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Gastbeitrag: Die EU-Verfassung ist tot, es lebe der Reformvertrag

Leitartikel

Gastbeitrag: Die EU-Verfassung ist tot, es lebe der Reformvertrag

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    Carolin Rüger
    Carolin Rüger Foto: FOTO privat

    Heute setzen in Lissabon die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten ihre Unterschrift unter den sogenannten Reformvertrag. Dieser Vertrag steht am Ende eines Reformprozesses, dessen Beginn fast auf den Tag genau sechs Jahre zurückliegt. In der Erklärung von Laeken wurde am 15. Dezember 2001 festgelegt, welche Fortschritte die notwendige Reform der EU bringen sollte: mehr demokratische Legitimation, Effizienz, Transparenz, Sichtbarkeit nach innen und außen, Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit sowie Bürgernähe. Der neue Vertrag von Lissabon erfüllt im Großen und Ganzen all diese Kriterien!

    Die geplante Verfassung ist tot, denn man hat sich sowohl von deren Titel als auch vom Konzept verabschiedet. Ihr Geist und ihre Inhalte leben jedoch weiter: 95 Prozent der Innovationen des Verfassungsvertrags wurden in den Reformvertrag transplantiert. Es heißt oft, dass nur kosmetische Änderungen am Verfassungsvertrag vorgenommen wurden. Von einer Schönheitsoperation kann allerdings keine Rede sein, denn bei der äußeren Form des Textes ist man von Transparenz weit entfernt.

    Erfreulicherweise werden aber zumindest die Entscheidungsverfahren im Inneren der EU deutlich transparenter und Verantwortlichkeiten besser zurechenbar. Verluste sind auch zu beklagen bei Flagge, Hymne und Leitspruch, die eine emotionale Andockstelle geboten hätten und jetzt – zumindest im Text – nicht mehr auftauchen. Bedenklich ist außerdem, dass sich Großbritannien, vor allem um ein Referendum zu umgehen, weitere Notbremsen und Nichtbeteiligungsklauseln gesichert hat. So wird dort zum Beispiel die Charta der Grundrechte keine Gültigkeit haben.

    Wenn man Für und Wider des Reformvertrags abwägt, kommt man allerdings zu dem Schluss, dass nach etlichen Geburtswehen letztendlich ein Kompromiss vorliegt, der – gerade weil in ihm die Substanz der Verfassung enthalten ist – einen Erfolg für die Europäische Union sowie für die Europäerinnen und Europäer darstellt.

    Mit der heutigen feierlichen Zeremonie ist die Ziellinie der Reform noch nicht durchlaufen. Damit der Vertrag von Lissabon bis 2009 in Kraft treten kann, muss er in allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. In Irland, möglicherweise auch in Dänemark, wird ein Referendum stattfinden.

    Jetzt sind vor allem die nationalen Regierungen am Zug, den unbestreitbaren Mehrwert des Vertrags zu vermitteln. Auch wenn in den meisten Mitgliedstaaten die Parlamente den neuen Vertrag verabschieden, darf dies eine öffentliche Debatte nicht ersetzen, denn das europäische Haus kann nicht ohne die Zustimmung der Bewohner gebaut werden. Für die Zukunft ist wichtig, dass die EU nach hoffentlich erfolgreicher Ratifizierung einen Gang herunter schaltet, was ihre Reformtätigkeit angeht.

    Nach der langwierigen Reformbaustelle ist es dann an der Zeit, einen Baustopp einzulegen, sich um die Konsolidierung des Bauwerks zu bemühen und sich nach Jahren der Selbstbeschäftigung und Nabelschau wieder anderen Baustellen zu widmen. Und derer gibt es auf der Welt ja bekanntlich genug!

    Zur Person

    Carolin Rüger

    Die Politikwissenschaftlerin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft und Sozialforschung der Universität Würzburg. 2006 erschien im Tectum-Verlag ihr Buch „Aus der Traum? – Der lange Weg zur EU-Verfassung“. Rüger, die ihr Studium der Politikwissenschaft, Germanistik und Soziologie mit dem Magister (M.A.) abschloss, schreibt derzeit an ihrer Doktorarbeit, in der sie sich mit der Europaverdrossenheit beschäftigt.

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