(dpa) Schon der Anfang war eine Zumutung für jeden deutschen Fernsehzuschauer, der bei dem Wort „Kommissar“ an einen vertrauenswürdigen älteren Herrn im grauen Anzug dachte. Da schmiss jemand seinen Fernsehapparat aus dem Fenster, und dieser neue „Tatort“-Kommissar – ein schnauzbärtiger Schlunz – rief: „Was machst du, du Idiot? Hör auf mit der Scheiße!“ Man schrieb den 28. Juni 1981. Es war die Geburtsstunde von Horst Schimanski.
Damals ging ein Aufschrei durch die Presse. „Werft den Prügel-Kommissar aus dem Programm“, forderte eine Ruhrgebietszeitung. „Der Ruhrpott kocht: Sind wir alle Mörder und Trinker?“, fragte ein Boulevardblatt. Und der Leiter der echten Duisburger Mordkommission erklärte: „Bei mir dürfte dieser Mann nicht mal Fahrrad-Diebstähle bearbeiten.“ Die Duisburger CDU wollte im Abspann den Dank an die Stadt Duisburg gestrichen sehen, schließlich würden da nur die hässlichsten Ecken gezeigt. Allein die „taz“ jubelte: „Solche Bullen braucht das Land!“
Keimzelle für Münster-„Tatorte“
Regisseur Hajo Gies, einer der Schimanski-Erfinder, hatte das kommen sehen. „Wir waren auf Zoff aus“, sagt er. Ebenso wie Schimanski-Darsteller Götz George wollte er einen Gegen-Derrick entwerfen. Es sollte ein Polizist sein, der nicht nur gegen Verbrecher kämpft, sondern auch gegen die Mächtigen, gegen die Herrschaftsstrukturen. Ein Proletarier in Cowboystiefeln, beige-grauer US-Feldjacke und sehr hellen Röhrenjeans. Einer, der sich erst mal drei rohe Eier ins Glas haut und runterkippt. Kurz, der erste Bulle, mit dem sich die 68er-Generation voll identifizieren konnte. Ein Typ, der nicht nur Opas gemächliches Fernsehen aufmischen sollte.
„Wir hatten uns ausgerechnet, dass wir das vielleicht drei Folgen durchhalten könnten“, erinnert sich Gies. „Danach wäre Schluss. Deshalb hieß der dritte Teil auch ,Der unsichtbare Gegner‘. Das war abstrakt gemeint: Die Gegner saßen in den Fernsehanstalten.“ Aber dann waren die Einschaltquoten schon dermaßen gut, dass Schimanski weitermachen konnte.
Auf Händen getragen wurde der „Schmuddel-Kommissar“ von der Duisburger Arbeiterschaft. Der damalige SPD-Oberbürgermeister Josef Krings, heute 86, weiß zu berichten, dass George im Stadtteil Rheinhausen auch schon mal großzügig in die Streikkasse einzahlte. „Mir ist so manches Erlebnis mit Götz George in Erinnerung geblieben“, sagt Krings. „Zum Beispiel, wie er einmal eine Schrebergartenkolonie besuchte. Da hat er sich lange mit den Kleingärtnern unterhalten, aber ganz leise, ganz ruhig. Er kann sehr behutsam sein im Umgang mit Menschen.“
Der Gegenpol zu den 68ern – der deutsche Spießbürger – wurde in den Schimanski-„Tatorten“ durch den Fliege tragenden Hauptkommissar Christian Thanner verkörpert, dargestellt von Eberhard Feik. „Mensch, Horst“ war das Pendant zu „Harry, hol schon mal den Wagen“. Nachdem die Presse immer wieder kritisiert hatte, dass Schimanski so oft „Scheiße“ sagte, führte Thanner zeitweise selbst eine Strichliste darüber. „Das Paar Schimanski/Thanner war die Urzelle für den Erfolg der heutigen Münster-,Tatorte‘“, sagt der damalige WDR-Fernsehspielchef Gunther Witte, der die Krimireihe „Tatort“ praktisch erfand. Viele Dialoge zwischen den beiden sind heute ein Hit bei YouTube.
Schimanski: „Was quatschst du mich so blöd an, du Spießer, nur weil ich 'ne Fahne habe?“ Thanner: „Das hab ich jetzt eben nicht verstanden, was du gesagt hast.“
Aufschlussreich ist, dass auch die Linken den Spießbürger Thanner nach und nach richtig ins Herz schlossen. In gewisser Weise spiegelte dies die zunehmende Konsens-Orientierung der Bundesrepublik, das Aufweichen des Lagerdenkens.
Die Deutschen und das Ausland
Es gab aber auch noch einen Dritten im Bunde, den Holländer Hänschen (Chiem van Houweninge). Er symbolisierte das belastete Verhältnis der Deutschen zum Ausland. Gies: „Weil die Holländer die Deutschen ja nicht so gerne mögen, konnte man da so leicht ironisieren, indem der eine immer Bemerkungen über das Land des anderen machte.“ Bei einem Abstecher nach Holland polterte Schimanski zum Beispiel: „Was ist das denn für ein Scheißland?“ Darauf Hänschen: „Ja, ich habe auch nie verstanden, warum die Deutschen das besetzen wollten.“
Bis heute kehrt Schimanski, nun längst in Rente und wohnhaft auf einem belgischen Hausboot, ab und zu nach Duisburg zurück. Das ist leider immer etwas traurig, denn im Grunde ist nichts mehr so wie früher: Thanner ist 1994 mit seinem wunderbaren Darsteller Eberhard Feik gestorben. Die Duisburger Industrie gibt's nur noch als Kulturdenkmal, Stahlkessel und Hochöfen sind stillgelegt, der Innenhafen wird gerade zum Szenetreff umgemodelt.
Und der Horst? Der macht zwar immer noch die Drecksarbeit, kämpft gegen arrogante Anzugträger und bestellt sich in den Pausen seine Pommes rot-weiß. Aber seine beste Zeit ist lange vorbei. Wie bei den 68ern eben.