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Wie Edgar Reitz Heimat sieht

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Wie Edgar Reitz Heimat sieht

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    Hunsrücker Hügel: Szene aus dem Edgar-Reitz-Film „Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende“.
    Hunsrücker Hügel: Szene aus dem Edgar-Reitz-Film „Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende“. Foto: Fotos: SWR, Weisbrod / dpa

    Es begann 1981 mit einer Dokumentation und weitete sich ab 1984 zur Spielfilmreihe „Heimat“ aus (siehe Kasten oben): Seitdem gilt Edgar Reitz als Experte für diesen Begriff, dieses Wort, dieses Gefühl, das aber auch der Regisseur selbst nicht wirklich definieren kann – obwohl er sich seit Jahrzehnten damit beschäftigt.

    Frage: Ist die Filmreihe „Heimat“ für Sie auch so etwas wie ein Selbstfindungsprozess in Sachen Heimat geworden?

    Edgar Reitz: Das kann man so nicht sagen. Ich mache seit 50 Jahren Filme. Ich bediene mich einer Ausdrucksform, die es prinzipiell in der ganzen Welt gibt – ich bin ja nicht der Einzige. Wenn ich einen Film mache, muss ich also versuchen, mich in Bereichen zu bewegen, in denen sich die anderen nicht bewegen. Man sucht sich seinen Platz im internationalen Geschehen. Insofern kann man es eine Selbstfindung nennen. Aber es ist eher eine Selbstpositionierung.

    Ihr Empfinden von Heimat hat die Arbeit nicht beeinflusst?

    Reitz: Ich habe im Alter von 18 Jahren die Region, in der ich aufgewachsen bin, den Hunsrück, verlassen und bin nie mehr zurückgekehrt. Auch nicht nach dem Film. Es ist also nicht so, dass die Filme für mich eine Art Rückkehr- oder Heimkehrbewegung wären. Ich glaube, dass gerade aus der Distanz heraus die Dinge sehr viel besser und klarer darstellbar sind. Wenn ich mich bei Dreharbeiten dort in der Gegend bewegt habe, war es mir immer sehr wichtig, dass ich an den Wochenenden nach Hause gefahren bin, nach München, und dass ich aus der Distanz heraus immer wieder eine neue Sicht gewinne.

    Ist München Ihre Heimat?

    Reitz: Es geht nicht um meine Heimat. Es geht mir um Heimat an sich. Um das, was Heimat den Menschen bedeutet. Darum drehen sich die Geschichten. Da geht es eben manchmal um Leute aus dem Hunsrück, aber auch um Menschen aus verschiedensten Gegenden der Welt. Eine der Figuren zum Beispiel kam aus Südamerika. Also es ist immer wieder diese Beschäftigung mit diesem Phänomen, das man Heimat nennt.

    ••• Der 81-jährige Filmemacher, der gut und gerne zehn Jahre jünger wirkt, ist auch mit dem gesprochenen Wort ein fesselnder Erzähler. Das zeigt er im Kloster Himmelspforten beim „MozartLabor“ des Würzburger Mozartfests zum Thema „Musik und Heimat“. Reitz, der für den erkrankten Philosophen Peter Sloterdijk einsprang, erzählt vom Klang des Ambosses, den der Großvater, Schmied im Hunsrückdorf Morbach, schlug. Diesen Klang habe er so nirgendwo anders mehr gehört. Weil er für Edgar Reiz mehr ist als nur das Geräusch von Metall auf Metall. Weil er ein Bündel von Gefühlen und Erlebnissen und Erinnerungen auslöst – irgendwo jenseits des erkennenden Intellekts, jenseits des rational Fassbaren. Vielleicht entsteht genau so das, was man Heimatgefühl nennen kann. •••

    Wird es in der zunehmend globalisierten Welt nicht immer schwieriger, seine Heimat zu definieren?

    Reitz: Ich glaube nicht. Heimat war immer etwas, was die Menschen verlieren. Sei es dadurch, dass sie heranwachsen, ihren Horizont erweitern und ihren Tätigkeitsbereich ausweiten. Wir haben heute einen sehr viel größeren Lebensradius, wir sind eine mobile Gesellschaft geworden. Aber es gibt immer noch die Dinge, die nicht unserem freien Willen unterliegen: Wir können nicht entscheiden, wo wir geboren werden, wir können nicht entscheiden, wer unsere Eltern und Geschwister sind, wir können nicht entscheiden, an welchem Ort wir unsere ersten Schritte tun, unsere erste Liebe erfahren. All diese Dinge sind nicht frei wählbar. Sie sind deswegen von einer ganz besonderen, eigentümlichen Bedeutung, begleiten uns durch unser ganzes Leben.

