Der Gefangenen-Chor aus Verdis Oper „Nabucco“ ist das vorletzte Musikstück, das die Kastelruther Spatzen anbieten. Tragende Zeile darin: „Die Gedanken sind frei“. Deshalb darf man auch seit nunmehr 30 Jahren von den Südtirolern halten, was man will. Die einen sagen „Mehr Schmalz geht nicht“, die anderen fühlen sich in ihrem Innersten berührt. Tatsache ist, dass die Spatzen auch diesmal die s.Oliver Arena füllten, trotz des vom Boulevard aufgeblasenen Vorwurfs, sie würden nicht live spielen.
Ihre Studio-Alben wurden teilweise von Leih-Musikern produziert, auf der Bühne aber ist alles echt. Darauf legt Norbert Rier, Sänger und Conférencier in einem und soeben von einer leichten Lungen-Embolie genesen, großen Wert. Etwa 40 von 700 eigenen Liedern im Repertoire der volkstümlichen Musikanten durfte sich das vorwiegend betagte Publikum diesmal zu Gemüte führen.
Manch unfreiwillige Komik
Bei den erfolgreichsten Nummern, die schon ein paar Jahre zurückliegen, sang und schunkelte es stehend mit, saugte die eingängigen, einfachen Melodien und die noch einfacheren Texte richtiggehend auf. Es ließ sich auch nicht von manch unfreiwilliger Komik aus dem Takt bringen.
Aber es kann sich nun mal nicht jeder ernsthaft vorstellen, wenn die Texte „Jeder Tag ist eine Rose“ oder „Wenn meine Berge träumen“ oder gar „Gott hatte einen Traum und dann erschuf er Dich, und mit der rechten Hand schuf er Dein Gesicht“ behaupten. Wer aktuell auf dem Laufenden war, konnte sich angesichts des derzeitigen Fleischskandals bei „Eine Herde stolzer Pferde“ (es waren Haflinger, die über die drei Video-Wände galoppierten) ein Grinsen kaum verkneifen. Das ändert nichts daran, dass die Kastelruther eine eingefleischte Fan-Gemeinde besitzen. Die Clubs aus Gerolzhofen, Bamberg und den Haßbergen zum Beispiel waren wieder da, um sich die Balladen von Bergen und Blumen, Heimat und Herz, Verlust und Verlieben zu Gemüte zu führen. Viele von ihnen werden wieder zu den großen Open-Air-Konzerten (7. und 8. Juni) oder zum 29. Spatzenfest (11. bis 13. Oktober) nach Südtirol wallen.
Diesmal hatte Norbert Rier einen Überraschungsgast dabei, seinen Sohn Alexander, einen schmucken Burschen mit einer angenehmen Stimme, der bei seinem Schlager- Medley mit „Fiesta Mexicana“, „Mendocino“ oder „Ein Bett im Kornfeld“ fast mehr Beifall einheimste als der Papa.
Doch dessen Musik ist vielen viel wert. Wie sonst lässt es sich erklären, dass sie trotz der gewiss nicht billigen Tickets auch noch jede Menge an Blumen und Geschenken, darunter eine schwere Metall-Tafel mit dem Text „30 Jahre Kastelruther Spatzen“ zur Bühne vortrugen. Seit 1991 ist der in Würzburg geborene Schlagzeuger Rüdiger Hemmelmann ein Spatz.
Hand aufs Herz: Wer hat sich nicht schon mal von Hymnen wie „Schatten überm Rosenhof“, „Und ewig ruft die Heimat“, „Hinter jedem Regenbogen geht die Sonne wieder auf“, „Eine weiße Rose“ oder „Ciao Amore“ rühren lassen – besonders, wenn silberne Disco-Kugeln in übergroßen weißen Blüten einen leuchtenden Sternenhimmel in die sonst so nüchterne Sporthalle zaubern.