Europa schottet sich ab. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen vor allem auch in Deutschland mag dieser Satz wie eine Provokation klingen. Aber er ist leider wahr. Immer höher wachsen an den Außengrenzen der EU die Zäune in den Himmel, Nachbarländer wie die Türkei werden mit teuren Wärmebildkameras ausgestattet, das italienische Programm „Mare Nostrum“ zur Rettung in Seenot geratener Flüchtlinge wurde eingestellt.
An seine Stelle rückte „Triton“, benannt nach einem griechischen Meeresgott. Göttlich ist seine Mission jedoch keinesfalls, „Triton“ soll in erster Linie Europas Außengrenzen schützen. Europa schottet sich ab. Der Tod im Meer wird fatalistisch als Teil dieser Abschottungsstrategie hingenommen.
Eine koordinierte europäische Flüchtlingspolitik wäre eine weniger menschenverachtende Alternative, doch man sucht sie vergebens. Weltweit waren 50 Millionen Menschen im Jahr 2014 auf der Flucht. Über 80 Prozent der Flüchtlinge zieht ins jeweilige Nachbarland oder bleibt in sicheren Regionen des eigenen Landes. Auch legale Fluchtmöglichkeiten würden daran nichts ändern. Über Länder oder gar Kontinente hinweg zu fliehen, ist emotional, organisatorisch und finanziell eine große Belastung. Nur wenige Menschen sind bereit oder in der Lage, sie auf sich zu nehmen.
In Europa selbst aber werden die Flüchtlinge höchst ungleich verteilt. Längst gibt es Pläne, das umstrittene Dublin-Abkommen, wonach jeder Asylbewerber nur dort Asyl beantragen darf, wo er zuerst europäischen Boden betreten hat, durch einheitliche Anerkennungsverfahren und eine bessere Verteilung zu ersetzen. Bevölkerung, Wirtschaftskraft, aber auch Arbeitslosigkeit und die Größe das Landes sind viel gerechtere Faktoren der Aufteilung.
So gewichtet hätte Schweden 266 Prozent zu viel Flüchtlinge aufgenommen, alle osteuropäischen Länder, aber auch Spanien und Portugal, deutlich zu wenig. Deutschland nimmt übrigens fast auf den Punkt so viele Flüchtlinge auf, wie ihm nach einem Faktorenmodell zugewiesen würden (zwei Prozent zu wenig).
Schweden ist aber auch ein gutes Beispiel der politisch-gesellschaftlichen Belastungsgrenzen von Zuwanderung. Im Wahlkampf 2014 forderte Regierungschef Fredrik Reinfeld die Schweden nicht nur dazu auf, gegenüber den Flüchtlingen „ihre Herzen zu öffnen“ – in Schweden längst Konsens. Er sagte vielmehr auch, dass die ein oder andere Reform warten müsse, denn die Belastungen durch die schwedische Flüchtlingspolitik seien groß. Seine konservativ-liberale Partei verlor darauf hin knapp sieben Prozent der Stimmen, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten gewannen über sieben Prozent dazu und wurden drittstärkste Kraft.
Reinfeld nennt es heute einen Fehler, die Öffnung des Landes für Flüchtlinge nur als gute Tat und Akt der Menschlichkeit beschrieben zu haben. Er habe zu wenig über den Nutzen für Schweden, über die Innovation geredet. „Es ist einfach gute Wirtschaftspolitik.“
Und deshalb ist es eine Farce, wenn die Koalition in Berlin über neue Zuwanderungsregeln streitet, weil sonst die Rentenkassen in einigen Jahren zusammenbrechen, aber tatenlos zusieht, wenn junge Menschen im Mittelmeer ertrinken oder wie Verbrecher behandelt werden.
Europa muss endlich aufhören, seine Grenzen mehr zu schützen als die Menschen.