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ISTANBUL: Ahmets Outing war sein Todesurteil

ISTANBUL

Ahmets Outing war sein Todesurteil

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    Zeichen der Solidarität: Der ermordete Ahmet Yildiz ist in der Türkei zu einem Symbol geworden. Es gibt Plakate mit seinem Bild und der Aussage „Ahmet Yildiz is my family“ (Ahmet Yildiz ist meine Familie).
    Zeichen der Solidarität: Der ermordete Ahmet Yildiz ist in der Türkei zu einem Symbol geworden. Es gibt Plakate mit seinem Bild und der Aussage „Ahmet Yildiz is my family“ (Ahmet Yildiz ist meine Familie). Foto: Foto: dpa

    Es geht um Mord, vor der 1. Kammer des Kriminalgerichts im Istanbuler Stadtteil Üsküdar, aber der mutmaßliche Mörder ist nicht im Saal. Er befindet sich auf der Flucht. Doch angeklagt sind auch Gesellschaft, Politiker und Behörden. So sieht es jedenfalls Ibrahim („Ibo“) Can. Am 15. Juli 2008 wurde sein 26-jähriger Lebensgefährte Ahmet Yildiz vor seinem Wohnhaus in Istanbul erschossen. Unter Tatverdacht: Ahmets Vater Yahya Yildiz.

    Über 900 Kilometer soll er aus dem osttürkischen Urfa angereist sein, um seinen Sohn zu erschießen, weil der mit seinem offenen Schwulsein gegen den Ehrbegriff der wohlhabenden und tief religiösen kurdischen Familie verstoßen hatte. Wie die Daten seines Mobiltelefons zeigen, hat sich der Vater am Abend des 15. Juli am Tatort aufgehalten. Seither ist er verschwunden. Die Fahnder vermuten, dass er gleich nach der Tat in den Nordirak floh. Darauf jedenfalls lassen Verbindungsdaten des Handys schließen.

    Schüsse in der Sommernacht

    Ibo Can hat seinen Lebensgefährten sterben sehen. Der in Köln lebende 44-jährige Reiseverkehrskaufmann, der bereits 1979 als 14-Jähriger mit seinen Eltern nach Deutschland übersiedelte und seit 18 Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, war häufig in Istanbul, um so viel Zeit wie möglich mit Ahmet zu verbringen. 2007 hatten die beiden sich in der Istanbuler Schwulenszene kennengelernt. An jenem 15. Juli habe Ahmet sich den ganzen Tag über auf seine Diplomprüfung vorbereitet – er studierte Physik an der Marmara Universität. Gegen 23 Uhr habe sein Freund die Wohnung im Günaydin Sokak, der Guten-Morgen-Straße in Üsküdar, verlassen, wohl um noch etwas zu besorgen. Es war ein warmer Sommerabend, die Fenster der Wohnung standen offen. Und so hörte Ibo die Schüsse. Er rannte aus dem dritten Stock hinunter auf die Straße. Der Mörder hatte Ahmet aufgelauert, als er in sein Auto stieg. Der von fünf Kugeln getroffene junge Mann konnte noch losfahren, rammte dann aber eine Apotheke und kam zum Stehen. Zwei Minuten später war Ahmet tot.

    Ibo Cam ist überzeugt: sein Freund könnte noch leben. Am Donnerstag erhob er in einer Zeugenvernehmung vor Gericht schwere Vorwürfe: Nachdem sich Ahmet Ende 2007 gegenüber seiner Familie geoutet hatte, sei er unter immer größeren Druck geraten. Erst habe ihn seine Familie gedrängt, sich ärztlich behandeln und von seiner Homosexualität „heilen“ zu lassen. Ahmet müsse heiraten, forderte die Familie.

    Als Ahmet sich weigerte, folgten Drohungen. Sie waren offenbar so massiv, dass sich Ahmet an die Polizei wandte und seine Eltern anzeigte. Ahmet habe „um sein Leben gefürchtet“, berichtete Cam später. Doch die Behörden seien untätig geblieben. Nicht nur die Polizei habe versagt, auch die Gesellschaft habe sich mitschuldig gemacht, weil sie Homosexuelle isoliere, klagte Cam vor Gericht.

    Es dürfte das erste Mal sein, dass jetzt ein so genannter „Ehrenmord“ an einem Schwulen in der Türkei vor Gericht kommt. Das bedeute aber nicht, dass es sich um einen Einzelfall handele, sagt Mazhar Bagli, der als Soziologe an der Dicle Universität in Diyarbakir „Ehrenmorde“ untersucht: „Ehrenmorde an Schwulen wurden bisher deshalb nicht bekannt, weil Homosexualität ein Tabu ist.“ Türkische Schwule und Lesben klagen über massive Diskriminierungen und zunehmende Gewalt. In den vergangenen Jahren versuchten die Behörden mehrfach, den Homosexuellenverein „Lambdaistanbul“ zu verbieten – weil er der „allgemeinen Moral und den Werten der Familie“ widerspreche.

    Klima der Gewalt

    Unter der seit Ende 2002 amtierenden islamisch-konservativen Regierung habe der Druck auf Schwule, Lesben und Transsexuelle noch weiter zugenommen, berichten Menschenrechtsgruppen. Die Organisation Human Rights Watch klagt über ein „Klima der Gewalt“ und appellierte an die türkische Regierung, ihre Schutzpflichten gegenüber den Homosexuellen ernst zu nehmen.

    Unterdessen erklärte die türkische Familienministerin Selma Aliye Kavaf, was sie von Homosexualität hält: „Ich glaube, es ist eine biologische Störung, eine Krankheit“, sagte die Ministerin, „sie muss behandelt werden“. Die Organisation „Lamdaistanbul“ konterte: „Nicht Homosexualität sondern Homophobie ist eine Krankheit, die behandelt werden muss.“

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