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Der grüne General

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Der grüne General

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    Umstritten, gehasst, gefürchtet und verehrt: Ariel Scharon – während einer Pressekonferenz im November 2005 in Jerusalem.
    Umstritten, gehasst, gefürchtet und verehrt: Ariel Scharon – während einer Pressekonferenz im November 2005 in Jerusalem. Foto: Foto: dpa

    Es ist bezeichnend: Auch nach seinem Tod war Ariel Sharon noch für heftige Debatten gut. Denn nur 24 Stunden vor der offiziellen Beisetzung war noch unklar, wo einer der umstrittensten Politiker in Israels Geschichte begraben werden würde. Eigentlich gebührt ihm ein Platz auf dem Herzl-Berg bei Jerusalem, auf dem die Gebeine der wichtigsten zionistischen Führer ruhen. Doch der treue Ehemann, der immer davon geträumt hatte, Bauer zu werden, wollte immer an der Seite seiner geliebten Ehefrau Lili begraben werden, auf einem Acker neben seiner Ranch. Nur ist das kein regulärer Friedhof, jemand hier zu begraben ist laut israelischem Gesetz eine kriminelle Handlung. Typisch für Sharon, der sich nie um Regularien scherte, wenn er etwas erreichen wollte.

    Und so ist es kein Wunder, dass man sich auch nach seinem Tod nur in einer Sache einig war. Sharon war ein mutiger Soldat, einer der waghalsigsten, erfolgreichsten und schlimmsten Generäle Israels. Doch hier endet bereits die Eintracht. Ausgerechnet die arabische Welt und radikale Siedler waren sich in ihrer Einschätzung Sharons einig: Im Gazastreifen und in Flüchtlingslagern im Libanon feierte man den Tod des „Schlächters von Beirut“, der als Soldat und Verteidigungsminister das Leben unzähliger Araber auf dem Gewissen hatte. Aber auch Siedler frohlockten schadenfroh: „Wir müssen Gott danken, dass er Sharon zu sich genommen hat, bevor er noch größere Katastrophen über die Siedlungen im Westjordanland bringen konnte“, sagte die Knessetabgeordnete Orit Struck.

    Denn Sharon war nicht nur ein harter General, und Vater der Siedlerbewegung, sondern auch der Premier, der den Gazastreifen räumte und Siedlungen abreißen ließ. Und so fürchtete die Polizei, dass Extremisten den Umstand nützen könnten, dass seine Leiche vor der Knesset einen Tag lang aufgebahrt wurde, um Tausenden trauernden Israelis die Möglichkeit zu geben, ihm die letzte Ehre zu erweisen, um noch einmal mit einem Skandal auf Sharons umstrittenes politisches Erbe hinzuweisen.

    Streit und Zwist gehörten stets zu Sharons Leben, genau wie zahlreiche Widersprüche. Er war es gewöhnt, im Mittelpunkt von Debatten zu stehen – als Held und Bösewicht. Er war ein treuer Freund und Ehemann, und ein fürchterlicher Gegner. Medien würdigten ihn als einen der letzten Giganten der Gründergeneration, der die heutige politische Landkarte vielleicht mehr prägte als irgendein anderer. Dennoch ist noch immer nicht klar, für was Sharon eigentlich stand. Er war ambitioniert, skrupellos, erfolgreich, sprach von Idealen und blieb doch stets pragmatisch. Er wusste seine Gegner zu spalten und seine Anhänger zu einen, und alle im letzten Augenblick zu überraschen. Ariel Scheinermann wurde 1928 als Sohn ukrainischer Einwanderer in einem Dorf in Palästina geboren. Er wollte Bauer werden, doch im Unabhängigkeitskrieg 1948 brauchte das junge Israel Soldaten. Sharon, seinen Freunden nur als „Arik“ bekannt, tat sich durch Mut und Einfallsreichtum hervor. Eine schwere Verletzung überlebte er, indem er blutend durch ein brennendes Feld robbte. Fünf Jahre später verwandelte er die Fallschirmjägertruppe 101 in Israels erste Kommandoeinheit, und begründete so den Ruf der Armee als einfallsreiches und unerbittliches Militär. Eine Vergeltungsaktion im palästinensischen Dorf Kibia im Westjordanland kostete 1953 mehr als 60 Zivilisten das Leben.

    Im Sechs-Tage-Krieg peitschte Scharon seine Truppen zum schnellen Sieg über Ägyptens zahlenmäßig überlegene Armee im Sinai. Doch die Siegesfreude verflog bald: Wenige Monate nach dem Krieg spielte sein Erstgeborener Sohn Gur mit einem antiken Gewehr, das Scharon geladen aufbewahrt hatte, auf der Ranch. Ein Schuss traf den Elfjährigen in den Bauch, das Kind verblutete in den Armen seines Vaters. Kein Ereignis, sagte Sharons Sohn Gilad aus zweiter Ehe, würde Sharon tiefer beeinflussen als dieses Trauma. Dennoch erwarteten ihn noch große Stunden, wie nach dem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens auf Israel im Jom-Kippur-Krieg 1973: Israel fürchtete den Untergang. Sharon ignorierte den Rückzugsbefehl und griff die Ägypter an ihrer Schwachstelle an. Er überquerte den Suezkanal und kesselte die feindlichen Armeen ein. Statt vor ihrem Ende standen die Israelis plötzlich kurz vor Kairo, Ägypten flehte um einen Waffenstillstand. Scharon wurde lebende Legende.

