Sie waren einfach da. Und sie wollten nicht mehr verschwinden. Als hätten sie ihm beim Schreiben - plötzlich und unvermittelt - über die Schulter geschaut, sagt Roman Rausch. Als wollten Kilian und Heinlein mitmischen – und wieder ermitteln. Es war Februar, Roman Rausch hatte am Text von „Wunderland“ gesessen. Jener Revue, die im Sommer in Gerolzhofen uraufgeführt werden sollte. So jedenfalls war der Plan.
Und beim Thema Terror, Radikalisierung . . . da waren seine Ermittler aus dem Nichts aufgetaucht. Waren da, spukten herum – und gingen Roman Rausch nicht wieder aus dem Kopf.
Kilian und Heinlein? Tatsächlich?
Sieben Bücher hat Roman Rausch, Autor aus Unterfranken und seit langem in Berlin wohnhaft, über die Kommissare Kilian und Heinlein geschrieben. 1990 ging es los mit „Tiepolos Fehler“ . . . und dann weiter fast im Jahrestakt. Es war die Zeit der amüsanten Regionalkrimis, jetzt kamen welche aus Würzburg. Und in den Fällen der beiden mainfränkischen Kriminalbeamten spiegelten sich Lebensart, Geschichte und Befindlichkeiten der Stadt. Die Krimis erschienen bei Rowohlt. 2010, nach „Der Seilschaft“, hatte Rausch von Kilian und Heinlein genug.
„Ich wollte sie in Frieden ruhen lassen“, sagt der 59-jährige Schriftsteller. Die Figuren seien „auserzählt“ gewesen, das Konzept habe sich einfach überholt gehabt. Der Humor, der Dialekt, diese starke lokale Verortung, das „Kabbeln zwischen Bayern und Franken, das war gegessen, war vorbei". Angesprochen von seiner Leserschaft wurde der gebürtige Gerolzhöfener freilich immer wieder im vergangenen Jahrzehnt. Wann es denn mit Kilian und Heinlein weitergehe. Tenor: „Wir warten!“
„Ach, man enttäuscht doch nur Erwartungen“, sagt Roman Rausch. „Ich wollte und will bis heute nicht die gleiche Geschichte ein Dutzend Mal erzählen oder Staffel um Staffel in die Länge ziehen wie auf Netflix.“ Rausch schrieb lieber anderes. Thriller, historische Romane, Theaterstücke.
Und dann, mitten in der Arbeit am Theaterstück, das auf 75 Jahre Deutschland seit Kriegsende zurückblickt, da saßen Kilian und Heinlein plötzlich mit am Schreibtisch. Das Thema wiederaufgeflammter Nationalismus und zunehmende Radikalisierung trieb Roman Rausch um. „Und da schoss ein Gedanke quer: "Wie würden Kilian und Heinlein damit umgehen?" Würden seine beiden Ermittler auch nur Einzelfälle von rechter Gesinnung in den Sicherheitsbehörden sehen – "oder sind sie schon einen Schritt weiter?"
Im Lockdown im März, April schrieb Roman Rausch die ersten Seiten. Und schrieb weiter und schrieb. Schrieb sich – das Kulturleben bundesweit war heruntergefahren - in einen Flow. Offenbar hatte sich "da was angesammelt über zehn Jahre", sagt Rausch. "Ich hab selbst nicht geglaubt, wie schnell ich fertig war."
Nach drei Monaten lag "Gallo rosso" vor ihm. Ein Roman über eine neue Mafia, rechte Seilschaften, kriminelle Geschäfte vor der geisterhaften Kulisse Venedigs im Februar 2020. Untertitel: "Kilian und Heinlein sind zurück". Kilian, der Ex-Kommissar, verfolgt- getrieben von der Frage, warum seine Freundin einst bei einer Explosion sterben musste - in Italien einen mysteriösen Mafiaboss. Die Suche führt ihn, so besagt der Klappentext, nach Neapel, Rom und Turin, zu Baby-Gangstern, Pfarrern und Prostituierten. Und Heinlein, Polizeipräsident inzwischen, ist überzeugt, dass sein ehemaliger Kollege einem Mythos nachjagt. Bis er nach einem Selbstmordanschlag auf einen ICE in Würzburg auf den Namen „Gallo“ stößt . . . Heinleins Ermittlungen führen ins Darknet und zu rechten Netzwerken – und in der abgeriegelten Lagunenstadt Venedig sehen sich die beiden Ermittler schließlich wieder.
Ja, sagt Rausch, "die zehn Jahre sind an den beiden nicht spurlos vorbei gegangen". Ein "Wieder so" und "Weiter so" kam nicht in Frage . . . "ich denke, auch meine beiden Kommissare hätten sich quergestellt." Also: Schluss mit dem Klamauk der ersten Bände. Und der Dialekt ist weg. Der sei ja überhaupt eine "garstige Angelegenheit, das war nie richtig gut". Und auch sonst, das Thema ist zu ernst. "Keine Zitronenbäumchen, kein Eros Ramazzotti. Mit Bella Italia ist es in dieser Geschichte nicht mehr weit her."
Die erste Phase der Corona-Krise, die Lähmung der Kulturszene, das Aus für das Gerolzhofener Theaterprojekt in diesem Jahr – Roman Rausch bewältigte es schreibend. Die vielen, nicht endenden Nachfragen der Heinlein- und Kilian-Fans in den vergangenen Jahren seien dann doch auch Motivation gewesen. Und, versichert der Wahl-Berliner: Die Würzburger Leser würden die beiden Ermittler schon wiedererkennen. "Ich habe ihren Kern freigelegt, sodass sie über ein geweitetes emotionales Spektrum verfügen. Sie sind jetzt verletzlicher, aber auch entschiedener." Das Leben habe Kilian und Heinlein die Flausen ausgetrieben, sagt ihr Erfinder.
Wie bei seinen historischen Romanen versuchte Rausch, für den Mafia-Krimi ausgiebig zu recherchieren – soweit es ging. Er fühlte sich irgendwann beim Schreiben "vom wahre Leben eingeholt": "Was als Fiktion angelegt war, hat sich stellenweise als Tatsache herausgestellt." Des Lockdowns wegen habe er zwar nicht an alle Schauplätze seiner Geschichte reisen können. Aber im Sommer war Rausch auf dem Westbalkan und in Norditalien unterwegs – und in einem menschenleeren Venedig.
Und jetzt? Das Buch ist da, erschienen in neuem, jungen Berliner Literaturverlag. Und Schriftsteller Roman Rausch "muss schauen, wie der Titel überhaupt ankommt". Wie und ob es weitergehen wird, mit seinen Würzburger Ermittlern? Alles offen. Erst einmal ist da die Frage, wie es im nächsten Sommer mit dem Wandeltheater in Gerolzhofen weitergehen kann. Corona, sagt Roman Rausch, gehe für die Kulturschaffenden an die schiere Existenz: Eine Art Kurzarbeitergeld oder befristetes Grundeinkommen für Künstler wäre existentiell notwendig gewesen. Von einem Land, das sich seiner reichhaltigen Kultur rühmt, hätte ich mehr als warme Worte und teils unsinnige Hilfsprogramme erwartet."
Buchtipp: Roman Rausch, "Gallo rosso. Kilian und Heinlein sind zurück", Kriminalroman, Schruf & Stipetic Berlin, 304 Seiten, 11,90 Euro
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