    . . . und definieren das, was wir als Heimat empfinden?

    Reitz: Ja, die Dinge, die man nicht beeinflussen kann und die für uns Bedeutung erlangen.

    ••• Heimatgefühle gibt es auch in anderen Ländern. Das Wort „Heimat“, sagt Reitz beim „MozartLabor“ im Gespräch mit dem Komponisten Siegfried Mauser und Moderatorin Katharina Eickhoff, gebe es aber nur im Deutschen. Es lasse sich in andere Sprachen nicht übersetzen. Vor allem in Deutschland hatte man aber auch lange Zeit Probleme damit. War „Heimat“ doch von den Nationalsozialisten im Sinne der Blut- und Boden-Ideologie missbraucht worden. Um dann, in den 1950ern, in den sogenannten Heimatfilmen, völlig verkitscht zu werden. Die ARD habe den Arbeitstitel „Heimat“ zunächst nicht endgültig für die Reihe übernehmen wollen – zu negativ besetzt sei der Begriff. Bei den Filmfestspielen in Venedig hatte man diese Probleme nicht: Reitz gewann 1984 den Kritikerpreis der Biennale. Letztlich war dann auch „Das Erste“ bereit, den Titel zu übernehmen. •••

    Der Heimat-Begriff kann leicht missverstanden und missbraucht werden. Die Separatisten in der Ostukraine zum Beispiel – kämpfen die für ihre Heimat?

    Reitz: Nein. Sie kämpfen für eine Idee, sie kämpfen für bestimmte Überzeugungen, für politische Ziele, für Freiheiten und was weiß ich. Das Wort Heimat ist häufig ideologisiert und umgedeutet oder als Kampfbegriff verwendet worden. Damit verliert es auch immer seine Bedeutung. Ich glaube nicht, dass es in der Ostukraine um Heimat geht. Da geht es um was anderes. Heimat ist ja auch nicht etwas, das ausgrenzt. Heimat ist zwar keine konfliktfreie Zone, kein Ort, an dem nur paradiesische Verhältnisse herrschen. Heimat ist immer auch ein konfliktgeladenes Feld. Aber: In dem Augenblick, wo man aus „Heimat“ ein Programm macht – sei es ein politisches oder ein ideologisches – geht sie kaputt. Wir zerstören sie dadurch.

    Die „Heimat“-Filme

    Gesendet wurde die Reihe in drei jeweils mehrteiligen Blöcken zwischen 1984 und 2004, alles in allem über 54 Stunden. Ein (dokumentarischer) Prolog war bereits im Jahr 1981 entstanden, ein Epilog folgte 2006. Mit „Die andere Heimat“ legte Reitz 2012 nach und wurde dafür mit dem Deutschen Filmpreis für die beste Regie ausgezeichnet.

    Die Familie Simon und andere Bewohner des fiktiven Hunsrück-Dorfes Schabbach stehen im Mittelpunkt. Anhand von Einzelschicksalen wird deutsche Geschichte aufgefädelt. Der Zuschauer verfolgt im ersten Teil das Leben der 1919 geborenen Maria Simon. Im zweiten Teil zieht der junge Hermann Simon aus der Provinz nach München, um als Student in den turbulenten 1960er Jahren den Aufbruch der ganzen Gesellschaft mitzuerleben. Der dritte Zyklus umspannt die Ereignisse vom Mauerfall bis zur Jahrtausendwende.

    Die Begebenheiten der Filme sind zu einem Teil authentisch. Edgar Reitz und seine Koautoren trugen sie aus alten Tageszeitungen, eigenen Erinnerungen und den Erzählungen von Hunsrück-Bewohnern zusammen und verknüpften sie zu einem fiktiven Gesamtwerk, mit halbdokumentarischen Zügen. Einige Sequenzen wurden in Schwarz-Weiß gedreht. Auch ein bisschen Autobiografisches ließ Reitz einfließen.

    Die Filmreihe kam bei den Fernsehzuschauern ebenso gut an wie bei der Kritik. Sie fand auch im Ausland Beachtung.

    Edgar Reitz wurde am 1. November 1931 in Morbach im Hunsrück geboren, wo er auch aufwuchs. Der Vater war Uhrmacher. Studium der Germanistik, Publizistik und Theaterwissenschaft in München. Seit Mitte der 1950er Jahre literarische Arbeiten. Ab 1957 Kameramann und Regisseur von Dokumentarfilmen. Gleich sein erster Spielfilm, „Mahlzeiten“, wurde 1967 bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet. Text: hele

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