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WÜRZBURG: Wie sich Antiquariate in der Bücherflut behaupten

WÜRZBURG

Wie sich Antiquariate in der Bücherflut behaupten

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    Alte und seltene Bücher: Danach sucht der Antiquar. Mit Massenware kann er im Allgemeinen nichts anfangen.
    Alte und seltene Bücher: Danach sucht der Antiquar. Mit Massenware kann er im Allgemeinen nichts anfangen. Foto: Fotos Ivana Biscan (2), Ralph Heringlehner

    Regale. Vom Boden bis zur hohen Decke. Jahrhunderte alte Lederbände mit dicken Bünden, die von alter Handwerkskunst zeugen. Goethe und Dostojewski klemmen zwischen Unbekanntem. „Mehr als 6000 Bände, alles in allem“, sagt Daniel Osthoff. „Zu viele.“ Als Antiquar kann man tatsächlich zu viele Bücher haben, denn: „Es kommt nicht auf die Menge an, sondern auf die Anzahl der wichtigen Bücher“, erklärt Osthoff. Davon hat der Würzburger rund 2000 auf Lager. Die meisten Bücher sind aus Sicht des Antiquars „Eintagsfliegen“: Ein paar Jahre waren sie beliebt. Heute will sie keiner mehr.

    Beispielsweise habe „der Arno-Schmidt-Hype unbekannte Autoren nach oben gespült“, erinnert sich Osthoff. Schmidt („Zettel's Traum“) liebte es, in der Kiste vergessener Literaten zu kramen. In seinem Dialog-Essay „Dya Na Sore“ setzte Schmidt Wilhelm Friedrich von Meyern (geboren 1759 in Frauental bei Creglingen, gestorben 1829 in Frankfurt) ein Denkmal. Schmidt-Fans rannten da natürlich in die Antiquariate, um eines der raren Meyern-Bücher zu kaufen. Der Arno-Schmidt-Hype ist vorbei und Meyern ein Ladenhüter.

    Die Rolle des Internets

    Mit gebrauchten Ausgaben von Thomas Mann, Hermann Hesse und Co. aus den 60er oder 70er Jahren ist auch kein Geschäft zu machen. Osthoff hat sie trotzdem da. Aus der Wühlkiste vor dem Laden leuchtet knallgelb sogar ein Stapel Reclam-Heftchen. Aber um Antiquariat und Antiquar am Leben zu halten, dazu genügen derartige Bücher nicht. „Massenware ist tödlich“, so Sibylle Wieduwilt, Vorsitzende des Verbands Deutscher Antiquare. „Der Preisverfall betrifft vor allem das 20. Jahrhundert.“

    Mit Spezialisierung gegen das Internet: Antiquar Daniel Osthoff.
    Mit Spezialisierung gegen das Internet: Antiquar Daniel Osthoff.

    Eine Mitschuld trägt das Internet. 1995 ging das ZvaB online. Das „Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher“ entwickelte sich vom Garagenladen zur ernsthaften Konkurrenz für die Läden. Heute gehört es einer Amazon-Tochter. „,Toll‘, dachten die Händler anfangs. Jetzt können wir einen riesigen Kundenkreis ansprechen“, erinnert sich Daniel Osthoff. Die Kehrseite: „Auf einmal sah man, wie viele Bücher es gibt.“ Großes Angebot drückt die Preise. Schlecht für die gute alte Bücherstube mit ihren Regalen und ihrer seriös-gemütlichen Atmosphäre, in der die Zeit langsamer zu verstreichen scheint. . .

    Und doch: „Das Antiquariatssterben gibt es nicht“, sagte Verbandsvorsitzende Wieduwilt der Deutschen Presseagentur. Schätzungen gehen von 1000 bis 1200 Antiquariaten im deutschsprachigen Raum aus. Osthoff hört's und wiegt zweifelnd den Kopf: „Kommt drauf an, was man als Antiquariat bezeichnet.“ Viele würden von zu Hause aus arbeiten, nebenberuflich, und/oder übers Internet. „Ein Ladensterben gab es jedenfalls definitiv“, weiß der Würzburger.

    Osthoffs Laden – durch die Schaufenster kann der Antiquar den Hintereingang von Hugendubel sehen – hält sich seit 1988. Aus dem ZvaB ist er raus, arbeitet aber gelegentlich mit dem Portal antiquariat.de. Osthoffs Strategie: „Man muss sich spezialisieren.“ Das Spezialgebiet des Würzburgers ist Altphilologie. Rares, Seltenes, auch Teures für Sammler, und Experten. „Teure Bücher möchte man sehen und in die Hand nehmen“, sagt er. Das Internet kann das nicht bieten. Zudem pflegt der Händler seine Stammkunden. An die 500 Bibliophile sind das, die meisten wohnen außerhalb von Würzburg. An sie verschickt er Kataloge und Bücherlisten.

