Experten schlagen Bundesjustizminister Heiko Maas die Entrümpelung und zeitgemäße Regulierung des Sexualstrafgesetzes vor. Das im vorigen Jahr eilig beschlossene Gesetz mit dem eingängigen Slogan „Nein heißt nein“ ist nach Einschätzung der Reform-Kommission um den Würzburger Strafrechts-Professor Klaus Laubenthal mit zu heißer Nadel gestrickt.
Nachdenklich wiegt Professor Klaus Laubenthal einen blauen Wälzer von der mutmaßlichen Größe des New Yorker Telefonbuches in den Händen: 1397 Seiten hat der Bericht der Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts. Laubenthal hat den dicken Band gerade im Namen der zwölf Kommissionsmitglieder an den Bundesjustizminister übergeben.
Das Buch enthält zweieinhalb Jahre Arbeit der zwölfköpfigen Kommission in 28 Sitzungen: Referate der Mitglieder, zu denen der in Aschaffenburg geborene Strafrechtler gehört, aber auch die Vorträge von „15 sachverständigen Personen aus der Praxis“, wie Laubenthal betont: Staatsanwälte, Psychologen, auch Prostituierte.
Zwölfköpfige Kommission beauftragt
61 konkrete Empfehlungen hat die Kommission an den Gesetzgeber beschlossen – und sie hofft, dass der Gesetzgeber möglichst viele davon in einer Reform umsetzt. „Unser Ziel war es, dazu beizutragen, ein neues, geordnetes und zugleich widerspruchsfreies Sexualstrafrecht zu schaffen“, sagte Laubenthal jetzt bei der Übergabe an Maas.
Kritik am bestehenden Gesetz gab es unüberhörbar schon lange. Deshalb hatte der Minister Anfang 2015 die zwölfköpfige Kommission beauftragt, ihm Vorschläge zu erarbeiten. Aber die Fachleute wurden von den Ereignissen überholt. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht im Jahr 2015/2016 hatten es die Abgeordneten plötzlich eilig: In Rekordzeit – nur sechs Monate nach den Vorfällen – verabschiedete der Bundestag eine Verschärfung des Sexualstrafrechts.
„Einen wichtigen Schritt zur Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung“, nannte Justizminister Heiko Maas (SPD) den beschlossenen Gesetzesentwurf, der Ende 2016 in Kraft trat, damals. Seitdem ist unter anderem strafbar, wenn sich ein Täter über den Willen des Opfers hinweg setzt – auch ohne Gewaltandrohung und dem Ausnutzen einer schutzlosen Lage.
Die Kommission arbeitete weiter und bemängelt in ihrem Bericht jetzt handwerkliche Fehler des Hoppla-Hopp-Gesetzes. Sie empfiehlt eine Überarbeitung, damit das Gesetz für die Praxis wirklich eine Verbesserung bringt. Einig ist sich die Kommission jedoch, dass eine Reform nötig war, da das Sexualstrafrecht Strafbarkeitslücken vorwies– zum Beispiel bei sogenannten „Klima-der-Gewalt“-Fällen. Das sind Fälle, in denen ein Täter straflos blieb, wenn ein Opfer zwar erkennbar die sexuelle Handlung ablehnte, der Täter aber den Willen des Opfers nicht brechen musste, um die sexuelle Handlung zu erzwingen.
Es sei bedauerlich, dass „die Änderungen in großer Eile herbeigeführt“ wurden, heißt es in dem Abschlussbericht. Der Paragraf 177 im Strafgesetzbuch, unter dem sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung geregelt sind, sei „überfrachtet“ und entspreche nicht „den rechtsförmlichen Vorgaben einer guten Gesetzgebung“, schreiben die Experten. Sie raten unter anderem dazu, die Nötigungs- und Übergriffs-Tatbestände in getrennten Vorschriften zu regeln und die Bewährung der „Nein heißt Nein“-Lösung in der Praxis kritisch zu verfolgen.
Die nun vorliegenden Reformvorschläge reichen von den Themenfeldern Prostitution, Kindesmissbrauch, Pornografie bis zu Vergewaltigung, Belästigung, Nötigung und der Anbahnung von sexuellen Kontakten im Internet. Laubenthal betont im Gespräch mit der Redaktion den Grundgedanken, von dem die Experten sich leiten ließen: „Im Mittelpunkt steht das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung“ (also auch die Freiheit, unerwünschte Sexualkontakte ablehnen zu können), und nach wie vor der Schutz Minderjähriger. Nach Empfehlungen von Experten bleibt die Kommission dabei, das schutzwürdige Alter von Kindern bei 14 Jahren zu belassen.
Der Kuppelei-Paragraf soll abgeschafft werden, weil er nicht mehr zeitgemäß ist. Und die Kommission empfiehlt eine Strafbarkeit für Freier, die erkennen, dass sie die Lage einer Zwangsprostituierten ausnützen.
Auch die Regelungen zur Pornografie „sind nicht mehr zeitgemäß“, macht Laubenthal deutlich. Bei Personen, die bereits durch den Besitz oder Handel mit Kinderpornografie aufgefallen sind, zieht die Kommission die Schraube an: „Das ist mir wichtig“, sagt der Würzburger Strafrechtler. „Wir sollten das Instrument der Führungsaufsicht für solche Personen deutlich erweitern.“ Denn die Analyse zeige, dass das Anschauen von Kinderpornografie für den Konsumenten häufig ein Einstiegsdelikt sei, dem später Kindesmissbrauch folge.
Die Kommission befürwortet, dass in dem schnellen Gesetz von 2016 auch die sexuelle Belästigung unter Strafe steht. Kritisch sehen die Mitglieder jedoch den neu geschaffenen Paragrafen, der Straftaten aus Gruppen ahnden soll. Auch diese Reform trat Ende 2016 als Reaktion auf die Silvesternacht in Köln in Kraft.
Lediglich ein „symbolisches Strafrecht“
Seitdem kann jemand bestraft werden, wenn er sich in einer Gruppe beteiligt, die andere Menschen so bedrängt, dass dies eine Straftat darstellt. „Handwerklich missglückt“ und „schwer verständlich“, sei der Paragraf, schreiben die Experten. Es bestehe für den neuen Paragrafen keine Erfordernis, er ist dem Bericht der Experten zufolge lediglich ein „symbolisches Strafrecht“ und könne daher auch wieder abgeschafft werden. Das dicke blaue Buch mit den Entrümpelungs- und Verbesserungsvorschlägen liegt dem Justizminister nun vor. Je nachdem, wie die Bundestagswahl ausgeht, werden die Vorschläge dann vielleicht in die Gesetzgebung einfließen. Aber bis dahin „wird es noch einige Zeit dauern“, sagt Laubenthal.
Er hat die Kommissionsarbeit nun ebenso hinter sich gelassen wie den Posten als Missbrauchsbeauftragter des Bistums Würzburg. Nun setzt sich der Verfasser diverser Lehrbücher zum Strafrecht neue Schwerpunkte: „Ich möchte die Bücher, die ich geschrieben habe, aktualisieren.“ Klaus Laubenthal wird im Dezember 63 Jahre alt. Aber ans Aufhören denkt der Strafrechtler noch lange nicht. „Auf absehbare Zeit habe ich genug zu tun.“