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WÜRZBURG: US-Botschafter John B. Emerson über Snowden und die Ukraine-Krise

WÜRZBURG

US-Botschafter John B. Emerson über Snowden und die Ukraine-Krise

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    US-Diplomat mit deutschen Wurzeln: Der amerikanische Botschafter John B. Emerson beim Redaktionsbesuch in Würzburg.
    US-Diplomat mit deutschen Wurzeln: Der amerikanische Botschafter John B. Emerson beim Redaktionsbesuch in Würzburg. Foto: Foto: Daniel Peter

    Das deutsch-amerikanische Verhältnis hat unter der NSA-Affäre schwer gelitten. Während der Ukraine-Krise haben sich Washington und Berlin allerdings wieder aufeinanderzubewegt. Beim Redaktionsbesuch erklärte der US-Botschafter in Deutschland, John B. Emerson, was er von einer Befragung Edward Snowdens hält und warum die Verlegung von US-Truppen nach Osteuropa keine Provokation Russlands ist.

    Frage: Edward Snowden hat kürzlich in einem NBC-Interview angekündigt, dass er sich eine Rückkehr in die USA vorstellen könnte. Bedingung sei aber ein Deal mit den Strafverfolgern. Haben die US-Behörden im Moment Kontakt zu Snowden?

    John B. Emerson: John Kerry hat gesagt, es steht Edward Snowden jederzeit frei, in die USA zurückzukommen. Ob es derzeit Kontakt gibt, etwa zu seinen Anwälten, weiß ich nicht. Auch nicht, ob es einen Deal gibt. Ich glaube aber nicht, dass das der Fall ist.

    Die USA kritisierten zuletzt, dass der Generalbundesanwalt Ermittlungen wegen des abgehörten Handys von Kanzlerin Merkel aufnehmen will. Warum herrscht in einem solchen Fall in einem Rechtsstaat Unverständnis über das Handeln eines anderen?

    Emerson: Ich habe das nicht so als Kritik wahrgenommen. Es ging mehr darum, dass eine Zusammenarbeit unserer Geheimdienste und ein bilateraler Dialog produktiver als Ermittlungen wären. Die deutschen Ermittler müssen sich an deutsches Recht halten und müssen alles tun, was sie für notwendig halten. Es gibt aber auch bestimmte Vorgaben und Gesetze darüber, welche Informationen wir den deutschen Ermittlern zur Verfügung stellen können und welche nicht.

    Sie sprechen von Zusammenarbeit. Aber das Abhören eines anderen ist doch genau das Gegenteil.

    Emerson: Ich war nicht dabei, als bestimmte Entscheidungen getroffen wurden. Aber die Zusammenarbeit und die Abstimmung zwischen amerikanischen und deutschen Geheimdiensten sind entscheidend bei der Verteidigung der Interessen unserer beiden Länder und für den Schutz unserer Bürger. Nicht nur was Terrorismus angeht: Denken Sie an Cyberangriffe. Fast täglich versuchen Leute, sich in unsere Luftüberwachung, Energienetze oder in Bankensysteme zu hacken. Diesen Leuten müssen wir immer einen Schritt voraus sein. Aber zugegeben: Das Handy der Kanzlerin abzuhören, hat nichts mit dem Schutz von irgendjemandem zu tun. Und Präsident Obama hat sehr klar gemacht, dass das inakzeptabel war.

    Dennoch werden wohl Ermittlungen eingeleitet. Edward Snowden könnte dabei ein wichtiger Zeuge sein. Wie stehen Sie zu einer möglichen Befragung Snowdens durch deutsche Ermittler oder Mitglieder des Untersuchungsausschusses?

    Emerson: Ihn nach Deutschland zu bringen, würde in einem großen Medientheater enden. Ich bin nicht sicher, welche Informationen man davon erwarten könnte. Aber das liegt in den Händen der deutschen Verantwortlichen.

    Es würde das deutsch-amerikanische Verhältnis aber wieder belasten?

    Emerson: Ich denke, wir begegnen unseren gemeinsamen Herausforderungen – Internetsicherheit, Schutz der Privatsphäre, Schutz unserer Bürger – besser, wenn wir das in einer Diskussion tun, die eher von Aufklärung als von Zuspitzung getragen wird. Immer wenn wir eine Atmosphäre schaffen, die die Gemüter mehr erhitzt, als zur Sachlichkeit beiträgt, ist das der Verbesserung unserer Beziehung hinderlich.

    Hat die Ukraine-Krise geholfen, das deutsch-amerikanische Verhältnis nach der NSA-Affäre wieder zu verbessern?

    Emerson: Sie hat zumindest die unglaublich große Bedeutung der europäisch-amerikanischen Einigkeit gezeigt. Und sie hat auf ziemlich dramatische Art und Weise die Tatsache unterstrichen, dass wir die gleichen Werte haben: Freiheit, Respekt vor Gesetzen, das Recht der Menschen, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, oder Pressefreiheit – die übrigens in dem Land, das Edward Snowden als Zufluchtsort gewählt hat, nicht existiert.

    Wie ambivalent ist das Verhältnis Berlin/Washington derzeit? Da ist einerseits die NSA-Affäre, andererseits die Ukraine-Krise. Und in beiden Fällen spielt Moskau eine nicht unbedeutende Rolle . . .

