„Wir brauchen einen Anzug, so im Stil ,Bürgermeister von Würzburg‘, und einen ,Typ Mafia‘.“ Zwei Männer im Schlepptau, verschwindet Birgit Remuss zwischen Kleiderständern voll überwiegend dunkler Herrenoberbekleidung.
Die Kostümbildnerin will im Outlet der Mömlinger Kleiderfabrik Klotz aus zwei Schauspielern des Würzburger Mainfranken Theaters Politiker für das Schiller-Stück „Der Parasit“ machen. Darin geht es um Intrigen in höchsten Kreisen (siehe „Im Blickpunkt“ rechts unten).
„Politiker und Schauspieler haben viel gemeinsam“, meint Birgit Remuss. Ein Schauspieler wird auch dank des Kostüms zu einer Bühnenfigur. Das Image eines Politikers transportiert sich in unserer von Fernsehbildern geprägten Zeit vor allem durch die äußere Erscheinung. In 90 Sekunden „Tagesschau“-Beitrag muss ein Vertrauen erweckendes, Kompetenz vermittelndes Bild aufgebaut werden. Der erste Eindruck dominiert. Äußerlichkeiten sind wichtiger als Erklärungen, der Anzug, das Kostüm des Politikers, dominiert über den Inhalt.
Wirkung über die Optik zu erzielen „ist eine Entwicklung, die aus Amerika kommt“, glaubt Birgit Remuss. Auch ein Querdenker wie Joschka Fischer konnte sich dem Zwang zum Kostüm auf der politischen Bühne nicht entziehen. Mitte der 1980er Jahre ließ er sich noch in Jeans und Turnschuhen als hessischer Minister vereidigen. „Zum Schluss hat auch er teure Anzüge getragen“, so Remuss.
Topmodisch ist nicht immer gut
„Birgit, hast du das gesehen?“, ruft Rainer Appel zwischen den Kleiderständern des Mömlinger Outlets hervor und hält einen Kleiderbügel hoch: Dünne Längsstreifen glänzen auf dunklem Anzugstoff. Ausstatterin Remuss verzieht skeptisch den Mund. Nicht seriös genug, findet sie. Appel spielt im „Parasit“ den an sich vertrauenswürdigen Chef, den Bürgermeister-von-Würzburg-Typ eben. Da ist zwar Modisches Pflicht. Es darf aber nicht zu auffällig sein. Gediegen bis fast ein bisschen langweilig, heißt die Devise.
Topmodisch und aufregend ist nicht immer und nicht für jeden richtig. Christian Manuel Oliveira, der zweite Schauspieler, der in Mömlingen eingekleidet wird, „ist die am schicksten angezogene Figur“, erklärt Remuss, 44-jährige Berlinerin mit Gastvertrag am Würzburger Theater. Im fein gestreiften Zwirn und mit den langen, zurückgegelten Haaren wirkt Oliveira wenig vertrauenerweckend. Wer modisch zu viel des Guten tut, kommt womöglich gerade deswegen nicht voran. Oliveira ist denn auch nicht Chef, nicht Minister, sondern nur Kämmerer – mit Ambitionen? „Es ist schwer zu fassen, was der für ein Spielchen treibt“, charakterisiert Birgit Remuss.
Einer der „Parasit“-Figuren hat sie einen Zweireiher verpasst. „Überhaupt nicht mehr angesagt“, urteilt die Kostüm-Expertin. Der Mann signalisiere dadurch, dass er lieber im alten Trott weitermachen will.
Spezialfall Erwin Pelzig
Der Anzug verrät viel über seinen Träger. Der Anzug kann seinen Träger aber auch verändern. Wer im passenden Outfit steckt, kommt bei Mitmenschen anders an, was sich wiederum auf sein Verhalten auswirken kann. Wenn Rainer Appel im Minister-Kostüm durch die Gänge des Mainfranken Theaters zu den Proben läuft, merkt er plötzlich, dass er auffällt . . .
Macht der Anzug den Mann zum Mann? „Ohne einen Anzug ist es viel schwieriger, sich wie James Bond zu fühlen“, hat Pierce Brosnan gesagt. Brosnan trug als 007 Ware des italienischen Edel-Schneiders Brioni. Auch Gerhard Schröder trug Brioni – und musste sich deswegen Lästereien gefallen lassen. Soll heißen: Was für Bond passt, passt noch lange nicht für einen Bundeskanzler.
Man kann viel falsch machen bei der Wahl der Kleidung. Oft genügen Kleinigkeiten, um den Träger eines Anzugs zur Witzfigur zu machen. Die Mömlinger Kleidermacher haben auch schon Erwin Pelzig eingekleidet: „Es war ein Anzug, der gerade so nicht passte“, erinnert sich Richard Klotz, technischer Leiter des Familienunternehmens mit 120 Mitarbeitern – und aus dem Würzburger Kabarettisten Frank-Markus Barwasser wurde die Karikatur Pelzig. „Man kann aus fast jedem jeden Typ machen“, weiß Birgit Remuss – im positiven wie im negativen Sinn.
Die Kostümbildnerin schiebt 400 Euro über den Ladentisch des Outlets. Obwohl die Kleiderfabrik einen Sonderpreis gemacht hat („für die Kunst“), ist Remuss am Rande ihres Budgets. Nach nicht mal einer Stunde zieht das Trio aus Würzburg zufrieden ab, und Verkäuferin Marianne Klotz wundert sich: „Beim Pelzig hat's viel länger gedauert.“
Im Blickpunkt
„Der Parasit“ am Würzburger Mainfranken Theater
Intrigen, Mobbing und gezielte Rhetorik helfen bei der politischen Karriere. Selicour weiß das. Er zeigt, wie man auf schnellstem Weg nach oben kommt – indem man sich die Arbeit anderer, etwa des kompetenten, aber zurückhaltenden Firmin, zunutze macht. So gelingt es Selicour, nicht nur seinen Chef von sich zu überzeugen, und bald darf er sich Hoffnungen auf die Tochter des Chefs machen. Neider lassen nicht auf sich warten: Da ist etwa der entlassene Mitarbeiter La Roche, der auf Rache sinnt. „Der Parasit“ ist ursprünglich ein Stück aus Frankreich. Friedrich Schiller übersetzte es im Jahr 1803. Premiere am Würzburger Mainfranken Theater ist am 28. März, 19.30 Uhr. Karten unter: ? (09 31) 39 08-124