Sie hätte Hollywoodschauspielerin Angelina Jolie nicht empfohlen, sich aus Angst vor Brustkrebs beide Brüste amputieren zu lassen. Traudl Baumgartner ist im Vorstand des BRCA-Netzwerks, das Menschen unterstützt, deren Risiko für Brust- und Eierstockkrebs genetisch erhöht ist (www.brca-netzwerk.de). Die Münchnerin ist selbst betroffen und sagt: „In Deutschland ist diese sogenannte Mastektomie keine eindeutige Empfehlung.“ Eine Alternative sei die intensivierte Früherkennung.
Eines aber findet Traudl Baumgartner an der Geschichte der Schauspielerin uneingeschränkt gut: dass sie ihre Operation publik gemacht hat. Das könne dem Thema Brustkrebsoperationen zu einer breiten Diskussion verhelfen.
Jolie ließ in mehreren Eingriffen über drei Monate hinweg Brustgewebe entfernen und wieder rekonstruieren. Sie schrieb selbst ausführlich über ihre Operation und ihre Gefühle in der Zeitung „New York Times“. „Du wachst mit Kanülen und Expandern in deinen Brüsten auf. Das ist wie in einem Science-Fiction-Film.“
Wie in einem Film muss sich auch Beate Beyrich gefühlt haben. Sie leitet die Selbsthilfegruppe für Frauen nach Krebs in Würzburg. Die heute 59-Jährige erhielt 2004 die Diagnose Brustkrebs. Sie war geschockt, wie gelähmt, kam gar nicht zum Nachdenken, war nach 14 Tagen operiert. „Ich fühlte mich so überrollt.“
Wenn sie sich auch vor der Operation nicht mit der Krankheit befasst hatte, danach informierte sie sich umso intensiver. Schließlich war die Uroma an Brustkrebs gestorben. Die Mutter war erkrankt und wurde teilweise brustamputiert. „Damals wurde ein Kissele hineingestopft und die Sache totgeschwiegen“, sagt Beyrich.
Ein sensibles Thema ist der Brustkrebs auch heute noch, weiß Traudl Baumgartner, egal, ob die Krankheit familiär bedingt ist oder nicht. Die betroffenen Frauen fühlen sich nach der Operation beschädigt. Die Empfindungen auch in einer wieder aufgebauten Brust ändern sich oder sind gar nicht mehr da. „Es dauerte, bis ich mich mit meiner neuen Brust abfinden konnte“, sagt Baumgartner. Die Ehemänner kommen mit der Situation nicht immer gut zurecht. „Aber viele unterstützen ihre Frauen sehr.“ Das größere Problem sei vielmehr die Herkunftsfamilie, wenn dort Brustkrebs gehäuft auftrat.
Die Frage zu stellen, ob ein Gendefekt die Ursache ist, den vermeintlichen Makel zu äußern, kann schon schwierig sein, sagt Baumgartner. Ein Gendefekt verursache häufig Schuldgefühle bei den älteren Verwandten. „Auch wenn es dafür keinen Grund gibt.“ Bei den jüngeren entsteht vielleicht Angst.
„Das ist eine harte Nummer“, sagt auch Beate Beyrich. Sie motivierte ihre beiden Töchter, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Frauen ließen sich im Institut für Humangenetik an der Würzburger Universität untersuchen. Das Ergebnis: In der Familie gibt es keinen Gendefekt, der das Risiko für Brustkrebs erhöht. Trotzdem nehmen die drei Frauen an einem Programm zur intensivierten Früherkennung teil. Dazu gehört einmal jährlich eine Mammografie und eine Kernspintomografie, jedes halbe Jahr eine Ultraschalluntersuchung, erklärt Prof. Alexander Tschammler, der Leiter des Mammografie-Screening-Programms Unterfranken.
Die Angst davor, dass eine solche Untersuchung zeigen könnte, dass die Krankheit ausgebrochen ist, bleibt. „Meine ältere Tochter in Norddeutschland sagte mir vor der Untersuchung schon: 'Mama schicke mir einen Schutzengel!'“, sagt Beate Beyrich.
Sie kennt Frauen, die sich diesen Ängsten mit dem gleichen radikalen Schritt entzogen wie Schauspielerin Angelina Jolie. Selten sind die nicht. Immerhin werden an der Würzburger Unifrauenklinik im Jahr bis zu zehn Frauen mastektomiert, wie stellvertretender Leiter Professor Arnd Hönig sagt. Geraten sei das nur bei Frauen mit einem ganz besonderen Gendefekt, sagt Tschammler. Das sei eine sehr kleine Gruppe mit sehr hohem Risiko, an einer besonders schwer erkennbaren Tumorform zu erkranken.
