Es war eine Detektivarbeit“, sagt Claus-Christian Carbon. Im Mittelpunkt dieses Krimis – um im Bild zu bleiben – steht die Mona Lisa. Carbon, 43, ist Wahrnehmungspsychologe. Zusammen mit seiner Mainzer Kollegin Vera M. Hesslinger hat der Professor der Universität Bamberg das berühmte Gemälde mit den Methoden seiner Wissenschaft untersucht. Ergebnis: „Leonardo da Vinci hat eine 3-D-Komposition geschaffen.“ Carbons Forschung macht das ohnehin schon von allerlei Rätseln und Verschwörungstheorien umgebene Gemälde noch ein bisschen geheimnisvoller.
Begonnen hatte die Detektivgeschichte vor zwei Jahren, als der Pariser Louvre für eine Ausstellung eine Kopie der Mona Lisa aus dem Madrider Prado anforderte. Das dortige Double des Louvre-Originals hatte man bis dahin für eine Arbeit aus dem 17. Jahrhundert gehalten. „Der Hintergrund war schwarz“, erklärt Claus-Christian Carbon. Bevor man das Werk nach Paris schickte, untersuchte man es mit Infrarot-Technik. Und fand im Hintergrund die gleiche Landschaft wie beim Leonardo-Bild. Zudem zeigte sich, dass an dem Gemälde die gleichen Verbesserungen vorgenommen worden waren wie beim Original – „und das bis in die untersten Malschichten“, erklärt Carbon. Da war klar: Beide Bilder mussten zur selben Zeit gemalt worden sein.
„Die Prado-Version ist nicht einfach eine Kopie in dem Sinne, dass das eine Bild vom anderen abgemalt wurde“, so Professor Carbon. „Es ist aus einem anderen Winkel gemalt. Auch der Maler des Prado-Bildes arbeitete vor dem Modell.“ Dementsprechend seien die Perspektiven verschieden: „Man sieht zum Beispiel bei dem Prado-Bild mehr von den Haaren. Man sieht auch ein Stück des Hockers, auf dem die Gioconda sitzt. Bei da Vinci ist das nicht zu sehen, weil er von einem anderen Blickwinkel aus malte.“ Der zweite Maler stand offenbar leicht versetzt links von Leonardo.
Carbon entdeckte, dass ein und dasselbe Motiv aus zwei unterschiedlichen Perspektiven gemalt worden war. Der gebürtige Schweinfurter hatte sich schon früher mit Leonardos Meisterwerk wissenschaftlich befasst. „La Gioconda“, wie das Bild offiziell heißt, fesselte ihn erneut. Ein Jahr lang wurde analysiert, simuliert und gerechnet. „Wir haben die Situation auch nachgestellt“, erzählt der Wissenschaftler. Resultat: Der Unterschied der Blickwinkel macht etwa zwei Grad aus. Umgerechnet entspreche das einem Augenabstand von 69 Millimetern – was dem durchschnittlichen Augenabstand eines italienischen Mannes (64 Millimeter) erstaunlich nahe kommt. Jedes Auge nimmt ein Objekt aus einem unterschiedlichen Winkel auf. Die sogenannte Parallaxe ist Grundlage für das räumliche Sehen. Das Gehirn rechnet die „verschobenen“ Seheindrücke in ein dreidimensionales Bild um.
Umgekehrt lassen sich räumliche Effekte erzeugen, indem man zwei zweidimensionale Bilder übereinanderlegt, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln fotografiert wurden – oder eben gemalt. Genau das haben die Wissenschaftler getan. Mithilfe eines Computers legten sie die beiden Giocondas übereinander, stellten sogenannte Anaglyphen her. Das heißt: Eines der Bilder wurde rötlich eingefärbt, das andere grünlich. Letztendlich benötigt man dann nur noch eine einfache zweifarbige 3-D-Brille – und schon lächelt die Schöne in der dritten Dimension. Besonders deutlich ist die Raumwirkung beim Kopf und bei den Armen.
Die Wissenschaftler aus Bamberg und Mainz können also zeigen, dass man aus den beiden Gioconda-Versionen ein 3-D-Bild herstellen kann. Dass das von Leonardo da Vinci auch beabsichtigt war, kann indes nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Es könnte alles auch ein Zufall sein. Ein unterschiedlicher Blickwinkel aufs Modell ergibt sich ja zwangsweise, wenn zwei Maler gleichzeitig arbeiten. Womöglich standen Leonardo und sein Schüler rein zufällig im passenden Abstand. „Wir sind Wissenschaftler und müssen das in Betracht ziehen“, sagt Claus-Christian Carbon. Letzte Gewissheit für die 3-D-Theorie gebe es nicht.
