Der badische evangelische Landesbischof Ulrich Fischer ist überzeugt davon, dass Gott dem Menschen, eben auch dem Täter, Freiheit zum Handeln geschenkt hat. Der Amoklauf sei eine Tat „missbrauchter Freiheit“. Zu fragen sei, welche Lebenserfahrungen den Täter so weit gebracht haben, dass er „jeden Maßstab des Humanen in Wahrnehmung seiner Freiheit verloren hat“. Die Gesellschaft müsse sich fragen, ob sie nicht junge Menschen überfordert, indem sie immer wieder neue Freiheitsräume eröffne, die letztlich ständigen Entscheidungsstress zur Folge haben, so Fischer. Auch wenn sich Menschen fern von Gott fühlten, bleibe Gott ihnen treu.
Hilflosigkeit aushalten
Der Bischof der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, kann angesichts der schrecklichen Ereignisse nachvollziehen, dass viele Menschen mit Gott hadern, an ihm zweifeln oder gar verzweifeln. Dabei sei es wichtig die eigene Hilflosigkeit einzugestehen und gemeinsam mit anderen auszuhalten. Andererseits könne der Glaube gerade in solchen Extremerfahrungen Kraft und Trost erweisen. Mit dem gekreuzigten Jesus sei Gott auch in der tiefsten Finsternis bei uns. „Ich kann nur hoffen und darum beten, dass die zutiefst verstörten Menschen wieder zu einem solchen Vertrauen finden“, sagte Fürst.
Der Bischof der württembergischen evangelischen Landeskirche, Frank Otfried July, erklärte, dass auch Jesus Christus am Kreuz die Gottverlassenheit spürte. Er habe das Gefühl gekannt, alleingelassen zu sein. Hinter dem Kreuz deutete sich allerdings auch schon die Osterverheißung an, die Auferstehung von den Toten. Manche Menschen in Winnenden hätten bei aller Klage und Trauer in den Gottesdiensten gespürt, dass Gott für sie da sein möchte.
Die Frage nach der Gottverlassenheit während des Amoklaufs hat der Senderbeauftragte der katholischen Kirche im Südwestrundfunk (SWR), Peter Kottlorz, zwiespältig beantwortet. „Ich denke, glaube, hoffe, dass dieser Gott, den wir den Liebenden nennen, in den Stunden der größten Angst und Not bei uns ist“, sagte Kottlorz bei SWR 4. Allerdings könnten Menschen in eine furchtbare Gottverlassenheit geraten. Die schreckliche Seite der Freiheit der Menschen sei, wenn diese freiwillig-böswillig oder durch seelische Not so außer sich geraten, dass sie sich aus dem Bereich des Göttlichen herauskatapultieren. Die schöne Seite der Freiheit des Menschen sei die mitfühlende, die tröstende, die liebende. „Ihre sanfte Kraft wird stärker sein als die schreckliche“, ist Kottlorz überzeugt.
Im Blickpunkt
Staatsakt in Winnenden Am heutigen Samstag findet in Winnenden die zentrale Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufes statt. Erwartet werden dazu Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der ökumenische Gottesdienst findet in der katholischen Kirche in Winnenden statt. Geplant ist die Übertragung in die umliegenden Gemeinden sowie auf Großbildleinwände in Stuttgart.