Das Mammografie-Screening, das er für Unterfranken leitet, gibt es seit etwa sechs Jahren. 52 Prozent der Frauen über 50 Jahren in der Region lassen sich dabei jährlich untersuchen. In den vergangenen sechs Jahren sank die Zahl derer, deren Brustkrebs mit einer Chemotherapie behandelt werden musste, auf die Hälfte. „Die entdeckten Tumore sind jetzt wesentlich kleiner, die Heilungschancen größer“, sagt Tschammler.
Für die Betroffenen bleibt die Angst. Die wollte Schauspielerin Angelina Jolie wohl nicht länger ertragen. Sie wollte das Gefühl haben, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und ihren sechs Kindern möglichst lange die Mutter zu erhalten, schreibt sie. Bei Tagungen im Rahmen ihrer Selbsthilfearbeit traf Beate Beyrich junge Frauen, die sich ebenfalls aus Angst vor dem Krebs die Brüste abnehmen ließen. Die zeigten frei ihre Narben, sprachen von Silikon oder Bauchgewebe, das für den Aufbau der neuen Brust unter der leeren Haut verwendet wird, erzählten von künstlichen oder tätowierten Brustwarzen.
„Die Krankheit ist wirklich schlimm“, sagt Beate Beyrich, besonders wichtig war ihr auf dem Operationstisch aber eines: „Zu den Ärzten sagte ich, ich will mich hinterher wieder im Spiegel anschauen können.“ Die Brust mit ihrer engen Verbindung zu Sexualität und Mutterschaft zu verlieren, kann das Selbstbewusstsein einer Frau beschädigen und die Beziehung zwischen ihr und ihrem Partner belasten, weiß Beyrich aus ihrer Selbsthilfepraxis. „Manche Frauen sind so verbittert, dass sie sogar Implantate scheuen.“
Nicht nur die Psyche hat allerhand nach einer Brustamputation zu verkraften. Auch der Körper kämpft manchmal mit den Folgen. Traudl Baumgartner zählt auf: schlecht heilende Wunden, Nervenirritationen, Probleme mit den Silikoneinlagen, Eigenfettaufbau, bei dem die Durchblutung nicht funktioniert . . .
Sie ließ sich die Brust mit etwa 50 Jahren entfernen. Mit 31 Jahren trat bei ihr der erste Krebs auf. „Damals hätte ich mich nicht entschließen können, die Brust entfernen zu lassen.“ Da bei den Gendefekten, die besonders häufig zu Brustkrebs führen auch die Gefahr, an Eierstockkrebs zu erkranken, stark erhöht ist, sei dringend geraten mit etwa 40 Jahren die Eierstöcke zu entfernen. „Nach dem derzeitigen Datenstand verringert das das Risiko für Brustkrebs um die Hälfte“, sagt Traudl Baumgartner.
Doch bei aller Theorie bleibe die Entscheidung, wie sie am besten mit ihrer Angst zurechtkommt, immer der betroffenen Frau überlassen.
Risiko und Kostenfrage
„Jede neunte Frau in Deutschland erleidet in ihrem Leben Brustkrebs“, sagt Professor Arnd Hönig von der Universitätsfrauenklinik in Würzburg. Für 2012 gehen die deutschen Krebsregister von rund 74 500 Neuerkrankungen aus. In fünf bis zehn Prozent der Fälle ist die Ursache laut Hönig genetisch bedingt. Schuld seien unter anderem Defekte an den Genen BRCA1 oder BRCA2. Frauen mit defekten BRCA1- oder BRCA2-Genen haben ein bis zu 80-prozentiges Brustkrebsrisiko. Vor allem bei BRCA1-Mutationen besteht auch ein erhöhtes Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken: Die Wahrscheinlichkeit liegt hier bei bis zu 60 Prozent. Krankenkassen übernehmen daher bei Mutationsträgerinnen sowohl eine prophylaktische Brustamputation sowie die Rekonstruktion der Brust als auch die Entfernung der Eierstöcke. Nach einer Amputation der Brüste erkranken laut Hönig mindestens 98 Prozent der Betroffenen nicht an Brustkrebs. An der Würzburger Frauenklinik werden jährlich bis zu zehn prophylaktische Brustamputationen durchgeführt. Auch bei anderen Risikopatientinnen übernehmen die Krankenkassen in der Regel die Kosten. Komplikationen seien bei einer Brustabnahme die Ausnahme, so Hönig. Probleme treten eher bei der Brustrekonstruktion auf, vor allem, wenn sie durch Eigengewebe wieder aufgebaut wird. Dieses Verfahren habe zwar gegenüber einer Rekonstruktion durch künstliches Gewebe einen ästhetischen Vorteil. Allerdings sei die Operation aufwendiger. Nach der Amputation sei eine psychoonkologische Betreuung wichtiger Bestandteil der Behandlung. Text: ben