An die 20000 Teilnehmer aus mehr als 80 Ländern werden zur diesjährigen re:publica erwartet, die am Montag in Berlin ihre Tore geöffnet hat. Was vor 13 Jahren als mehr oder weniger intimes Treffen von rund 600 Bloggern und Netzaktivisten begann, ist inzwischen die größte Konferenz für Digitalisierung und Netzkultur in Europa. Und die re:publica ist weiter gewachsen, das Angebot noch umfangreicher geworden und unter anderem durch eine eigene Konferenz für 1500 Schüler erweitert. Bis Mittwochabend erwartet die re:publica-Besucher 500 Stunden Programm auf 27 Bühnen mit rund 1000 Sprechern in knapp 600 Veranstaltungen.
Gegen die Marktmacht der immer mächtigeren Internet-Plattformen
Alles ist digitalisiert und was noch nicht digitalisiert ist, wird digitalsisiert - und so ist die re:publica heute ein Abbild der digitalen Gesellschaft in all ihren Facetten, vom Fachpodium über IT-Sicherheit bis hin zu den EScootern und dem Flugtaxi im Außengelände. Die Themenvielfalt ist schier unüberschaubar. Klar wird, die Jahre des digitalen Aufbruchs sind vorbei. Jetzt geht es vordringlich um die Frage, in welcher digitalen Welt wollen wir heute und in Zukunft leben? Welche Regeln braucht es dafür? "Wie gehen wir mit der Marktmacht der immer mächtigeren Plattformen um", fragte beispielsweise Markus Beckedahl bei der Eröffnung, Mitbegründer der re:publica und Chefredakteur von netzpolitik.org.
Die mögliche Regulierung von Facebook, YouTube, Twitter und Co ist Thema in zahlreichen Vorträgen und Diskussionen. Wie umgehen mit Hass und Hetze im Netz? Wie können Fake News und Manipulation durch Lüge und Halbwahrheiten gestoppt werden? Aber es geht auch um die Zukunft der Städte - Stichwort "Smart City" -, die Zukunft des Lernens, der Arbeit und der Mobilität. Überhaupt ist das Thema Nachhaltigkeit stark in den Vordergrund gerückt, scheinen Umwelt- und Netzbewegung inzwischen auf einem gemeinsamen Weg. Beckedahl: "Da müssen wir jetzt Lösungen finden und nicht erst in der Zukunft." In einer eigenen Podiumsdiskussion werden Vertreter der Schülerbewegung #FridaysForFuture zu Wort kommen.
Was auffällt in diesem Jahr, ist die starke Präsenz der Politik in den Hallen der "Station Berlin", des ehemaligen Berliner Post- und Paketbahnhofs. Nicht nur der Auftritt der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wird mit Spannung erwartet. Auch das Bundeskabinett positioniert sich auf den Podien: Familienministerin Franziska Giffey, Finanzminister Olaf Scholz, Arbeitsminister Hubertus Heil - um nur einige zu nennen. Über den Stellenwert der Europawahl will der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber mit dem Rapper Eko Fresh diskutieren. Und Markus Beckedahl trifft Axel Voss, den in der Netzgemeinde so überaus unpopulären Berichterstatter des EU-Parlaments bei der jüngst verabschiedeten Urheberrechtsnovelle. Da prallen Welten aufeinander.
Gegen den Zeitgeist der Verkürzung und Vereinfachung
In ihrer Vielfalt, den Momenten der Überraschung und des Staunens ist sich die re:publica treu geblieben - trotz der Prominenz aus Politik, Show und Medien. Dass nun erstmals auch der Bundespräsident eine Rede zur Eröffnung gehalten hat - auf der Bühne, auf der am Abend wie jedes Jahr Sascha Lobo das Netz erklären wird - das zeigt die gewachsene politische Relevanz der Berliner Digitalkonferenz. In seinem Auftritt vermied es Frank-Walter Steinmeier sehr geschickt, sich bei der Netzgemeinde anzubiedern. Stattdessen griff er das Motto der re:publica auf "tl;dr" (to long; didn't read) - eine Abkürzung aus dem Netz, die die Überforderung kennzeichnet durch wachsende Komplexität und Schnelllebigkeit.

Steinmeier wandte sich gegen den "Zeitgeist der Verkürzung und Vereinfachung". Stattdessen sei es wichtig, mit Vernunft und Respekt Argumente auszutauschen, auch auf den sozialen Plattformen. "Wir müssen uns um die politische Debattenkultur im Netz kümmern." Es seien doch oft unverhältnismäßig kleine Gruppen die dort "unverhältnismäßig viel Lärm erzeugen". Der Appell des Bundespräsidenten: "Die demokratische Mehrheit darf sich nicht vertreiben lassen vom Gebrüll der Wenigen." Und er dankte alle denjenigen, die meist ehrenamtlich in ihrer Freizeit gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen.
Auch mit seinem zweiten Thema traf Steinmeier beim Publikum auf großen Applaus: Die Forderung, den großen sozialen Plattformen endlich ein politisches Regelwerk zu geben. "Wer in Europa das große Geschäft macht, muss ich auch an unsere Regeln halten", so Steinmeier. Das gelte für den Datenschutz, das Wettbewerbsrecht und auch für das Strafrecht. Die harten politischen Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen um die die EU-Urheberrechtsnovelle erwähnte der Bundespräsident nicht. Und so bliebt dieses erste Kennenlernen von Netzgemeinde und Frank-Walter Steinmeier ungetrübt.