Sehr geehrte Frau Voss-Tecklenburg, ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll. Ich möchte nicht als Spielverderber dastehen und die Erfolge links liegen lassen, die Sie als Trainerin mit der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft gerade in Frankreich erleben. Vielleicht ist das vor einem so bedeutenden WM-Spiel – dem Viertelfinale an diesem Samstag gegen Schweden – auch einfach nur der falsche Zeitpunkt, um sich auf Nebenschauplätze zu verirren und eine Diskussion über Defizite anzuzetteln. Andererseits ist dieser Moment aber auch günstig wie nie, weil jetzt so viele über Frauenfußball reden. Wer weiß, wie das in zwei Wochen ist.
Der Frauenfußball sollte die Zukunft sein
Sie wissen noch, als der Weltfußball-Verband die Frauen-WM 2011 nach Deutschland vergab? Da erhob sich dessen Präsident Blatter zum Orakel mit der Weissagung, die Zukunft des Fußballs sei weiblich. Das war in etwa so übertrieben wie die im Siegesrausch des WM-Gewinns von 1990 getroffene Aussage Franz Beckenbauers, die deutschen Männer seien auf Jahre hinaus unschlagbar. Die Geschichte belehrte beide Herren eines Besseren. Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Frauenfußball immer dann in den Sucher der Öffentlichkeit gerät, wenn gerade WM ist – also genau alle vier Jahre. Dazwischen ist meist totale Leere.
Fragen Sie einen eingefleischten Fußball-Fan doch nur mal, mit wie vielen Klubs die Frauen-Bundesliga spielt. Ich wette, die meisten werden den Publikumsjoker brauchen – jene im Schnitt 800 Zuschauer pro Partie –, um auf die richtige Zahl 12 zu kommen. Der Frauenfußball benötigt weiterhin Entwicklungshilfe, aber ich habe den Eindruck, die bekommt er nicht einmal alle vier Jahre zu seinem großen Happening. Sie haben es in kurzer Zeit geschafft, das deutsche Team aus seinem Tief zu befreien, in das es unter Ihrer Vorgängerin Steffi Jones geraten war. Ihre Spielerinnen haben die Freude am Fußball zurückgewonnen und schlagen sich wacker. Aber wenn abgepfiffen ist, stellen Journalisten doch wieder Fragen wie: Tut nach so vielen Kopfbällen nicht der Kopf weh? Oder: Wer sucht im Mannschaftsbus eigentlich die Musik aus? Eine Zeitung zeigte exklusiv den Inhalt der Reisekoffer Ihrer Spielerinnen. Und natürlich durfte bei all den Klischees der Klassiker nicht fehlen: eine Bilderstrecke mit der Schlagzeile "So sexy sind Deutschlands Fußballfrauen." Ärgern Sie sich noch über so etwas? Oder ignorieren Sie es nur?

Hinter derlei Beiträgen steckt ja eine klare Botschaft: Hier geht es nicht um Sport, sondern um Unterhaltung. Und als Maßstab dient der Mann. Reicht die Qualität im Frauenfußball tatsächlich nicht, wie dieser Tage ein Kollege aus Augsburg schrieb, um einerseits die Massen zu begeistern und andererseits ein System zu erkennen, nach dem sich das Spiel beurteilen ließe? Sie werden das empört von sich weisen – und auch ich halte diesen ewigen Vergleich zwischen Männlein und Weiblein im Fußball für ermüdend. Allerdings, das muss Ihnen klar sein, haben sich Ihre Spielerinnen keinen Gefallen getan mit ihrem viel beachteten Werbespot vor der WM. "Wir brauchen keine Eier, wir haben einen Pferdeschwanz", das war als Replik an alle Spießer im Land gedacht; als der Versuch, sich besonders emanzipatorisch zu geben. Dabei geht es in diesen 90 Sekunden wieder um nichts anderes als die unverstellte männliche Sicht auf den Frauenfußball.
Tennis und Ski alpin haben gezeigt, wie es geht
Liebe Frau Bundestrainerin, ich habe die Hoffnung, dass mit Ihnen nicht nur neue sportliche Qualität in den deutschen Frauenfußball einziehen wird. Wir sind zweifacher Welt- und achtfacher Europameister. So sehr, wie Sie für Ihre Mission brennen, würde ich mir wünschen, dass Sie auch ideell Entwicklungshilfe leisten und Ihrem Sport zu der Anerkennung verhelfen, den er verdient. Dafür ist es nötig, dass sich der Frauenfußball das Selbstverständnis einer eigenständigen Sportart gibt. Vielleicht ist es manchem schon mal aufgefallen: Das Spiel bei den Frauen ist harmonischer, nicht aufgehalten durch ständiges Provozieren, Schauspielern oder existenziell anmutende Rangeleien um einen banalen Einwurf.
Es bringt dabei gar nichts, eine wohlfeile Gehaltsdiskussion zu führen, bei der man nach den WM-Prämien der Männer schielt. Die Gagen bei einem Turnier müssen sich an den Einnahmen orientieren – ich glaube, das sehen Sie ähnlich. Für den EM-Titel 1989 mit Deutschland bekamen Sie vom Verband ein Kaffeeservice. Sie benutzen es immer noch, haben Sie in einem Interview gesagt.
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