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PALERMO: Der Klotz am italienischen Stiefel

PALERMO

Der Klotz am italienischen Stiefel

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    Der Klotz am italienischen Stiefel
    Der Klotz am italienischen Stiefel

    In der Via Maqueda steht ein Mann auf einer Klappleiter und putzt das Schaufenster seines Bekleidungsladens. Er wirkt dabei wie ein Fremdkörper in Palermos Altstadt, deren Bild von heruntergekommenen Fassaden einst prachtvoller Häuser geprägt ist und wo der Müll in den Gassen zum blitzblauen Himmel stinkt. Der Eindruck, den die Hauptstadt der teilautonomen Region Italiens vermittelt, spiegelt die Probleme der Insel wider. Sizilien steht kurz vor der Pleite: Fünf Milliarden Euro Schulden wurden inzwischen angehäuft; dazu kommt eine Arbeitslosenquote von knapp 20 Prozent. An Vergleichen mit Griechenland stoßen sich Enrico del Mercato und Emanuele Lauria schon lange nicht mehr. „Die Parallelen sind unübersehbar. Wir haben hier die gleichen Voraussetzungen“, sind sie sich einig und sagen das mit einem bitteren Lächeln.

    Zu viel Personal in der Verwaltung

    Die beiden Journalisten der Tageszeitung „La Repubblica“ haben gemeinsam ein Buch über die finanzielle Misere Siziliens geschrieben. „La Zavorra“ – „Klotz am Bein“ – nannten sie es und beschreiben darin die Wurzel des Übels der Insel: Korruption und Vetternwirtschaft.

    „Unsere öffentlichen Ausgaben sind viel zu hoch“, sagt del Mercato im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir haben einfach zu viel Personal im öffentlichen Dienst, das bezahlt werden muss.“ 144 000 Sizilianer beschäftigt die Regionalverwaltung derzeit. Ein Heer von Beamten, das über Jahre angewachsen ist, weil sich „Politiker ihre Stimmen immer mit Jobversprechen gekauft haben“, erklärt del Mercato. Hinzu kamen Freunde und Verwandte, denen auch ein Posten in einer Behörde besorgt werden musste. Nicht zu vergessen: die Politiker der Insel selbst. „Die Abgeordneten verdienen sehr viel Geld – über 17 000 Euro im Monat – und bekommen später einmal hohe Pensionen“, kritisiert del Mercato.

    Geld für eine Arbeit, die gründlich hinterfragt werden müsste: „Zum Beispiel gab es in den vergangenen zehn Jahren auf Sizilien keine einzige öffentliche Ausschreibung mehr“, so Lauria. Unter anderem wurden Bauaufträge ohne transparentes Auswahlverfahren unter der Hand vergeben. Das war unter Raffaele Lombardo so, der vor wenigen Wochen auf Druck von Ministerpräsident Mario Monti seinen Posten als Regionalpräsident Siziliens räumte, und auch unter dessen Vorgänger Salvatore Cuffaro, der 2008 wegen Unterstützung der Mafia zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, daraufhin zurücktrat und seit 2011 in Rom im Gefängnis sitzt – insgesamt für sieben Jahre.

    Im Oktober stehen wieder Regionalwahlen auf Sizilien an. Hoffnung, dass sich danach etwas bessert, haben del Mercato und Lauria nicht. „Die Mentalität der Politiker ändert sich nicht“, klagen sie. Und die sei in allen politischen Lagern gleich. So bizarr es klingen mag: Ihre einzige Hoffnung ist, „dass irgendwann kein Geld mehr da ist, um die Vetternwirtschaft und die Gegenleistungen für Wählerstimmen zu finanzieren.“

    Dann müsste Rom wieder einspringen, doch momentan wolle man in der Hauptstadt kein Geld mehr nach Sizilien überweisen. Schließlich hat der italienische Staat laut del Mercato alleine die Stadt Palermo im zurückliegenden Jahrzehnt mit rund 800 Millionen Euro unterstützt.

    „Sizilien ist ein zusätzliches Problem für Italien“, sagt Lauria, ist gewissermaßen – wie es der Titel ihres Buches suggeriert – ein Klotz am italienischen Stiefel, der sich ohnehin keine großen Sprünge leisten kann: Das Land wird längst in einem Atemzug mit Spanien, Irland oder Portugal genannt. Zwar habe die Regierung in Rom bereits eine Arbeitsmarkt- und eine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht sowie das Rentenalter angehoben, sagt Lauria. Im finanziell autonomen Sizilien seien diese Reformen jedoch noch nicht angekommen.

    Dabei hätte die Region allen Grund zu sparen: Zu dem Schuldenberg von fünf Milliarden Euro kommen laut del Mercato und Lauria 15 Milliarden Euro, die zwar im laufenden Haushalt als Einnahmen fest eingeplant sind, bei denen es jedoch „nicht sicher“ sei, ob sie auch wirklich fließen.

    Zu allem Überfluss hat man das Kunststück geschafft, EU-Fördergelder schlichtweg verstreichen zu lassen, weil man keine förderfähigen Projekte vorlegen konnte. Acht Milliarden Euro hätten Sizilien zwischen 2007 und 2013 aus den Brüsseler Töpfen zugestanden. „Gerade einmal neun Prozent hat man davon ausgegeben“, so del Mercato. Nun habe die EU die Mittel gestrichen.

    Doch in Palermos Gassen ist Brüssel ohnehin weit weg. Pferdekutschen fahren Touristen – die trotz der vielen Sehenswürdigkeiten und dem türkisblauen Meer vor den Toren der Stadt rar sind – durch das historische Zentrum. Auf den engen Bürgersteigen bahnen sich Passanten mit dem Handy am Ohr ihren Weg durch Verkaufsstände.

    Und alles übertönen die knatternden Motorroller und hupenden Autos, die scheinbar ohne die Last von Verkehrsregeln die Straßen verstopfen und mit ihren Abgasen das frisch geputzte Schaufenster in der Via Maqueda vernebeln. Die sizilianische Politik ist ein bisschen wie der Verkehr in Palermo: Sie ist chaotisch, folgt ihren eigenen Regeln, und vieles geht einfach im Dunst des Klüngels unter.

    Und am Ende droht der Kollaps.

    Mehr Geld für Athen

    Dem pleitebedrohten Griechenland fehlt offenbar noch mehr Geld in der Kasse als bislang befürchtet. Griechenland müsse länger als geplant am Tropf der Euro-Staaten hängen, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ und berief sich auf Aussagen von namentlich nicht genannten „hohen EU-Diplomaten“. In Brüssel und in europäischen Notenbanken hieß es der Zeitung zufolge übereinstimmend, dass die „neue Finanzierungslücke“ des von der Pleite bedrohten Eurolandes bei „rund 30 Milliarden Euro“ liege. Davor hatte „Der Spiegel“ berichtet, dass nach vorläufigen Erkenntnissen der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) im Staatshaushalt Griechenlands eine Lücke von rund 20 Milliarden Euro klaffe. Bisher hatte Griechenland einen Fehlbetrag von 11,5 Milliarden Euro eingeräumt. Nur wenn die Finanzierungslücke geschlossen wird, kann die nächste Tranche der internationalen Hilfsgelder nach Athen überwiesen werden. TEXT: dpa

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