Die Zahlen sprechen für sich: Josef Ackermann erhielt 2011 als Vorstandschef der Deutschen Bank das 365-Fache dessen, was dem schlechtest bezahlten Angestellten in der Branche zustand. Siemens-Chef Peter Löscher hatte Jahreseinkünfte die 336 mal so hoch lagen wie der geringste Jahrestariflohn in der Metall- und Elektroindustrie. Und während sich Manager üppige Ruhestandsregelungen und Boni gönnen, wissen ihre Mitarbeiter oft nicht, wie sie steigende Spritpreise, Krankenkassenbeiträge und private Altersversorgung bezahlen sollen.
Der einfache Arbeitnehmer hat immer stärker den Eindruck: Die da oben kassieren ungehemmt immer mehr. Dagegen wird bei uns hier unten stets aufs Neue zur Bescheidenheit gemahnt – weil wir angeblich die Konjunktur abwürgen, wenn wir genauso gierig aus dem Lohntopf fressen wollen. Ist es Neid der Besitzlosen, wenn man das immer steilere Gehaltsgefälle als maßlos bezeichnet?
Vor allem ist es eine Frage der Gerechtigkeit. Der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück würde sie (trotz fünfstelliger Redehonorare) gut zu Gesicht stehen, um endlich beim Wähler zu punkten. Aber noch bevor der Herausforderer „Schnitzel“ sagen konnte, hat Kanzlerin Angela Merkel das Thema schon gegessen: Sie kritisiert die Managergehälter als maßlos, gierig und reformbedürftig.
Es wäre schön, wenn sie die Gerechtigkeit zu einer Herzensangelegenheit ihrer Kanzlerschaft gemacht hätte. Aber davon war weit und breit nichts zu erkennen. Erst die Ankündigung Steinbrücks hat sie alarmiert. Kaum einer hat einen feineren Instinkt als der Machtmensch Merkel. Sie erkennt Brandherde und tritt sie aus, noch bevor das Feuer richtig Nahrung kriegen kann. Die aufbrandenden Debatten um das Thema Abzocke in Frankreich, den USA und der Schweiz hatten sie vorgewarnt.
Vorige Woche sah es so aus, als tue sie wieder einmal nur so, als tue sie etwas. Über Maßlosigkeit der Manager zu schimpfen und die Verantwortung für Veränderungen auf die EU abzuschieben, war ein typischer Merkel-Schachzug, der niemandem weh getan hätte. Und wenn das Thema – weit nach der Wahl – in Brüssel zerredet worden wäre, hätte die Kanzlerin ihre Hände in Unschuld gewaschen.
Doch nun muss in der Union die Gewissheit gereift sein: Das Thema Abzocke in den Chefetagen hat reichlich Sprengkraft. Also setzt sich Angela Merkel an die Spitze der Bewegung und kündigt eine Gesetzesinitiative noch vor der Wahl im September an. Ihr Ziel: Künftig sollen die Aktionäre über die Obergrenzen der Managergehälter befinden.
Einmal mehr hat Angela Merkel vor der Wirklichkeit kapituliert und ihre Position korrigiert. Wie bei der Atomkraft, bei der Wehrpflicht oder der Homo-Ehe beugt sie sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Doch entschieden ist damit nichts. Bei dem Schneckentempo, das die Koalition bisher bei Gesetzesvorhaben an den Tag legt, ist es unwahrscheinlich, dass sie es damit vor dem Wahltag schafft.
Aber selbst dann ist nicht viel erreicht. Denn wer sind die einflussreichen Stimmgeber in den Hauptversammlungen, die dann Gehälter kontrollieren sollen? Dicke Aktienpapiere halten nicht kritische Kleinanleger, sondern Hedge-Fonds, Konzerne oder Unternehmerfamilien. Und die sind schon bisher nicht durch besonders effektive Kontrolle aufgefallen.