    Das teuerste Buch, das Osthoff derzeit auf Lager hat, ist eine Inkunabel – also ein früher Druck mit beweglichen Lettern – von 1493. Osthoff ruft für die „Punica“ des römischen Politikers und Dichters Silius Italicus (25 bis 100 nach Christus) 5000 Euro auf. Den Band will er nächste Woche bei der Antiquariatsmesse anbieten, die seit 2005 an die Frankfurter Buchmesse angedockt ist (siehe Kasten). Osthoff ist der einzige Teilnehmer aus der Region.

    Lediglich 36 Antiquariate stehen 2016 auf der Teilnehmerliste der Messe – in den Anfangsjahren waren's mehr als 100. Das ist indes nicht zwangsweise ein Indiz für das Sterben einer Branche. „Es ist anstrengend, es ist teuer, und mancher fragt sich sicher, ob es sich lohnt, den Laden zu Hause eine Woche alleinezulassen.“ Dass man etwas verkauft, sei auch nicht garantiert, nennt Osthoff Gründe, nicht nach Frankfurt zu reisen. Er ist trotzdem seit 2006 dabei. Er schätzt das internationale Flair. Es geht ihm darum, Kontakte zu knüpfen. Es ergäben sich Synergien mit der „großen“ Buchmesse – „es geht im weitesten Sinn um Werbung.“

    Alles gespendet: Thomas Johannes im „Brauchbar“-Antiquariat.
    Alles gespendet: Thomas Johannes im „Brauchbar“-Antiquariat.

    Szenenwechsel: Regale. Vom Boden bis zur hier nicht allzu hohen Decke. Ein paar Lederbände, die über hundert Jahre alt sein mögen, gibt es auch. Doch überwiegend bietet das „Brauchbar“-Antiquariat in der Würzburger Zellerau genau das an, was Antiquar Osthoff entweder gar nicht ankauft oder auch mal „mit großem Vergnügen“ zum Altpapier gibt: Geschätzte 5000 Bände an Massenware, auffallend viele Bertelsmann-Lizenzausgaben aus den 1960er Jahren sind darunter – von Goethe über Storm bis Hemingway. Sogar originalverpackte Karl-May-Bände aus dem 60ern stehen in Reih und Glied – und am Boden: ein Waschkorb mit Micky-Maus-Heften. Hochpreisiges? Liegt hier bei gut 20 Euro. Im Normalfall kosten Taschenbücher einen Euro, gebundene Bände einsfünfzig.

    Der alternative Laden

    „Brauchbar“, eine gemeinnützige Gesellschaft des Diakonischen Werks und der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Würzburg, bietet Menschen einen Job, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben und in seinem Antiquariat Futter für Leseratten. Einkauf? Gibt es nicht. Jedes der geschätzt 5000 Bücher in dem kleinen Laden ist gespendet, informiert Thomas Johannes, Stellvertreter der „Brauchbar“-Geschäftsführung.

    Genommen wird erst einmal alles. Rote Zahlen kann man sich auch hier nicht leisten. „Wir müssen uns selbst finanzieren“, sagt Johannes. Das klappt nun schon seit zehn Jahren.

    Mit dem richtigen Konzept lässt sich also offenbar auch das verkaufen, was Osthoff und seine Kollegen abschreckt. Doch der alternative Laden in der Frankfurter Straße ist eine Welt für sich. Gewinner ist der Leser. Er kann – zwischen Inkunabel und Micky Maus – in den verschiedenen Läden stöbern.

    Es soll auch schon vorgekommen sein, dass einer bei „Brauchbar“ ein Buch für 20 Euro gekauft hat, das kurz darauf für mehr als das Doppelte im Schaufenster eines Antiquariats angeboten wurde . . .

    Die Buchmesse in Frankfurt 7000 Aussteller sind bei der weltgrößten Bücherschau in diesem Jahr vertreten. Es gibt 4000 Veranstaltungen. Gastland sind die Niederlande und Flandern. Eröffnung ist am 18. Oktober. Fachbesucher kommen vom 19. bis 21. Oktober, Publikumstage sind der 22. und 23. Oktober. Öffnungszeiten: 9 bis 18.30 Uhr, sonntags bis 17.30 Uhr. Die Tageskarte kostet am Wochenende 19 Euro. Das Wochenendticket 28 Euro. Die Antiquariatsmesse findet parallel zur Frankfurter Buchmesse in Halle 4.1 statt. In diesem Jahr sind 36 Aussteller aus dem In- und Ausland vertreten. Die Messe ist eine Verkaufsausstellung für antiquarische Bücher, Grafik und Autografen. Öffnungszeiten: Mittwoch 11–18,30, Donnerstag bis Samstag 9–18:30 Uhr Sonntag 9–17.30 Uhr.

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