    Er ging in die Politik. Sharon gehörte 1973 zu den Gründern der Likud Partei – ein Bündnis mehrerer rechter Parteien, die vier Jahre später die Arbeiterpartei der Staatsgründer nach 40 Jahren an der Macht in den Wahlen besiegen würde. Später wurde er Verteidigungsminister und agierte wie so oft eigenmächtig. Dem Kabinett versprach er 1982, nur einen kurzen Angriff auf palästinensische Terroristen im Libanon zu führen. Aus der Operation wurde der Libanonkrieg, denn Sharon hatte Großes im Sinn: Er wollte bis Beirut marschieren, eine pro-israelische, christliche Regierung einsetzen und mit der Frieden schließen. Doch sein Plan schlug fehl: Die Syrer ließen den Führer der Christen ermorden. Die Rache christlicher Milizen an Palästinensern wurde zum Massaker von Sabra und Schatila, bei dem mehr als 700 Menschen ermordet wurden.

    Israel war entsetzt, denn Sharons Armee hatte nichts getan, um den Massenmord zu verhindern. In der größten Protestkundgebung in Israels Geschichte demonstrierten 400 000 Menschen, zehn Prozent der Bevölkerung, gegen Sharon und den Krieg. Israel zog von Beirut ab, Sharon wurde von einer Untersuchungskommission indirekt für das Massaker verantwortlich gemacht und in Schande aus seinem Amt entlassen. Der Krieg zog sich bis ins Jahr 2000 hin, kostete Tausende das Leben und führte zur Gründung der Hisbollah-Miliz – heute Israels hartnäckigster Feind.

    Trotz der verheerenden Bilanz schrieb damals ein Journalist, der Sharons glühender Anhänger war, trotzig: „Wer ihn nicht als Verteidigungsminister will, wird ihn als Premier bekommen.“ Er sollte recht behalten. Der gewiefte Politiker fiel immer auf die Füße. Als Bauminister errichtete er mehr als 140 000 Wohneinheiten für rund eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Als Anhänger einer Groß-Israel Ideologie und Patron der Siedlerbewegung baute er auch in den besetzten Gebieten: „Erobert jede Hügelspitze. Wo wir jetzt bauen, wird eines Tages uns gehören“, trieb er seine Anhänger an.

    So kontrovers war auch sein Besuch auf dem Tempelberg im September 2000. Als Oppositionsführer protestierte er so gegen die Verhandlungen mit den Palästinensern über eine Teilung Jerusalems. Für die Palästinenser diente der Besuch als Anlass, die zweite Intifada loszutreten. Terror und Vergeltung brachten die Verhandlungen zum Stillstand. Statt Frieden sehnten die Israelis sich jetzt nach einem starken Mann, der den Terror eindämmen sollte: Kriegsheld „Arik“ gewann die Wahlen.

    Im Amt vollzog Scharon dann seinen tiefsten Wandel: Der Fürsprecher der Siedler teilte das Land mit dem Bau einer Sicherheitsbarriere im Westjordanland, dem teuersten Infrastrukturprojekt der Staatsgeschichte. Doch er ging noch weiter: Im Jahr 2005 räumte er einseitig alle 22 Siedlungen im Gazastreifen und vier im Westjordanland. Über den Grund für den Sinneswandel wird weiterhin gestritten. Sharon sagte dazu immer nur: „Was man vom Sessel des Premiers sieht, sieht man nicht, wenn man in der Opposition sitzt.“

    Das Friedenslager war nach der Terrorkampagne diskreditiert. Die Siedlerbewegung hatte Sharon vor der Räumung Gazas zerschlagen. Er war jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht, hatte alle besiegt: Die Palästinenser, die Siedler, alle politischen Rivalen. Selbst Ägyptens Präsident Husni Mubarak, der Sharon lang verteufelt hatte, sagte im November 2005: „Sharon ist der einzige israelische Politiker, der mit den Palästinensern Frieden machen kann.“ Scharon konnte in den Wahlen 2006 mit einem gewaltigen Sieg rechnen.

    Doch am 4. Januar 2006 wurde das ewige Schlitzohr selber überrumpelt. Ein Blutgefäß zerbarst in seinem Gehirn. Er verlor das Bewusstsein. Fortan lag er im Koma. Erstmals seit 60 Jahren wurde es ruhig um Scharon. Politisch hinterließ er Chaos. Seine ehemaligen Anhänger auf der Rechten verteufeln den Vernichter von 22 Siedlungen. In einer Umfrage waren 80 Prozent der Ultra-Orthodoxen überzeugt, dass Sharons Schlaganfall eine Strafe Gottes sei. Der Likud wurde zu einem Sammelbecken nationalistischer Außenseiter, die Linke hat ihre Begeisterung für Scharons Idee einseitiger Rückzüge verloren: Im geräumten Gazastreifen floriert nicht die Wirtschaft, sondern der Terror der radikal-islamischen Hamas.

    Dennoch hinterließ er ein bleibendes Vermächtnis: Dank des Einsatzes seines umweltbewussten Sohns Omri wurde er zum grünsten Premier Israels. Er kämpfte gegen Immobilienhaie, bewahrte Strände für Meeresschildkröten und schützte seltene Blumen. Unweit des Krankenhausflügels, in dem er einem Infekt erlag, erhebt sich ein gewaltiger Hügel. Was unlängst noch Israels größte Müllhalde war, ist die größte Recyclinganlage im Land geworden – der Ariel Sharon Park.

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