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Würzburger Nachtwächter: Lokalpolitik bis in den Tod

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Würzburger Nachtwächter: Lokalpolitik bis in den Tod

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    Der Schmalzmarkt liegt gleich neben dem Marktplatz. Früher wurden dort Fette und Öle verkauft. Am Schmalzmarkt, im Balthasar-Neumann-Haus, befand sich bis vor einigen Jahren die legendäre Gastwirtschaft „Hühnerdiele“. In der Wirtschaft trafen sich zur Marktzeit bei fränkischer Hausmannskost und Hühnersuppe mit Einlagen Marktfrauen, Rentner, Studenten und so mancher Prominente oder auch die, der sich dafür hielten. Dem Nachtwächter wurde vom alten Wirt der „Hühnerdiele“ einst von einem seltsamen Pärchen erzählt, das sich fast täglich an einem kleinen Tisch in der Fensternische traf.

    Es handelte sich um zwei Altbürgermeister, die ihre Amtszeiten schon lange hinter sich hatten. Jetzt waren sie noch einfache Stadträte. Warum die beiden sich nicht auf ihr Altenteil zurückzogen, wusste keiner. Die einen sagten, ihre Frauen seien froh, dass sie sie nicht zu Hause bei der Hausarbeit störten, die anderen meinten, dass sie das Regieren nicht lassen könnten. Was wahrscheinlich zutraf.

    Dilettantische Bürgermeister

    Und so trafen sie sich regelmäßig nach den Ratssitzungen in einem Winkel der „Hühnerdiele“. Da sie dort eng wie in einem Hühnerstall beisammen hockten und die Köpfe zusammensteckten, war der Stammplatz der beiden bald als „Gögereck“ bekannt. Tatsächlich standen die beiden streitbaren Göger – Hähne – sich in nichts nach. Mit hochrotem Kopf und großen Gesten wurden Sitzungen des Rates diskutiert. Dabei wusste jeder, wie er es besser gemacht hätte, obwohl beide Bürgermeister sich in ihrer politischen Herkunft grundsätzlich unterschieden. Oft standen sie sich als Kontrahenten im Rat gegenüber und führten heftige Debatten. Aber am Wirtshaustusch waren sie sich einig, dass der jeweilige Amtsinhaber ein „Dilettant“ sei und für das Amt überhaupt nicht geeignet.

    Doch auch für die beiden „Göger“ kam die Zeit, wo man sie nicht mehr in den Rat der Stadt wählte. Längst hatten die beiden Alten ihre Ehegattinnen überlebt, und so entschieden sie sich, gemeinsam ins Bürgerspital einzuziehen. Ihre alte Gewohnheit gaben sie aber nicht auf. Täglich tippelten die beiden Altbürgermeister am Stock vom Altersheim zum Rathaus, wo sie den Ratssitzungen gespannt folgten. Dabei sparten sie nicht an Kommentaren und Zwischenrufen, wenn ihnen die eine oder andere Entscheidung missfiel. Danach tippelten sie zur Hühnerdiele und diskutierten in ihrem „Gögereck“.

    Überraschenderweise starb zuerst der jüngere von beiden. Er schied von dieser Welt während einer Ratssitzung. Der Rat hatte soeben mit großer Mehrheit beschlossen, wegen der wachsenden Zahl von Schülern neue Schulen zu bauen, als der Altbürgemeister sich mit dem Ruf von der Ratssitzung und der Welt verabschiedete: „Das hätte ich nie geduldet!“ Sein fassungsloser Amtskollege stand daneben und murmelte nur „Ich wäre dafür gewesen!“ und ging traurig hinüber zur Hühnerdiele.

    Debatten noch im Jenseits

    Es dauerte nicht lange und auch der andere „Göger“ starb. Er wurde wie sein Amtskollege mit allen Ehren auf dem Friedhof begraben. Die Gräber beider Bürgermeister befanden sich in derselben Ecke. Die Würzburger waren deshalb sicher, dass die beiden ihre kommunalpolitischen Debatten auch im Jenseits weiterführten und nannten die Ecke im Friedhof wie in der „Hühnerdiele“ nur das „Gögereck“.

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