Dass in unserer Region jeder fünfte zehnjährige Junge „auffällig“ ist, kann man glauben. Dies mag exzessivem Medienkonsum geschuldet sein oder zu geringer kindgerechter Bewegung; vielleicht auch unglücklichen Familienstrukturen. Was man aber nicht glauben will, ist, dass jeder fünfte Junge hier tatsächlich ADHS haben soll – eine Krankheit, die früher, als Jungs stundenlang Fußball noch draußen und nicht auf dem Computer spielten, nur ausnahmsweise diagnostiziert wurde. Unsere Gesellschaft wird immer weniger kindgerecht. Sie lässt Kindern zu wenig Platz, zwängt sie in immer engere Zeitstrukturen, gibt ihnen falsches Spielzeug und lässt sie selten laut und bewegungsintensiv Kind sein. Eigentlich müssten wir die Gesellschaft therapieren. Stattdessen therapieren wir die Kinder. Warum? Weil es möglich ist, weil hier besonders viele Kinderpsychiater praktizieren. In Mecklenburg-Vorpommern sind die Kids vermutlich nicht weniger auffällig. Womöglich ist der Psychiater aber zu weit weg.
Leitartikel