In der Branche hatte der Wechsel für mächtig Aufsehen gesorgt: Christoph Straub, Vize-Chef der Techniker Krankenkasse und Kronprinz des Vorstandsvorsitzenden, geht zur Rhön-Klinikum AG. Bei der großen Krankenkasse hatte Straub vor dem ganz großen Karrieresprung an die Spitze gestanden – da kam der Anruf des Headhunters. Der Bad Neustadter Klinikkonzern wollte den Fachmann für Integrierte Versorgung haben. Straub sollte der erste Arzt im Vorstand des Konzerns werden, zuständig für den Geschäftsbereich der ambulant-stationären Grund- und Regelversorgung und die medizinische Entwicklung.
Und der Kassenmann wechselte die Seiten und ging von Hamburg zum Rhön-Klinikum. Anfang 2009 war das. Straub sollte für den Konzern die medizinische Versorgungslandschaft neu ordnen. „Der verlorene Sohn“ überschrieb das Branchenmagazin „medbiz“ damals die Geschichte über Straubs überraschenden Wechsel.
Kaum zwei Jahre später ist die Branche erneut überrascht. Denn Straub verhandelt wieder. Der 49-Jährige soll neuer Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK werden. Er gilt, so schrieb es die „Bild“-Zeitung Anfang der Woche, als „heißester Kandidat“. Beim Rhön-Klinikum äußert man sich zur Personalie nicht, auch die Barmer verweist nur auf die Sondersitzung des Verwaltungsrats am 13. April. Da soll die Entscheidung formell fallen, wer Chef der bundesweit größten Kasse mit 8,6 Millionen Versicherten wird.
Kasse, Klinikkonzern, Kasse – so schnell kann es gehen. So schnell wechselt man am Verhandlungstisch mal eben die Seite.
Der Chefsessel der Barmer GEK ist freigeworden, weil Birgit Fischer, die Vorstandsvorsitzende, zum 1. Mai zum Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) wechselt. Von der Kassenchefin und Anwältin der Patienten zur obersten Pharmalobbyistin nach nicht mal anderthalb Jahren – so schnell kann es gehen. Vor ihrem Wechsel zur Barmer war die Sozialdemokratin Fischer mal Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen. Sie galt als Linke, Mitglied im Parteivorstand der SPD ist sie auch. Und so bespotteten Gesundheitspolitiker von CDU und FDP denn Mitte März die Ankündigung des Richtungswechsels: Die Pharmalobby hole sich „den Feind ins eigene Haus“, meinte Ulrike Flache, die Vize-Fraktionsvorsitzende der FDP. Und Unionsgesundheitspolitiker Jens Spahn höhnte, das sei so „als würde Jürgen Trittin Chef des Atomkonzerns E.ON“.
Und der Kassenpatient fragt sich, wie sehr sich Birgit Fischer wohl als Barmer-Chefin für das Wohl und den Geldbeutel der Kassenmitglieder eingesetzt hat, wenn sie jetzt von der Arzneimittelindustrie abgeworben wird. Hatte die Sozialdemokratin nicht gerade noch die Klientelpolitik der Regierung zugunsten der Industrie gegeißelt? Hatte sie die Pharmabranche nicht in der Vergangenheit immer kritisiert? Und wie soll Christoph Straub, der gerade noch Manager einer börsennotierten Krankenhauskette ist, in Zukunft überzeugend eine gesetzliche, auf Solidarität ausgerichtete Krankenkasse vertreten? Wenn die doch ständig Preis- und Kosten-Kämpfe mit Kliniken ausfechten muss?
Der Drehtür-Effekt ist ein häufig beobachtetes Phänomen des Lobbyismus: Politiker oder hochrangige Ministeriumsmitarbeiter lassen Amt Amt sein und machen fortan für Unternehmen oder Interessenverbände Politik. Sie wechseln von einer Seite des Verhandlungstischs auf die andere und sitzen quasi dem eigenen Nachfolger gegenüber. So berät heute Andrea Fischer, einst für die Grünen im Bundestag und Gesundheitsministerin, heute Pharmaunternehmen und Krankenkassen. Anders herum geht es auch: Christian Weber, Vizedirektor und „Chefideologe“ des Verbandes der privaten Krankenversicherungen, ließ sich von Minister Philipp Rösler als Abteilungsleiter für Grundsatzfragen ins Bundesgesundheitsministerium holen. Auch ein beliebtes Beispiel, nicht aus der Gesundheitsbranche: Gerald Hennenhöfer war einst Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium, wechselte – als Rot-Grün regierte – zum Atomkonzern Viag und beriet die Betreiber des Atomkraftwerks Asse II. Von CDU-Umweltminister Norbert Röttgen bekam er dann, 2009, seinen alten Posten als oberster Atomaufseher zurück.
Cornelia Yzer, bislang VFA-Geschäftsführerin und jetzt bald Vorgängerin von Birgit Fischer, war vor ihrem Chefposten beim Pharmaverband mit dem schlechten Ruf übrigens Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin für Wissenschaft und Forschung unter Jürgen Rüttgers. Als Cheflobbyistin muss sie jetzt gehen, weil sie offenbar nicht erfolgreich genug gegen die Rösler'sche Arzneimittelmarkt-Reform kämpfte. Ironie: Ausgerechnet Barmer-Chefin Fischer hatte überhöhte Arzneimittelpreise immer wieder beklagt, eine bessere Nutzenprüfung für neue Medikamente gefordert, sich als Gegnerin der Pharmaindustrie profiliert und die Regierung aufgefordert, das Preismonopol der Hersteller zu knacken.
Und künftig tritt sie dafür ein, dass den Herstellern die Zulassung neuer Pillen möglichst nicht erschwert wird und sie die Hoheit über die Preise behalten? Christoph Straub, wenn er denn vom Klinikkonzern zur Barmer wechselt, kehrt immerhin zurück auf vertrautes Terrain. Sechs Jahre beim Verband der Angestellten-Krankenkassen, acht Jahre bei der TK – der „verlorene Sohn“ würde zurückkehren nach dem Gastspiel beim Rhön-Klinikum.