Man wisse zwar generell, dass sich Leonardo intensiv mit dem Problem der dreidimensionalen Darstellung beschäftigt habe. Doch nur, wenn sich in den Aufzeichnungen des Universalkünstlers ein Hinweis fände, dass er das konkret mit der Gioconda versucht habe, könne man sicher sein. Nach solch einem Hinweis sucht man bislang aber vergeblich.
Freilich hätten schon mehrere Zufälle zusammenwirken müssen, damit die Mona Lisa als 3-D-Bild funktioniert: Unter anderem muss der Blickwinkel genau stimmen, und die Kopie muss extrem exakt sein. Zudem: Auf dem Louvre-Bild der Gioconda sind die Ärmel grünlich, auf dem aus dem Prado rötlich – vielleicht ein Indiz, dass Leonardo in Richtung Anaglyphen experimentierte.
Carbon glaubt, dass der Renaissance-Meister zwar auf der richtigen Spur war und mit der Mona Lisa zwischen 1503 und 1506 tatsächlich die erste dreidimensionale Bildkomposition der Geschichte schuf. Früheste stereoskopische Bilder wurden bislang in die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert. Aber: „Letztlich ist er wohl gescheitert.“ Es gelang Leonardo vermutlich nicht, die beiden Giocondas zu einem einzigen, dreidimensionalen Bild zu vereinigen. Das klappt erst heute, mit moderner Technik.
Claus-Christian Carbon hält sich die 3-D-Brille vor die Augen und betrachtet die computerbearbeiteten Bilder. Noch immer verblüfft von dem Effekt – auch nach Monaten intensiver Beschäftigung mit dem Bild.
Die Mona Lisa aus dem Prado
Als Sensation galt es, als Anfang 2012 im Madrider Prado eine Zwillingsschwester von Leonardo da Vincis Mona Lisa auftauchte. Dem Gemälde war bis dahin keine große Bedeutung beigemessen worden, es galt als eine der zahlreichen Kopien. Das Prado-Gemälde zeigte die Lächelnde ursprünglich vor schwarzem Hintergrund (Bild oben). Die Besonderheit des Gemäldes wurde erst offenbar, als es nach einer Infrarot-Untersuchung restauriert wurde. Dabei wurde die schwarze Hintergrund-Farbe abgenommen (Foto rechts). Darunter zeigte sich die gleiche Landschaft wie bei dem im Pariser Louvre hängenden Bild von Leonardo. Gemalt wurde das Prado-Bild, so vermutet man heute, gleichzeitig mit dem Louvre-Original und auch direkt vor dem Modell. Das war mutmaßlich die Florentiner Kaufmannsgattin Lisa del Giocondo. Als Maler des Prado-Bildes kommt Leonardos Meisterschüler Francesco Melzi infrage. Möglich ist aber auch, dass der da-Vinci-Geliebte Salai die Doppelgängerin von La Gioconda (Die Heitere), wie die Mona Lisa offiziell heißt, schuf. Die frischen Farben, die das Prado-Bild seit der Restaurierung zeigt, hätte auch das Leonardo-Original, wie Untersuchungen nahelegen. Beim Original ist der Firnis stark vergilbt. Das verfälscht die Farben. Der Schöpfer der Prado-Gioconda malte das Bild in herkömmlicher Technik. Leonardo da Vincis Original besticht durch die sogenannte Sfumato-Technik. Der Renaissance-Meister (1452 bis 1519) legte dazu mit feinstem Pinselstrich dünne, mit Weiß vermengte Lasurschichten übereinander. Das erzeugt eine durchschimmernde, geheimnisvoll gebrochene Farbtönung.
Die Landschaft im Hintergrund der beiden Bilder – des Originals ebenso wie des Doubles – ist vermutlich nicht real, wie die 3-D-Untersuchungen des Bamberger Professors Claus-Christian Carbon nahelegen (siehe auch Artikel oben). Das Modell war im Atelier vermutlich vor einem gemalten, also zweidimensionalen Hintergrund postiert, zu dem auch die Loggia gehört. Ähnlich wird noch heute – etwa in Fotostudios – mit Hintergrund-Szenen gearbeitet. Text: hele/ FOTOs: dpa