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WÜRZBURG: Mainfranken Theater: Bravos für die "Diva der Nazis"

WÜRZBURG

Mainfranken Theater: Bravos für die "Diva der Nazis"

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    Tamara Stern als Zarah.
    Tamara Stern als Zarah. Foto: Foto: Nik Schölzel, Mainfranken Theater

    Eine kleine Szene gegen Ende der zweieinhalb Stunden sei vorangestellt: Da kommt Heinz Rühmann im Seemannskostüm auf die Bühne gehuscht, trällert sein Stolze-frauenherzensbrecher-Lied und rechtfertigt sich dann – als Angeklagter vor den Entnazifizierern und dem schlechten Gewissen. Schnodderig, unschuldsengelsgleich, mit bekannt jovialem Ton: „Der Volksgenosse Rühmann, der war seinem Publikum verpflichtet.“

    Es ist eine kleine, großartige Szene an einem erstklassigen Theaterabend. Denn Grit Paulussen spielt diesen Rühmann schlicht anrührend grotesk. Und enorm wandlungsfähig, denkt man an all die anderen Rollen, in die sie schlüpft. Einen Hitler-Goebbels eingeschlossen.

    Aber zur Hauptsache: „Ich Zarah oder das wilde Fleisch der letzten Diva“ hatte am Samstag am Mainfranken Theater Würzburg Premiere. Eine deutsche Erstaufführung, denn das Stück des österreichischen Autors Franzobel war erst – als Auftragsarbeit – vor zwei Jahren am Vorarlberger Landestheater uraufgeführt worden. Und gefeiert. Die Regie in Bregenz hatte Markus Trabusch geführt, Würzburgs neuer Intendant. Und der brachte – um im Oktober beim Neustart einen satten Spielplan fürs große Haus bieten zu können, seine Erfolgsinszenierung samt den vier Schauspielern einfach mit.

    Klug und unterhaltsam

    Ein Glück für das Mainfranken Theater. Denn wie Franzobel die Geschichte der „Durchhaltesängerin“, der „Reichsgemütssirene“, erzählt – mit cleveren Zeitsprüngen und der Kunstfigur Lazarus – ist lehrreich, klug, unterhaltsam, oft sogar witzig zugleich. Zarah Leander, legendäre, mit vielen Gerüchten umrankte Künstlerin, Sängerin mit sinnlichem, rauchig-verführerischem Kontraalt, einer der größten Stars des „Dritten Reiches“. Als „Diva der Nazis“ und berechnende Karrieristin verschrien, hatte sich die gebürtige Schwedin nach 1945 stets gegen alle Vorwürfe gewehrt und sich – rechtfertigend – eine „politische Idiotin“ genannt.

    „Wildes Fleisch“, damit ist nicht Verruchtheit, Expressivität gemeint. Sondern das „wilde“ Fleisch, das nicht mehr heilt. Tamara Stern spielt, ist diese Zarah, die von Tabletten und Alkohol zerrüttet am Bühnenrand kauert, verirrt in ihrem Konstrukt aus falschen Antworten. Und sie ist die Zarah, die stolz hoch oben im Scheinwerferlicht steht, die steile Showtreppe auf und ab steigt und „Kann denn Liebe Sünde sein“ singt.

    Eindrucksvoll, wie die 41-jährige deutsch-israelische Schauspielerin diese gefeierte, strahlende Sängerin gibt, diese alternde abgewrackte Diva, die ihre Vergangenheit nicht loswird (leider erfährt man über die vier exzellenten Schauspieler im Programheft außer den Namen nichts.) Franzobels Verdienst: Dass er nicht moralisiert, nicht anklagt, nur Fakten anreißt und der Geschichte – trotz der Gassenhauer, Schlager, der violinensatten Töne – Tiefgang lässt.

    Geiger Ralf Brösamle, Bassist Lorenz Huber, Tobias Schirmer am Schlagzeug und Pianist Marco Netzbandt sorgen am Rande der Showtreppe für die Musik. Zehn kleine Sängerinnen der Mädchenkantorei dürfen anfangs die Heile-Welt-Stimmung verbreiten mit glockenzartem Lied. Nach der Pause, wenn es in die Tiefe geht und die Bretter, die die Welt bedeuten, nur noch ein schmaler Holzsteg sind, spielt das formidable Quartett im Orchestergraben.

    Und dann ist da eben die Kunstfigur des Lazarus Modriach, gespielt von Benjamin Bieber. Aus der Jetzt-Zeit kommend, taucht er, für den Zara(h) eine Modemarke ist, verwirrt ein in die Geschichte der schwedischen Sängerin. Er mischt sich ein, erwidert, kommentiert, begegnet Zeitgenossen wie in Schweden dem ersten Ehemann der Sara Stina Hedberg, oder dem Komponisten Bruno Balz, dem Produzenten leichter Muse, Texter von zig Klassikern, der Rühmann, Leander und Heesters mit Hits zu Helden machte. Seine Homosexualität wurde ihm, trotz Scheinehe, unter den Nazis zum Verhängnis. 1941 kam er, von der Gestapo verhaftet, nur wieder frei unter der Bedingung, dass er in 24 Stunden alle Songs für den anstehenden Ufa-Film mit Zarah-Leander schrieb. „Davon geht die Welt nicht unter“ und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, entstanden in dieser einen Nacht. Gespielt wird Balz vom faszinierenden Herbert Schäfer, der Wandlungsfähigkeit zeigen und am Ende als standhafte Marlene Dietrich „Lili Marleen“ singen darf und mit erhobenem Haupt auf die Angepassten und Regimekonformen schaut. Großer Applaus im nicht ganz ausverkauften Haus. Und zwar nicht 168 Vorhänge, wie einst in Wien für die Zarah Leander. Aber fast so viele Bravos – für eine durch und durch feine Inszenierung eines genialen Stücks.

    Nächste Vorstellungen: 15., 23., 23. Oktober. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124

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