Krasser könnten die Kontraste nicht sein. Am Anfang stehen das Inferno, der Schrecken und der Tod. Am Ende triumphieren der Glaube, die Hoffnung und die Liebe. Alles beginnt mit der düsteren, großflächigen Installation „Das Jüngste Gericht“ des vor zwei Jahren gestorbenen britischen Bildhauers Anthony Caro, die zwischen 1995 und 1999 unter dem Eindruck des Kosovo-Kriegs entstand, im völlig abgedunkelten Lichthof des Berliner Martin-Gropius-Baus.
Niemand kommt daran vorbei, jeder muss durch das Inferno durch. Doch es endet mit der „Schutzmantelmadonna“, die Hans Holbein der Jüngere zwischen 1525 und 1528 in Basel schuf. Maria wird als gütige Mutter gezeigt, die ihr nacktes, schutzbedürftiges Kind – und somit die gesamte Menschheit – liebevoll in den Händen hält.
Knapp 500 Jahre liegen zwischen den beiden Kunstwerken – und doch haben sie eines gemeinsam: Sie gehören dem Künzelsauer Unternehmer und Sammler Reinhold Würth. Und beide sind bis 10. Januar im Berliner Martin-Gropius-Bau, dem monumentalen Ausstellungsgebäude der Berliner Festspiele am ehemaligen Mauerstreifen in Kreuzberg, zu sehen.
Aus Anlass seines 80. Geburtstags im April hat der schwäbische Schrauben-Milliardär sich – und den Berlinern – ein besonderes Geschenk gemacht. Aus seiner mittlerweile rund 17 000 Bilder, Gemälde, Skulpturen und Installationen umfassenden Sammlung stellten C. Sylvia Weber, die Direktorin der 15 Museen der „Sammlung Würth“, und Peter-Klaus Schuster, einst Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin und nunmehr Mitglied des Kunstbeirats der Würth-Gruppe, unter dem Titel „Von Hockney bis Holbein“ rund 470 Meisterwerke von der Gegenwart bis zur Renaissance zusammen.
Entstanden ist auf diese Weise nach Schusters Worten ein „imaginäres Museum Würth auf Zeit“, in der die Geschichte der europäischen Kunst rückwärts erzählt wird, gegen den Strich und gegen die Konvention mit überraschenden Ein- und Querblicken. Auf gut 5000 Quadratmetern Fläche im gesamten Erdgeschoss und in der Hälfte des ersten Obergeschosses zeigt der 80-Jährige einen repräsentativen Querschnitt seiner höchst subjektiven Sammelleidenschaft, die sich gleichwohl wie ein Who's who der Kunstgeschichte liest und keinen großen Künstler auslässt. Vieles habe er „aus dem Bauch heraus“ gekauft, sagt, so auch sein allererstes Bild, „Wolkenspiegelung in der Marsch“ von Emil Nolde.
„Das Werk war sehr farbenfroh, sehr expressiv, das hat mir gefallen.“ Und er gibt zu: „Es gefällt mir immer noch.“ Die Ausstellung im Gropius-Bau erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch weist sie einen roten Faden auf. Sie überrascht den Besucher vielmehr mit der Vielfalt der Objekte und den oftmals scharfen Kontrasten. Figürliches hängt neben Abstraktem, mexikanische Kunst neben den Werken von Max Ernst. Den Porträts von Lucas Cranach dem Älteren oder Bernhard Strigel werden Porträts von Fernando Botero oder Alex Katz gegenübergestellt. Und eine anmutige Kreuzigungsgruppe aus Augsburg oder München von 1620 mit einer trauernden Maria Magdalena aus rotem Buchsbaumholz kontrastiert mit der monumentalen „Bibliothek (mit Meteorit)“ von Anselm Kiefer aus Blei aus dem Jahr 1991. Eigene Räume sind Pablo Picasso, Max Beckmann, Max Ernst sowie Christo gewidmet, zudem der Karlsruher Akademie. Ein Großteil des Obergeschosses gehört zeitgenössischen österreichischen Künstlern.
Und in der „Wunderkammer“ stehen schließlich, wie bei einem Fürsten der Renaissancezeit, die unterschiedlichsten Preziosen nebeneinander, Porzellantabakdosen, Elfenbeinschnitzereien, Gold- und Silberschmiedearbeiten sowie bizarre Fantasiemöbel . . .
Mittendrin die strengen mittelalterlichen Statuen des Würzburger Schnitzers Tilman Riemenschneider. Alle Wege enden bei der „Schutzmantelmadonna“, dem teuersten in Deutschland jemals gekauften Kunstwerk, das Reinhold Würth nach jahrelangem Tauziehen für geschätzt 60 Millionen Euro erwarb. Für das Gemälde ist es zugleich eine Rückkehr in die alte Heimat – von 1822 bis 1853 hing Die Madonna im „Grünen Zimmer“ des Hohenzollernschlosses. Eine Polizeieskorte begleitete sie auf ihrem Weg von Schwäbisch Hall nach Berlin.
Öffnungszeiten: „Von Hockney bis Holbein – Die Sammlung Würth in Berlin“ im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin-Kreuzberg ist bis 10. Januar 2016 täglich außer Dienstag von 10 bis 19 Uhr zu sehen.