Vor zwei Monaten verkündete die Barmer GEK in Unterfranken noch stolz in Schweinfurt den Einzug in neue Räume. In einer der größten Geschäftsstellen Unterfrankens betreuen 13 Mitarbeiter 24 042 Versicherte. Aber nun steht diese und 17 weitere Geschäftsstellen in Unterfranken, von Würzburg bis Kitzingen, Marktheidenfeld bis Haßfurt, auf dem Prüfstand. Denn die Barmer plant ein „Abnehm-Programm“: Bis 2018 wird die Hälfte der Geschäftsstellen geschlossen, jeder fünfte Vollzeitjob fällt weg. Das sind 3500 Stellen.
Schon die Bezeichnung der Umstrukturierung klingt für fränkische Ohren vieldeutig. Ein Insider verriet dieser Zeitung: „Projekt Aufbruch“ heiße der Sparplan, mit dem der Vorstand um Christoph Straub die Krankenkasse „gesundschrumpfen“ will, in der Konzernzentrale intern. Aufbruch kann den Beginn einer Reise bedeuten, aber in der (vielen Unterfranken geläufigen) Jägersprache ist dies auch das Auswaiden eines erlegten Wildes, dem man die inneren Organe entnimmt.
Konzernchef Straub wehrte sich am Montag gegen den Vorwurf, er sorge für einen personellen Kahlschlag. Mit dem Konzept will er „jedes Jahr Kosten im Umfang von 250 bis 300 Millionen Euro sparen“, sagte Straub. In einer am Montag verbreiteten Erklärung begründet er den tief greifenden Umbau auch mit sich ändernden Wettbewerbsbedingungen: „Die noch gute Finanzausstattung der Krankenkassen wird sich spürbar verschlechtern. Während die Ausgaben für Medikamente, Kliniken und Ärzte anziehen, stehen auf der Einnahmeseite reduzierte Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds bevor“, schrieb er.
Der gesetzlichen Krankenversicherung drohen Finanzprobleme. Denn wegen steigender Ausgaben rechnen Experten damit, dass die Kassen von ihren Mitgliedern bald Zusatzbeiträge fordern – das ist Gift für die Mitgliederzahlen. Also versuchen die Kassen, zu sparen, wo sie können.
Das Konzept war nach Informationen des WDR erst am Freitag vom Verwaltungsrat abgesegnet worden. Die Beschäftigten sollten erst am Mittwoch informiert werden. Doch dann waren die Pläne zum WDR und zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) durchgesickert.
„Wir waren etwas überrascht,“ sagte ein ver.di-Vertreter am Montag auf Anfrage. „Ein Tarifvertrag zur Reorganisation und zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen ist deshalb unverzichtbar.“ Über Tarifverhandlungen hat die Barmer noch nicht entschieden. In Bayern sind 60 Prozent der Mitarbeiter nach ver.di-Angaben gewerkschaftlich organisiert. Stellenstreichungen oder Umsetzungen an teilweise weit entfernte andere Standorte – wie zuvor bei Mitbewerbern der Barmer – dürften hier nicht so leicht umzusetzen sein. „Es darf keinen Kahlschlag zulasten der Versicherten und der Beschäftigten geben“, forderte ein ver.di-Sprecher.
In Bayern betreuen etwa 1000 Barmer-Mitarbeiter in 104 Geschäftsstellen über eine Million Versicherte, sagte Pressesprecherin Stefani Meyer-Maricevic in München auf Anfrage. Wie sich die Sparpläne konkret auf jede einzelne Geschäftsstelle auswirken, kann sie nicht sagen. Noch sei erst der Rohentwurf bekannt. Die Detailplanung liege erst in vier Monaten vor, sagte sie am Montag und bat: „Bitte stellen Sie keine Hochrechnungen an.“
Man wolle mit neuem Konzept dem geänderten Kundenverhalten Rechnung tragen: „70 Prozent unserer Mitglieder informieren sich schon heute übers Telefon,“ sagte sie. Die Kasse will in Telefon- und Onlineservices investieren – aber auch in verbleibenden Geschäftsstellen mit mehr Personal jenen Mitgliedern entgegenkommen, die erst nach Feierabend kommen könnten. Das heißt bundesweit einheitliche längere Öffnungszeiten. Fachspezifische Bearbeitungszentren sollen „schnelle und qualitativ hochwertige Sachbearbeitung garantieren,“ fordert Straub. Zudem seien mobile Geschäftsstellen geplant.
Barmer GEK
Durch den Zusammenschluss der Barmer Ersatzkasse und der Gmünder Ersatzkasse (GEK) entstand im Jahr 2010 die Barmer GEK. Die Vereinigung war ein neuer Höhepunkt bei der Fusionswelle der gesetzlichen Krankenkassen. Die Hauptverwaltung des neuen Versicherungsriesen blieb auf die beiden Standorte Wuppertal-Barmen und Schwäbisch Gmünd verteilt. Die Ursprünge liegen über 100 Jahre zurück. So gründete 1904 ein Kaufmännischer Verein die „Krankenkasse für Handelsangestellte in Barmen“. Die fusionierte Barmer GEK begann 2012 mit Planungen für eine Neuausrichtung des Netzes von rund 800 Geschäftsstellen. Die Barmer GEK, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, hatte Anfang 2013 gut 8,6 Millionen Versicherte und 16 900 Mitarbeiter. Die Krankenkasse erzielte 2012 einen Überschuss von 493 Millionen Euro. Für 2013 liegen noch keine Zahlen vor – die Barmer GEK erwartet zwar schwarze Zahlen, der Überschuss dürfte aber deutlich kleiner als 2012 ausfallen. Text: dpa