Mit Niloofer Hamedi hatte das iranische Regime nicht gerechnet. Niemand achtete auf die Reporterin, als sie Mitte September ins Kasra-Krankenhaus der Hauptstadt Teheran ging. Hamedi hatte vom Fall der 22-jährigen Mahsa Amini gehört. Die Religionspolizei hatte Amini wegen eines Verstoßes gegen die Kopftuchpflicht festgenommen und schwer misshandelt. Kurz darauf starb sie im Kasra-Krankenhaus, und Niloofer Hamedi fotografierte Aminis weinende Eltern in einem Flur des Krankenhauses. Seitdem ist Hamedi im Gefängnis – und im Iran ist nichts mehr, wie es vorher war.
Die 30-jährige Hamedi ist Journalistin bei Shargh („Der Osten“), einer Zeitung der iranischen Reformbewegung. Kurz vor Aminis Tod berichtete Hamedi über einen ähnlichen Fall, in dem eine Frau wegen eines angeblich nicht streng genug gebundenen Kopftuches bestraft worden war. Hamedi setzte sich in den vergangenen Jahren auch dafür ein, Frauen im Iran den Zugang zu Fußballstadien zu gewähren. Im Jahr 2018 forderte sie den Präsidenten des Weltfußballverbandes Fifa, Gianni Infantino, bei dessen Besuch in Teheran zu mehr Engagement auf. „Wir brauchen Garantien“, sagte Hamedi damals, nachdem 35 Frauen von der Polizei festgenommen worden waren, weil sie ein Fußballspiel anschauen wollten. Im vergangenen Jahr durften iranische Frauen erstmals ein Spiel von den Tribünen aus verfolgen.
Hamedis Foto von Aminis weinenden Eltern löste Massenproteste aus
Nach ihrer Recherche im Kasra-Krankenhaus veröffentlichte Hamedi das Foto von Aminis verzweifelten Eltern auf Twitter. Innerhalb weniger Stunden versammelten sich Demonstranten, um gegen die Brutalität der Religionspolizei zu protestieren. Frauen verbrannten öffentlich ihre Kopftücher. Rasch weiteten sich die Proteste auf das ganze Land aus. Die Demonstranten nahmen bald das ganze theokratische System der Islamischen Republik ins Visier. „Tod dem Diktator“, riefen sie und meinten damit Revolutionsführer Ali Khamenei, den mächtigsten Mann im Land. Mehr als 500 Menschen sind bei Straßenschlachten seit September getötet worden, Zehntausende wurden festgenommen, vier Demonstranten wurden hingerichtet.
Hamedi wurde sechs Tage nach Veröffentlichung ihres Fotos festgenommen. Der Geheimdienst stürmte ihre Wohnung, nahm sie fest. Die Journalistin wurde im berüchtigten Evin-Gefängnis von Teheran inhaftiert. Was ihr genau vorgeworfen wird, ist unbekannt. Der Geheimdienst erklärte über die Staatsmedien, Hamedi habe im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes CIA und des israelischen Mossad gehandelt und sich nur als Journalistin ausgegeben, um sich Zutritt zum Kasra-Krankenhaus zu verschaffen. Die iranische Regierung hat inzwischen Dutzende von Journalisten wegen der Demonstrationen ins Gefängnis gesteckt.

Die Familien inhaftierter Journalisten im Iran werden nach Angaben der amerikanischen Presserechts-Organisation CPJ von den Behörden gezwungen, zum Schicksal ihrer Angehörigen zu schweigen. Medien wie Shargh müssen demnach Artikel von Reportern wie Hamedi aus ihren Archiven löschen: Das Regime will, dass die Welt die unbequemen Journalisten vergisst. Als die iranische Führung im Februar eine Amnestie für Häftlinge verkündete, hoffte Hamedis Ehemann Ajorlou darauf, dass auch seine Frau freikommen würde. Doch Hamedi blieb in Haft. Ajorlou, der ebenfalls Journalist ist, wurde inzwischen von seinem Arbeitgeber, der staatlichen Nachrichtenagentur Irna, entlassen.
Niloofer Hamedi ist in der Haft zu einer Symbolfigur des Widerstandes gegen das Mullah-Regime geworden. Auf dem roten Teppich der Berlinale hielten Teilnehmer des Filmfestivals bis vor kurzem Bilder von Hamedi und Mohammadi in die Höhe und riefen die Parole der Demonstranten: „Frauen, Leben, Freiheit.“