Liebes Sams, hey, es ist so weit!
Jetzt feierst Du auch Weihnachten. Wird auch Zeit, wirst Du bestimmt sagen. Weil, wenn an Weihnachten Wünsche wahr werden – dann musst Du doch dabei sein! Weil, wer kann besser und schöner Wünsche erfüllen als Du. Und weil Du in all den Büchern tatsächlich noch nie Weihnachten erlebt hast, soll's dieses Jahr so weit sein. Du wirst Dich wundern. An Weihnachten reden alle über Flügelwesen, die angeblich im Himmel wohnen. Im Wohnzimmer wachsen plötzlich Bäume. Und es gehen auch ungewünschte Wünsche in Erfüllung. Was Dich freuen wird: Chaos gibt's immer. Und an Weihnachten werden viele Würstchen gegessen. Ohne Brot! Aber natürlich mit viel Senf. Bei den meisten gibt's Würstchen angeblich aus Tradition. Aber unter uns: In Wahrheit, weil die Erwachsenen an Heiligabend keine Lust haben, lange in der Küche zu stehen, und auch lieber Geschenke auspacken. Apropos, was ist mit Deiner lustigen Rüsselnase passiert? Siehst Du jetzt irgendwie anders aus? Warst Du beim Friseur?
Aber, Verzeihung, liebes Sams, verquatscht. Um von vorne anzufangen: Seit mehr als einem Jahr schreiben wir jeden Samstag jemand Bekanntem, Berühmtem oder Wichtigem (oder an jemand, der sich für wichtig hält) einen Brief. Da ist es doch dringend, dringend Zeit, dass auch das Sams – also Du – mal einen Brief bekommt. Wenn der doch so wie Du immer samstags auftaucht.
Entschuldige bitte, dass wir den Brief an Dich nicht reimen. Brief, tief, lief, Mief . . . Schreiben, reiben, einverleiben . . . Nee, das können wir überhaupt nicht so wie Du, das mit dem Dichten. Und wir müssen uns gleich noch mal entschuldigen. Weil, der Grund, warum wir Dir jetzt schreiben, ist: Geburtstag! Ein toller Geburtstag, der so rund ist wie Deine blauen Punkte im Gesicht und Dein grüner dicker Trommelbauch.

Hä? Du schimpfst jetzt bestimmt. Es war doch der 5. Mai, als Du aufgetaucht bist, im Leben von Herrn Taschenbier. Vor 44 Jahren, das ist ja echt keine Wunschpunkt-runde Zahl. Stimmt, liebes Sams. Aber am nächsten Mittwoch wird in Birkenfeld jemand sehr, sehr viel Puste brauchen um die vielen Kerzen auf der Geburtstagtorte auszupusten, husten, prusten .
. . Mist, wir wollten ja nicht Reimen. Birkenfeld? Ja, in dem kleinen Flecken in den Haßbergen feiert in seinem kleinen Häuschen Paul Maar. Der Schriftsteller und Zeichner wird 80 Jahre alt. 80, denk mal!
Paul Maar, wirst Du jetzt fragen. Was hat denn dieser Paul Maar mit dem Sams-tagsbrief an Dich zu tun? Hmm, sagen wir so: Er hat festgestellt, dass es bis zum 5. Mai 1973 überhaupt keine vernünftige Erklärung dafür gab, dass der Samstag Samstag heißt. Er hat sich den Herrn Taschenbier ausgedacht. Der ist dann, weil ihn seine Zimmerwirtin beim Putzen aus der Stube geschmissen hat, beim Spazierengehen über Dich gestolpert.
Tja, so war das. Und deshalb ist Paul Maar heute beinahe so berühmt wie Du. Nur beinahe, weil Du bei der Augsburger Puppenkiste zum Beispiel Karriere gemacht hast und längst auch Film- und Theaterstar bist und eine eigene Internet-Seite hast. Apropos berühmt. Es soll tatsächlich immer noch Leute geben, die Dich nicht kennen. Keine Ahnung, was bei denen passiert ist. Ob Sie als Kinder keine Bücher lesen durften? Super, wirst Du sagen, Stuhlbeine anknabbern und frech sein ist sowieso besser als lesen. Was müssen die wissen, die Dich nicht kennen? Dass Sams rotfarbene Borstenhaare und Froschfüße hat.
Dass keiner weiß, ob es ein Junge oder Mädchen ist, was aber keine Rolle spielt. Dass das Sams meistens einen Taucheranzug aus Gummi anhat, weil es an einem Tag so viel wächst, wie ein Kind in einem ganzen Jahr. Dass es Kinder gut versteht und Erwachsene manchmal nervt. Weil es zu frech ist, zurückschimpft, gerne Lieder verfasst und vieles wörtlich nimmt. Dass es sich sehr abwechslungsreich ernährt und gerne mal Fenstergriffe frisst.
Viel zu frech? So ein Pech! Und alles Quatsch mit Sauregurkensoße. Ja, liebes Sams. Das Wichtigste sind Deine Wunschpunkte. Und dass man nicht will, sondern eben wünscht. Was alle, die Dich nicht kennen, unbedingt wissen müssen: Du lehrst einen, dass man vor nichts Furcht haben muss und dass man sich von nichts und niemandem einschüchtern lassen soll. Mit Dir (und Herrn Taschenbier) kann man lernen, wie aus einem schüchternen und ängstlichen und viel zu braven Menschen jemand wird, der selbstbewusst ist und sich behaupten kann.
Der Mann, wegen dem wir diesen Brief ausgerechnet heute endlich an Dich schreiben, liebes Rüsselnasenwesen, hat mal gemeint, Sams, Sams, immer nur Sams . . . Er habe doch so viele andere Bücher mit netten Figuren geschrieben. Und er sei froh, dass er nicht Herr Taschenbier ist. Weil Du doch ein bisschen sehr nerven würdest. Uns nicht. Und deshalb freuen wir uns sehr, dass Paul Maar zu seinem 80. Geburtstag uns Leser beschenkt hat. Er hat das Zeichnen jetzt zwar einer „Kosmetikerin“ überlassen. Aber er hat, obwohl er das gar nicht mehr wollte, doch noch mal über Dich geschrieben. Wie Du Weihnachten feierst nämlich.
Wetten, dass Du statt einer Lichterkette eine Würstchenkette an den Baum hängst?
Einen schönen Samstag, liebes Sams! Herzliche Grüße, Alice Natter
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