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Blitzschlag im Kopf

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Blitzschlag im Kopf

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    Es ist der 22. März 2007 – ein Tag wie jeder andere? Nicht mehr. Etwas hat ihn verändert wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

    Der Mann

    Blitz, ja das trifft es. Er hat sich in mein Hirn eingebrannt, Spuren hinterlassen. Spuren, die mein Hirn verändert haben und mein Leben. Ein Schlaganfall hat im Schlaf meinen Hirnstamm getroffen, das Stammhirn – dort, wo die unbewussten Lebensfunktionen gesteuert werden: Atmen, Schlucken, der Herzschlag. Der Hirnstamminsult kann einen Menschen von einer Sekunde auf die andere töten, sagen mir die Ärzte später. Ich habe Glück gehabt.

    Glück. Man könnte lebenslang schwer behindert sein, seinen Körper, seinen Geist, seine Sprache, seine Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle haben. In dem Moment spielen bekannte Schreckensszenarien keine Rolle. Ich bin mittendrin: Ich kann mich kaum bewegen, habe Lähmungen auf der rechten Körperseite, im Gesicht, an Armen und Beinen, kann mich nur schwer verständlich machen, bin plötzlich vom ziemlich gesunden 50-Jährigen zum schwer kranken Menschen geworden.

    Die Frau

    Es ist ein Schlaganfall. Ihren ganzen Horror entfaltet diese Einsicht nicht. Mein Hirn ist gnädig, es schaltet auf Notfunktion: ihn beruhigen, die Nerven behalten. Ich beginne zu funktionieren, er muss in ärztliche Hände. Die Sanitäter versuchen auf dem Weg in die Uniklinik zu trösten.

    Der Mann

    Ich bin in der Klinik. Ein Notfall. Untersuchungen und Maßnahmen, die ohne Zeitverlust in die Wege geleitet werden müssen. Drei Stunden nach dem Schlaganfall sind eine kritische Marke. Da ich bereits mit Sprachstörungen aufgewacht bin, ist es schwierig, die genaue Zeit festzustellen. Die Routine läuft ab: Computertomografie, EKG, EEG, Ultraschall. Sie sollen Ausmaß und Ursache der Störungen ergeben.

    Die Frau

    Als mein Mann in den Händen der Ärzte ist, lässt das roboterartige Funktionieren nach. Der Schock holt mich ein. Mir sacken die Beine weg, mir wird schwarz vor Augen, auf dem Flur vor dem CT gehe ich langsam zu Boden.

    Der Mann

    Ich lande auf der Stroke Unit, einer Intensivstation, die auf Schlaganfälle spezialisiert ist. Die Vermutungen bestätigen sich: ein Hirnstamminsult. Lähmungen und Sprachstörungen sind sekundäre Folgen, Bewegungs- und Sprachzentrum nicht direkt betroffen. Was bedeutet das? Binnen Minuten hänge ich an Monitoren für alles Mögliche, erhalte Infusionen, Medikamente. Alles um die irrsinnigen Kopfschmerzen, den Blutdruck auf wenigstens 220 zu 120 zu stabilisieren. Es bedeutet, nicht mehr selbstbestimmt auf die Toilette zu können, weil ich Hilfe brauche und jedes Mal von Kabeln abgeklemmt werden muss. Ich lasse mir gern helfen. Ich, ein Mensch, der auf seine Individualität Wert legt, ein Kreativer, dessen Hirn, Sprachfertigkeit und Feinmotorik sein Kapital sind.

    Gedanken, was werden wird, haben keinen Platz. Jetzt ist die Zeit zum Kämpfen, ich kenne meinen Feind. Ich will mich nicht passiv abgeben bei den Ärzten, will mein geschundenes Gehirn nicht schonen, will mein bisschen Kraft aufbringen.

    Die wunderbaren Pfleger wissen das zu schätzen. Sie kennen auch andere Patienten. Die nur passiv bleiben können angesichts der Bedrohung. Andere geben ihren Körper wie in der Autowerkstatt ab und verspeisen fröhlich die heimlich mitgebrachten Würste, während die Ärzte an ihren Blutfetten herumwursteln. Die Menschen sind schon seltsame Tiere.

    Ich bin froh, dass meine Zimmergenossin nicht so ist. Wir helfen uns gegenseitig. Ich bin glücklich über jeden Fortschritt. Über jedes Kabel weniger, über die länger werdenden Zeiträume, bis der Blutdruck automatisch gemessen wird, über das Gefühl, nicht mehr der dringendste Notfall auf Station zu sein. Ich freue mich über die mühsam erklommenen Treppen, die erste kleine Runde bis ins Besucherzimmer. Nur wenn Freunde zu Besuch kommen, wird mir bewusst, wie sehr sie erschrecken angesichts meines Zustands. Ich bin nicht der, den sie sonst kennen, voller Ideen und Energie. Ich merke das selbst: beim Frühstücken, wenn die Hand nicht tut, was sie soll. Im Bad, wenn der Rasierer sich partout nicht kontrollieren lassen will, die Zahnbürste unkontrolliert vor dem Gesicht herumfuchtelt, ein geschriebenes Wort eine übermenschliche Herausforderung scheint.

