kein Lied wert. Gott sei Dank ist es ruhiger um ihn geworden, seine erste Zeit als Außenminister war entsetzlich. Ein Fehltritt nach dem anderen. Für mich war das schon vorher klar, ich fühle aber keinen Triumph.
Kritik an Einwanderungspolitik
Mit dem Lied „Europa“ üben Sie Kritik an der europäischen Einwanderungspolitik. Wie denken Sie über eine Politik, die irreguläre Migration zu verhindern versucht?
Campino: Mit diesem Lied wollen wir einen Skandal wieder in Erinnerung bringen. Man liest jede Woche, dass irgendwo im Mittelmeer Flüchtlingsboote kentern. Und wenn diese Menschen doch aufgegabelt werden, schickt man sie schnell wieder zurück. Das ist eine EU-abgesprochene Geschichte, für die wir Deutschen genauso verantwortlich sind wie die Italiener vor Ort. Es gilt in diesem Europa immer noch, erst einmal die Grenzen zuzumachen und seinen eigenen Wohlstand zu sichern, bevor man dann überlegt, irgendwelche Entwicklungsprogramme in Afrika zu unterstützen. Die Taktik ist, den anderen möglichst unten zu halten, um selber sein Niveau retten zu können. Es ist erschreckend, wie stoisch und gelassen man diese ständigen Meldungen in sich aufnimmt, ich schließe mich da selbst nicht aus.
„Ballast der Republik“ (1 CD, JKP/Warner), „Ballast der Republik/Die Geister, die wir riefen“ (2 CDs im Schuber), auch als Jubiläums-CD-Box und als Vinylausgabe. Ab 5. Mai im Handel.