    Emerson: Wenn man sich die Geschichte ansieht, erkennt man, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis in den vergangenen fast 70 Jahren für beide Länder von enormer Bedeutung war. Es gibt eine ganze Generation von Deutschen, die sich daran erinnern, dass sie ihren ersten Kaugummi von einem US-Soldaten bekommen haben, und die den Vereinigten Staaten für Frieden und die Wiedervereinigung dankbar sind. Andersherum ist Deutschland heute unter den Amerikanern, von denen übrigens 65 Millionen so wie ich deutsche Wurzeln haben, das beliebteste und angesehenste Land. Dennoch gab es in der Geschichte immer Zeiten, als wir uns über manche Themen nicht einig waren: der Vietnamkrieg, die Pershing-Raketen, der Einmarsch in den Irak und nun das Verhalten der NSA. Wenn wir also über unsere Beziehung reden, müssen wir in längeren Zeitabschnitten denken. Und man muss auch sehen, dass die USA nicht aus einer monolithischen Regierung besteht: Es gibt in den USA große Meinungsunterschiede, was die NSA angeht. Ich garantiere Ihnen: Wenn Edward Snowden vor einem amerikanischen Gericht stünde, wären in den USA Leute auf der Straße, die für ihn demonstrieren.

    Sie haben die europäisch-amerikanische Zusammenarbeit schon angesprochen. Ex-US-Außenminister Kissinger hat einmal nach der Telefonnummer Europas gefragt. Wen ruft Washington an, wenn es um die Ukraine-Krise geht? Jemanden in Berlin? Vielleicht in Warschau? Oder doch in Brüssel?

    Emerson: Wir pflegen Kontakt zur EU, aber auch zu den einzelnen Regierungen. Meiner Meinung nach gibt es aber keinen wichtigeren Kontakt als den zwischen Präsident Obama und Kanzlerin Merkel. Ich will nicht den Eindruck erwecken, das sei eine rein deutsch-amerikanische Sache, aber dass sich diese beiden Länder absprechen, ist extrem wichtig.

    „Initiative zur Rückversicherung Europas“ heißt ein neuer Plan Obamas, nach dem die USA ihre Truppen in Osteuropa verstärken wollen. Welche Auswirkungen hat das auf US-Truppen in Deutschland?

    Emerson: Das ist eine Nato-Initiative, die gar keine Auswirkungen auf die US-Truppen in Deutschland hat. Das ist kein Nullsummenspiel, bei dem Streitkräfte von Deutschland nach Osteuropa verlegt werden. Es handelt sich um eine Truppenverstärkung in Europa, um vor allem unsere baltischen Nato-Partner angesichts der aktuellen Lage zu beruhigen.

    Aber könnte dieser Schritt von Russland nicht als weitere Provokation wahrgenommen werden?

    Emerson: Erstens: Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Zweitens: Wir reden hier nicht von umfangreicher Truppenstationierung in Osteuropa, sondern von 115 Soldaten in Polen und einer Handvoll Flugzeuge im Baltikum. Das ist kaum vergleichbar mit den russischen Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze vor einigen Monaten. Es soll einfach nur ausdrücken: Die Nato hält zusammen, sie ist stark und nimmt den Artikel 5 (des Nato-Vertrags, wo der Bündnisfall im Falle eines Angriffs auf eines der Mitgliedsländer geregelt ist; Anm. d. Red.) ernst.

    Ganz anderes Thema: das Freihandelsabkommen TTIP. In Deutschland kritisieren viele, dass im Geheimen verhandelt wird, und befürchten, dass Verbraucherschutzstandards auf dem Spiel stehen. Wie sieht das die amerikanische Seite?

    Emerson: Diese Ängste haben nichts mit der Realität zu tun. Die amerikanische und europäische Wirtschaft sind die weltweit am stärksten regulierten mit sehr hohen Standards. Das gilt für den Verbraucherschutz, aber auch für Umweltstandards und den Arbeitnehmerschutz. Manchmal sind die amerikanischen, manchmal die europäischen Standards höher.

    Sie befürchten also nicht, dass Standards gesenkt werden könnten?

    Emerson: Nein. Es geht nicht darum, in Europa oder den USA die Standards zu senken. Es geht darum, die Standards des jeweils anderen anzuerkennen, sodass ein Unternehmen nicht zwei Produktionslinien – eine für Europa, eine für Amerika – betreiben muss. Obama hat gesagt, er wird kein Abkommen unterzeichnen, das in irgendeinem Punkt Standards senkt. Und genauso denken die EU-Kommission und das Europaparlament. Wenn es uns gelingt, uns auf TTIP zu einigen, errichten wir die größte Freihandelszone der Welt, die weltweit zum höchsten Maßstab wird.

    John B. Emerson

    Seit August 2013 ist John B. Emerson Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Emerson wurde am 11. Januar 1954 in Chicago geboren, seine Mutter ist deutschstämmig. Vor seiner Tätigkeit als Botschafter war er unter anderem zwischen 1993 und 1997 hochrangiger Mitarbeiter im Stab des damaligen Präsidenten Bill Clinton; 2010 wurde er von Präsident Barack Obama in dessen Beratungskomitee für Handelspolitik berufen. Emerson ist verheiratet und hat drei Töchter. Text: ben

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