    Doch im Moment bedeuten kleine Errungenschaften, die Wiedergewinnung von Sprachlauten und motorischen Fertigkeiten Fortschritt. Das ist messbar. Und hilft über die Momente in der Nacht, wenn das Grübeln kommt, wenn ich aus dem flachen Schlaf hochschieße, weil ich das Gefühl habe, mein Körper vergisst das Atmen und ich muss es ihm befehlen. Wenn mein Schlaganfall mit so massiven Schluckstörungen an sich erinnert, dass ich manchmal fürchte, ich hätte den Schlag überstanden, nur um jetzt an einem Löffel Joghurt zu ersticken. Beides wird mich noch lange begleiten. Ich will hier wieder raus, so gut wie möglich, aber nicht so, als wäre nichts gewesen.

    Die Frau

    Die Woche in der Stroke Unit macht Mut. Der Arzt sagt, wir kriegen Ihren Mann wieder hin. Warum ist es überhaupt passiert? Untersuchung nach Untersuchung bleibt ohne Ergebnis. Wie wir später lernen, bleiben 40 Prozent der Schlaganfälle ohne Erklärung. Nach einer guten Woche werden wir ins Leben zurückgeworfen. Er soll nach Hause. So schnell. Es ist ein glücklicher und gleichzeitig Furcht einflößender Moment. Mein Mann zu Hause. Nach dem Schlaganfall. Ich beäuge ihn wie ein Ungeheuer, das sich auf unserem Sofa niedergelassen hat.

    Der Mann

    Es tut mir gut, ein paar Tage zu Hause zu sein, auch wenn ich merke, wie viel ich nicht kann. Die anschließende Reha beschert mir einen vollen Stundenplan unter anderem mit Ergotherapie, Logotherapie, Massagen, Krafttraining, Gesprächen mit Psychologen und Sport, Sport, Sport. Ich falle jeden Tag völlig erschöpft ins Bett. Doch ich merke in diesen drei Wochen auch, wie meine Kraft, meine Fähigkeiten zu einem großen Teil ganz langsam zurückkehren.

    Mit vielen guten Ratschlägen bin ich dann wieder mir selbst überlassen. Ich darf sechs Monate kein Auto fahren. Immerhin besteht ein weiter angehobenes Risiko, dass ich erneut einen Schlaganfall erleide. Für fünf Jahre mindestens, vor allem für die ersten sechs bis zwölf Monate.

    Ich hatte Glück, die meisten meiner Symptome sind reversibel, bilden sich also zurück. Ganz ungeschoren bin ich dennoch nicht. Manche Symptome kommen wieder, wenn ich krank oder müde bin. Vor allem die Schluckbeschwerden sind zeitweise übel. Manchmal wache ich mit dem Gefühl auf, dass der Körper den Atemreflex vergisst, wenn man es ihm nicht sofort befiehlt. Oder das Gefühl, in lauten und vielstimmigen Umgebungen schier verrückt zu werden, weil das Gehirn die Eindrücke nicht filtern kann. Oder das manchmal hektische Wippen meines rechten Beines, das ich nur mühsam stoppen kann.

    All diese Erfahrungen haben mich gelehrt, welche enormen Selbstheilungskräfte unser Körper freisetzen kann. Wenn man ihn lässt und als Patient aktiv mitarbeitet, mitkämpft mit Ärzten, Schwestern und Therapeuten. Wissenschaftler in Jena haben herausgefunden, dass nach einem Schlaganfall bestimmte Rezeptoren und Botenstoffe im Gehirn für sechs Monate die Lernfähigkeit wie im Jugendalter wiedergewinnen. Eine tolle Chance, um alte Fertigkeiten neu zu erlernen. Mein Namensgedächtnis ist heute definitiv besser. Unglaublich!

    Ich lerne, mich zu arrangieren mit Marotten, die der Schlaganfall mir hinterlassen hat. Schwieriger ist schon, dem Körper, der einen so überraschend über Nacht im Stich gelassen hat, wieder vertrauen zu lernen. Ich muss mich neu einrichten mit ihm, an ihn gewöhnen, seine Signale neu interpretieren lernen. Auch mein Umfeld muss das.

    Die Frau

    Viele Leute wollen uns gar nicht glauben, dass mein Mann einen Schlaganfall hatte. Das merkt man gar nicht, sagen sie. Wir merken es schon: Wir müssen akzeptieren, dass manchmal eine unwiderstehliche Müdigkeit ihn zwingt, eine Auszeit zu nehmen. Ob uns das nun passt oder nicht. Oder dass er das Geschnatter einer Familienfeier oder in einer Gaststätte nicht erträgt. Die nächsten Verwandten und ich bemühen uns darum, andere Leute gucken mitunter komisch. Es ist ja so lange her und man merkt doch nichts. Denken sie.

    Der Mann

    Es gibt Mitpatienten, die mir sehr leid tun. Ich fühle mich ihnen verbunden. Weil sie Schuldgefühle haben. Weil sie noch unter Folgen leiden, weil ihnen Partner oder Bekannte oft unbewusst Defizite vorhalten und mit ihrem eigenen Groll nicht zurechtkommen, dass der Schlaganfall das Leben so verändert hat.

    Das tut er – ob man nun, wie ich, Glück im Unglück gehabt hat oder nicht. Er ist ein tiefer Einschnitt, ein Weckruf. Was er einem sagen will, muss jeder selbst herausfinden. Nicht einfach, aber es lohnt sich nachzuforschen!

    Ich bin gelassener geworden. Es gibt für mich Dinge, über die aufzuregen sich lohnt – und über viele andere nicht. Vor allem im Alltag. Es lohnt sich, dankbar zu sein für dieses bisschen Leben, auch ein wenig demütig, dass man einen funktionierenden Körper sein Eigen nennt. Wie rasch er abhanden kommen kann, habe ich gelernt. An jenem 22. März 2007.

    Meinem zweiten Geburtstag.

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