Julia Schramm gehört zu den meinungsfreudigsten und sicher umstrittensten Vorstandsmitgliedern der Piratenpartei. Regelmäßig schreibt sie einen sogenannten Weblog, ein Online-Tagebuch und äußert sich zu verschiedenen politischen Themen. Die gebürtige Frankfurterin geriet mit dem Zitat, Datenschutz sei „ein Relikt der 80er-Jahre“, in die Schlagzeilen. Eine Aussage, von der sie sich mittlerweile distanziert. Derzeit wird ihr erstes Buch „Klick mich – Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin“ heftig diskutiert. Allerdings steht dabei nicht der Inhalt des Buches im Zentrum der Kritik, sondern die Tatsache, dass Schramm als vermeintliche Kritikerin des Urheberrechts, bei einem Verlag unter Vertrag steht, der Kopien des Buches im Internet untersagt. Eine zentrale Forderung der Piraten ist ja, den freien und kostenlosen Austausch von Musik und Informationen im Internet zu legalisieren.
Frage: Frau Schramm, was hat Sie als Bloggerin, die viel im Internet publiziert, bewogen, sich in einem alten Medium zu äußern und ein Buch zu schreiben?
Julia Schramm: Ich bin mit Büchern aufgewachsen, liebe Bücher, lese viel, aktuell zur Französischen Revolution, und habe durch meine Eltern so etwas wie klassische Bildung erfahren. Außerdem schreibe ich von Kindheit an gerne. Als ich in der „FAZ“ einen längeren Artikel über die Politisierung der Generation Internet veröffentlicht hatte, kamen einige Verlage auf mich zu, und dann war die Entscheidung, ein Buch zu schreiben, gar nicht so schwierig.
War es auch der Versuch, die Kontrolle über die eigenen Gedanken zurückzugewinnen?
Schramm: Kontrolle behält man auch nicht, wenn man ein Buch schreibt. Wie das Buch gelesen, interpretiert und verstanden wird, bleibt ja Sache der Leser. Aber es ist ein Anker, eine Referenz, auf die man sich beziehen kann. Zu einem Buch gibt es ja (noch) kein Postedit wie bei einem Blog.
Leitmotive Ihres Buches sind der Wunsch nach Aufmerksamkeit und der Kontrollverlust, wenn man ins Licht der Öffentlichkeit gerät. Ist Kontrollverlust der Preis der Aufmerksamkeit?
Schramm: Ja, ganz sicher. Das alleine ist aber nicht neu. Das war schon immer so. Die römischen Kaiser hatten auch keinen Einfluss darauf, was Historiker über sie geschrieben haben. Durch das Internet und verstärkt durch die sozialen Medien wie Twitter und Facebook kann jeden Menschen das Licht der Öffentlichkeit treffen, wie ein Spot, der von einem zum anderen wandert. Und auf das, was den Menschen in der Öffentlichkeit widerfährt, haben sie fast keinen Einfluss mehr.
Eine Erfahrung, die Sie selbst schon geteilt haben?
Schramm: Selbstverständlich. Schauen Sie sich die Diskussion um mein angebliches Zitat „geistiges Eigentum“ sei „ekelhaft“ an. Das habe ich nie gesagt. Ich habe lediglich zur Kampagne des „Handelsblatts“ Stellung genommen, die mit dem Slogan „mein Kopf gehört mir“ gegen eine Urheberrechtsreform mobilgemacht hat, weil geistiges Eigentum zu einem Kampfbegriff verkommen ist und unter dem Vorwand, Urheberrecht und geistiges Eigentum schützen zu wollen, die Freiheit des Internets zerstört wird. Ich habe nichts gegen Urheberrechte, aber den Schutz von Urheberrechten mit dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Schwangeren gleichzusetzen, fand ich ekelhaft.
Haben Sie mit der Kritik an Ihrem Buch gerechnet?
Schramm: Die Kritik richtete sich ja nicht gegen den Inhalt des Buches, sondern bezog sich auf ein Missverständnis, ich wolle Urheberrechte gänzlich auflösen, was nicht stimmt. Eine Reform der Urheberrechte halte ich dennoch für dringend geboten.
Gleich zu Beginn des Buches schreiben Sie, das Internet werde bedroht, von wem und warum?
Schramm: In seinen Anfangszeiten war das Internet ein Tummelplatz von Freaks, Wissenschaftlern und Menschen, die von einer besseren Welt träumten. Das ist vorbei. Politik, Regierende und Unternehmen haben die Macht des Internets für sich entdeckt. Aktuell wird das Internet kapitalisiert, überwacht und von totalitären Regimen auch zur Unterdrückung genutzt.
Sie verlangen vollkommene Freiheit für das Internet?
Schramm: Freiheit benötigt auch Grenzen. Im Buch blicke ich auf die Pionierzeit des Internets ein bisschen romantisierend zurück. Das Internet ist aber eine Form der Infrastruktur, die jeder nach gewissen Regeln nutzen können muss. Bedenklich finde ich derzeit, wie einige große Player wie Amazon, Facebook, Google und Apple dabei sind, das Internet unter sich aufzuteilen. Dagegen muss man etwas tun.
In Ihrem Buch bricht sich durch den Tod eines befreundeten Bloggers das reale Leben Bahn. War dieses Erlebnis die Initialzündung zu sagen, ich verlasse den Computer und engagiere mich im realen Leben, etwa durch Ihre politische Arbeit?
Schramm: Nein, das war viel früher. Ich erzähle im Buch, wie die Streifzüge durch das Internet mich als Jugendliche zu einem politischen Menschen machten, ohne dass ich deswegen unbedingt politische Ämter angestrebt hätte.
Sie wollen nicht mehr für den Bundesvorstand der Piraten kandidieren, warum?
Schramm: Ich will frei sein zu denken, zu sagen und zu entscheiden, was ich für richtig halte. Als Politiker in der Öffentlichkeit muss man vor allem auf das reagieren, was durch die Medien geistert, das reicht nicht. Dennoch oder nur so bleibe ich ein politisch engagierter Mensch. Ich werde eine Basis-Tante bei der Piratenpartei.
Ich habe den Eindruck, durch die Transparenz, die die sozialen Medien herstellen, will sich niemand mehr authentisch äußern. Ständig ist man auf der Hut vor einem Shitstorm.
Schramm: Ja, das sehe ich auch so. Ich habe meinen Facebook-Account abgemeldet und bin nur noch gelegentlich auf Twitter.