Was macht der Einsatz in einem Kriegsgebiet mit jungen Menschen? Forscher des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam wollten es genau wissen: Herausgekommen ist die Langzeitstudie „Afghanistanrückkehrer. Der Einsatz, die Liebe, der Dienst und die Familie“. Eindrücke und Folgen für die befragten jungen Deutschen sind fast durchweg gravierend. Im Guten, aber auch im Schlechten. Immerhin gut zwei Drittel gaben an, dass die Erfahrungen in Afghanistan ihr Selbstbewusstsein gestärkt haben.
Den Forschern ging es, wie der Titel der Studie schon andeutet, in erster Linie um die Auswirkungen des Kampfeinsatzes auf das Privatleben. 4000 Soldaten, die im Jahr 2010 am Hindukusch im „22. Kontingent der Isaf“ im Einsatz waren, wurden gebeten, sich an der Analyse zu beteiligen – 850 beteiligten sich. Und zwar mehrmals. Zuletzt 2013, also mehr als zwei Jahre nach ihrer Rückkehr.
Internationale Auslandseinsätze seit 1990
Getötete Soldaten, verletzte Soldaten, traumatisierte Soldaten. Bis in die 90er Jahre hinein ging es um den Zweiten Weltkrieg, wenn diese Stichworte fielen. Doch von 1990 an nahm die Bundeswehr an internationalen Auslandseinsätzen teil. Zunächst ging es um humanitäre Missionen, um Friedenssicherung und logistische Aufgaben. Dabei blieb es aber nicht. Der Einsatz im Bürgerkriegsland Afghanistan, der im Jahr 2002 begann, wird heute Kampfeinsatz genannt – allein 2010 verloren sieben deutsche Soldaten dabei ihr Leben.
So überrascht es nicht, dass fast 50 Prozent der Studienteilnehmer in Afghanistan in Kampfhandlungen verwickelt waren. Augenfällig ist, dass das Gros der Soldaten sich als gereifter und gelassener einschätzt, als vor dem Einsatz. Besonders belastend wird die Trennung von der Familie und dem Partner empfunden. Rund 25 Prozent gaben an, dass die Beziehung in dieser Zeit in die Brüche gegangen sei. Eine ähnlich große Gruppe empfand hingegen, dass sich die Partnerschaft gefestigt habe.
Als Ärgernis nahmen 50 Prozent der Befragten direkt nach dem Einsatz die Bundeswehr-Bürokratie wahr. Doch ein Teil der Soldaten – oft körperlich oder seelisch verletzt – geriet in der Heimat aus dem Takt. Fünf bis acht Prozent kreuzten an, sich nach dem Einsatz im Ausland „fremd im eigenen Leben“ zu fühlen. Eine Zahl, die eventuell noch höher ausfallen könnte. Denn noch lässt die Auswertung der Fragebögen derjenigen auf sich warten, die der Bundeswehr bereits den Rücken gekehrt haben.
Der Bund Deutscher Veteranen (BDV) begrüßt die Untersuchung generell. Doch es folgt ein großes Aber: „Es stößt uns sauer auf, dass die Studie zeitlich einfach zu kurz greift. Gerade die Bundeswehrmediziner sagen, dass die meisten Beschwerden erst drei bis viereinhalb Jahre nach dem Einsatz auftreten“, sagte der zweite Vorsitzende des BDV, Johannes Clair, unserer Zeitung. Die Gesetze zur Verbesserung der Lage von Veteranen seien zwar geschaffen worden, in der Praxis aber laufe vieles schief: „Es fehlt ein Konzept, es fehlen die Ansprechpartner. Zeitsoldaten beispielsweise, die im Ausland eingesetzt waren, werden nicht mehr erfasst, wenn sie die Bundeswehr verlassen haben“, beklagt Clair.
Kritik kommt auch von Afghanistan-Veteran Andreas Timmermann-Levanas, der mit seinem Buch „Die reden, wir sterben“ über sogenannte Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) im Jahr 2010 für Aufsehen sorgte: „Die neue Studie ist sicher interessant. Wir brauchen aber dringend eine Langzeitstudie zum Thema Traumatisierung“, sagte der frühere Berufsoffizier, der nach seinem Dienst am Hindukusch unter PTBS leidet. Auch Timmermann-Levanas hat erlebt, dass der Zusammenhalt und die große Verantwortung im Einsatz für viele Soldaten eine positive Erfahrung für das weitere Leben sein kann.
Doch er verweist auf eine Reihe von Studien in Großbritannien und den USA, die zehn bis 15 Jahren nach der Rückkehr der Veteranen ansetzten: „Die Ergebnisse waren katastrophal. Oft zerbrachen die Familien der Traumatisierten, hinzu kamen Alkoholprobleme. Überdurchschnittlich viele Soldaten wurden obdachlos.“ Timmermann-Levanas: „Weder die Bundeswehr, noch Politiker und Wissenschaftler haben die Dimension dieses Problems erkannt.“
2400 deutsche Soldaten in Afghanistan
Erst Ende Juli hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die deutschen Soldaten in Nordafghanistan besucht. Insgesamt sind noch fast 50 000 Soldaten aus 46 Ländern am Hindukusch, darunter 2400 deutsche.
Das ZMSBw in Potsdam mit rund 140 Mitarbeitern betreibt militärsoziologische und sicherheitspolitische Forschung für die Bundeswehr. Ein Hauptprojekt sind die Einsätze der Bundeswehr seit 1990. Geforscht wird aktuell außerdem zum Ersten Weltkrieg und zur deutsch-deutschen Militärgeschichte – hier vor allem zur Rolle der Bundeswehr in der Nato und der Nationalen Volksarmee der DDR im Warschauer Pakt.