Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

PISA: Der Schiefe Turm wird gerader

PISA

Der Schiefe Turm wird gerader

    • |
    • |
    Der Schiefe Turm von Pisa ist gerade wegen seiner Schräglage Touristenmagnet.
    Der Schiefe Turm von Pisa ist gerade wegen seiner Schräglage Touristenmagnet. Foto: Foto: Miguel Medina, afp

    Der Schiefe Turm von Pisa ist eine beliebte Projektionsfläche. Zu verschiedenen Gelegenheiten wird er mit buntem Licht angestrahlt. An sich genommen ist dieses Wahrzeichen Italiens auch eine metaphorische Botschaft eines Landes, das in vielerlei Hinsicht in Schieflage darbt, und das schon länger. In diesem Zusammenhang lässt die Nachricht aufhorchen, dass der Schiefe Turm sich langsam wieder aufrichtet. Vier Zentimeter in den letzten 17 Jahren! Das haben Wissenschaftler vor Kurzem berechnet.

    Bereits zwölf Jahre nach Baubeginn begann das als Glockenturm für den Dom zu Pisa gedachte Monument sich wegen des weichen Untergrunds zu neigen. Man schrieb das Jahr 1185, die Baumeister sahen lieber ab von ihrem Ursprungsprojekt und bauten den Turm nur 55 Meter hoch, anstatt der geplanten 100 Meter. Die Schieflage wurde zur Attraktion. Mehr als 800 Jahre später, am 7. Januar 1990, sperrten die Verantwortlichen den Schiefen Turm für Besucher wegen akuter Einsturzgefahr. Erst 2001 war er wieder zugänglich, nachdem Experten seine Statik überprüft und Maßnahmen für seine vorsichtige Aufrichtung ergriffen hatten.

    Weil der Carrara-Marmor durch Neigung und Rotation brüchig geworden war, waren der Struktur, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, Stahlreifen verpasst worden. Mit Gegengewichten aus Blei sowie vorsichtigen Bohrungen im nachgiebigen Lehm- und Sandboden unter dem Turm hatten die Statiker Erfolg. Bis 2001 richtete sich der Schiefe Turm von Pisa um ganze 41 Zentimeter wieder auf. Nun bestätigten die Fachleute die Entwicklung in den letzten beiden Jahrzehnten. Der Turm richtet sich weiter auf.

    „Seit Beginn der Kur hat der Turm seine Neigung um zweitausend Bogensekunden verringert, mehr oder weniger ein halbes Grad, das entspricht 45 Zentimetern“, sagte vor einigen Tagen der Geotechniker Nunziante Squeglia von der Universität Pisa. Der Archäologe und Kunsthistoriker Salvatore Settis, der einem dreiköpfigen Sicherheitskomitee zur Beobachtung des Turmes angehört, behauptete, es sei so, als habe sich der Turm „um fast zwei Jahrhunderte verjüngt“. Zweifellos ist die Aufrichtung auf dem unzuverlässigen Untergrund eine bautechnische Meisterleistung, die gerade angesichts der immer wieder aus Italien dringenden Schreckensnachrichten nicht genug gewürdigt werden kann.

    Im August war bekanntlich eine Autobahnbrücke in Genua eingestürzt, wohl wegen nachlässiger Instandhaltung. Überschwemmungen, Lawinen oder Erdbeben suchen Italien regelmäßig heim. Anschließend werden dann wie in einem Ritual die versäumten Sicherheitsmaßnahmen aufgezählt. „Ein Land, das sich nicht um seine eigene Verletzlichkeit kümmert, ist dem Selbstmord anheim gestellt“, sagt dazu Althistoriker Settis. Dass Italien eines seiner berühmtesten Wahrzeichen im Griff zu haben scheint, ist daher eine optimistisch stimmende Nachricht.

    Bleibt noch die Frage, wie wesentlich die Schieflage für die Identität des weltbekannten Monuments ist. Angesichts der Dynamik des Turms in den letzten Jahrzehnten könnte man auf die Idee kommen, der Schiefe Turm habe die Kraft, sich nach und nach ganz aufzurichten. Doch zu gerade darf der Schiefe Turm von Pisa auf keinen Fall stehen, er würde als hübsches, aber im internationalen Vergleich doch zu vernachlässigendes Bauwerk in Vergessenheit geraten. Die Experten geben in dieser Hinsicht Entwarnung. Der schiefe Turm bleibt schief. Eine drastische Aufrichtung sei nicht zu erwarten.

    Der Pisaner ist freilich keineswegs der schiefste Turm der Welt. Auch für diese Kategorie gibt es natürlich Statistiken. Als höchster Schiefer Turm gilt demnach mit 175 Metern der im Olympiastadion von Montreal, Kanada. Dort war Absicht am Start. Der unabsichtlich schiefste Turm der Welt ist laut Guinnessbuch der Rekorde der Kirchturm von Suurhusen in Ostfriesland – einer Region mit besonders hoher Dichte an schiefen Bauwerken.

    Das Ganze ist natürlich ein Rechenexempel aus den Faktoren Gesamthöhe, Überhang und Neigungswinkel. Am besten, man schaut sich die Bescherung mal selbst an: Beeindruckend schief geht es auch in Midlum (Ostfriesland) zu, in Bad Frankenhausen und Bendeleben (beide im Kyffhäuserkreis, Thüringen), in Neckartailfingen, in Bautzen oder Einbeck (Südniedersachsen).

    In der Schweizer Märtyrerstadt Sankt Moritz kommt einem der Turm der Mauritiuskirche ziemlich schräg vor, in Belgien der Belfried von Brügge. Nicht weit voneinander in Siebenbürgen stehen die Margarethenkirche von Mediasch und die evangelische Pfarrkirche von Rusi (Reußen) bei Slimnic (Stolzenburg) – beide auch nicht wirklich gerade. War's der Wodka? Selbst einer der berühmtesten Türme Englands, der Elizabeth Tower am Westminister Palace, fälschlich „Big Ben“ genannt, hat einen Überhang von 46 Zentimetern. Mit Informationen von Kna

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden