Die Hände vor dem Bauch gefaltet, die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt – in dieser Haltung eroberte Papst Franziskus am Samstag in der Blauen Moschee von Istanbul die Herzen der Türken. Auch wenn Vatikan-Vertreter erklärten, wirklich gebetet habe der Papst in dem muslimischen Gotteshaus nicht: Für die Türken war das etwa dreiminütige Innehalten von Franziskus eine höchstwillkommene Geste des Respekts gegenüber dem Islam. „Möge Allah das Gebet erhören“, sagte der Istanbuler Mufti Rahmi Yaran, der den Papst in der Blauen Moschee begleitete.
Franziskus und Yaran wandten sich bei ihrem gemeinsamen Gebet der Gebetsnische in der Moschee zu, die nach Mekka weist – die Symbolhaftigkeit der Geste des 77-jährigen Papstes war also nicht zu übersehen. Laut Vatikan verharrte Franziskus in einem „Moment der stillen Anbetung“ Gottes. Vor acht Jahren hatte Franziskus‘ deutscher Vorgänger Benedikt XVI. mit einer ähnlichen Meditation in der Blauen Moschee Schlagzeilen gemacht. Allerdings hatte Benedikt damals die Hände übereinandergelegt und nicht zum Gebet gefaltet, wie das bei Franziskus diesmal der Fall war. Für die Türken stand fest: „Der Papst betet in der Moschee“, wie der Istanbuler Nachrichtensender NTV meldete.
Im Jahr 2006 konnte Benedikt mit seinem eigenen Auftritt in der Blauen Moschee einen Teil des Schadens wiedergutmachen, den er damals mit seinen Bemerkungen über die Nähe von Islam und Gewalt in der Regensburger Rede selbst angerichtet hatte. Bei Franziskus rundeten die Minuten der inneren Einkehr in der Moschee ein positives Bild ab, das sich die Türken vom neuen Papst gemacht hatten.
Besonders die Bescheidenheit des Pontifex kam gut an. In Istanbul verschmähte Franziskus erneut die bereitgestellte Luxuslimousine und stieg stattdessen in einen silbergrauen Renault Symbol ein, der neben den riesigen schwarzen Fahrzeugen der türkischen Sicherheitsleute wirkte wie eine Konservenbüchse. „Sie werden nicht glauben, welchen Wagen er sich ausgesucht hat“, meldete die Zeitung „Hürriyet“ in einer Mischung aus Verblüffung und Hochachtung. Schon am Freitag in Ankara hatte sich der Papst für ein relativ unauffälliges Auto entschieden.
Auch die türkische Führung zeigte sich beeindruckt vom Papst. Ibrahim Kalin, ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan, lobte in einem Beitrag für die regierungsnahe englischsprachige Zeitung „Daily Sabah“ die Ernsthaftigkeit des Papstes bei den Bemühungen um eine Verständigung zwischen Christen und Muslimen. Franziskus gehe bei diesen Bestrebungen weit über diplomatische Nettigkeiten hinaus, schrieb Kalin.
Bei der türkischen Bevölkerung weckte der Papstbesuch jedoch nur wenig Neugier. Anders als bei anderen Auslandsbesuchen des Pontifex gab es in Istanbul keinen großen Menschenauflauf. Vor Hagia Sophia und Blauer Moschee fanden sich hinter den Absperrgittern der Polizei nur einige hundert Schaulustige ein.
Für den Papst bildeten die Besuche in Blauer Moschee und Hagia Sophia nur den Anfang des eigentlichen Schwerpunktes seines Türkei-Besuches. Im orthodoxen Patriarchat am Goldenen Horn sprach Franziskus über die Überwindung der tausendjährigen Kirchenspaltung. Der orthodoxe Patriarch Bartholomäus I., Oberhaupt von 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit, und Franziskus treiben dieses ehrgeizige Projekt gemeinsam voran.
Ganz der Kircheneinheit widmen konnte sich der Papst aber nicht – die brutale Realität im Nahen Osten holte den Papst am Bosporus ein. Er beschwor das Bild eines Nahen Ostens ohne Christen – die Sorge, dass alle Mitglieder der größten Weltreligion bald aus der Gegend vertrieben werden könnten, in der ihr Glaube vor zwei Jahrtausenden entstand, prägte den letzten Tag des Besuches von Franziskus am Sonntag. Zusammen mit Bartholomäus beschwor er die „Solidarität aller Menschen guten Willens“, um die Massenvertreibungen und Versklavungen durch radikale Gruppen wie den „Islamischen Staat“ in Syrien und Irak zu stoppen.
Der IS ist aber bei weitem nicht das einzige Problem. Wegen der Unruhen in den diversen Nahost-Staaten wandern bereits seit Jahren immer mehr Christen von dort in andere Länder aus. Im Irak beispielsweise ist die Zahl der Christen von rund 1,5 Millionen Menschen vor der US-Invasion im Jahr 2003 auf heute nur noch 200 000 bis 400 000 gesunken.
Franziskus traf sich in Istanbul mit Flüchtlingskindern und verdammte religiös begründete Gewalt als „schwere Sünde gegen Gott“. Dass dies Extremisten wie den IS sehr nervös macht, ist kaum zu erwarten. Doch bei der türkischen Öffentlichkeit erarbeitete sich Franziskus in seinen drei Besuchstagen den Ruf, es ernst zu meinen mit dem Ausgleich zwischen den Religionen.