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Der Veteran, dem das Lächeln verging

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Der Veteran, dem das Lächeln verging

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    Verteidigte Deutschland am Hindukusch und am Horn von Afrika: Kaum einer hat mehr Erfahrung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr als Karl-Heinz Rügamer. Der letzte, bei dem dieses Bild entstand, galt 2010 der Sicherung der Seewege vor Piraten.
    Verteidigte Deutschland am Hindukusch und am Horn von Afrika: Kaum einer hat mehr Erfahrung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr als Karl-Heinz Rügamer. Der letzte, bei dem dieses Bild entstand, galt 2010 der Sicherung der Seewege vor Piraten. Foto: Foto: privat

    Nach mehr als 30 Jahren hat Oberstabsfeldwebel Karl-Heinz Rügamer an seinem letzten Tag im Dienst gut lachen. Er hat Freunde und Weggefährten zum Abschied eingeladen. Das Offiziersheim der Kaserne in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) füllt sich mit Weggefährten, es wird gelobt, gescherzt und getrunken, wie es üblich ist bei solchem Anlass. Doch als Vorgesetzte dann Stationen seiner Karriere beleuchten, schwindet mit einem Mal das Lächeln. Karl-Heinz Rügamer will nicht den Gute-Laune-Bär spielen. Und vielleicht denkt der 53-Jährige in diesem Moment daran, dass es ihm nicht so erging wie dem Feldwebel Alexander Arndt.

    Der war erst 26, als er – 1993 wie Rügamer – in den Auslandseinsatz geschickt wurde. Am 14. Oktober wurde Arndt in Kambodscha auf offener Straße erschossen – der erste Tote der Bundeswehr im Auslandseinsatz.

    „Es ist wichtig, nicht zu stolz zu sein, sich Hilfe zu suchen, wenn man allein nicht klarkommt“

    Karl-Heinz Rügamer, pensionierter Soldat

    Möglicherweise denkt Rügamer, während er der Laudatio seines Kompaniechefs lauscht, auch an Oberfeldwebel Kay Jürgensen (31 Jahre), gestorben im Oktober 1999 östlich von Prizren (Kosovo) bei einem Unfall. An Oberfeldwebel Michael Diebel (28), getötet bei einem Selbstmordanschlag 2007 auf dem Marktplatz von Kundus. Oder an Hauptfeldwebel Georg Missulia (30), am 18. Februar 2011 in Afghanistan erschossen.

    94 Soldaten der Bundeswehr sind bis Februar 2011 im Auslandseinsatz getötet worden, 50 waren Unteroffiziere wie Oberstabsfeldwebel Karl-Heinz Rügamer. Tausende erlitten Verletzungen, sichtbare oder schwer sichtbare psychische. Nach Bundeswehrangaben wurden seit 1996 mehr als 2200 Soldaten mit der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) behandelt. Die Dunkelziffer liegt wohl doppelt so hoch.

    Rügamer hat mehr Glück gehabt. Er wirkt fast traurig, als er das Wort ergreift – unverblümt, wie man ihn gerade gelobt hat: Er wünscht zwei Kameraden eine glückliche Rückkehr, die gerade ihren Einsatzbefehl in der Tasche haben. Und dann bekennt der Mustersoldat mit der meisten „Fronterfahrung“ im Saal: Er hätte als Soldat von sich aus aufgehört, wenn er in einen weiteren Auslandseinsatz geschickt worden wäre.

    Wenn Rügamer über Auslandseinsätze spricht, verstehen nur Eingeweihte die militärischen Abkürzungen. Welche militärischen Einsätze Unosom, KFOR oder ISAF waren, wissen vor allem jene, die – wie er – dabei waren. Ortsnamen wie Prizren (Kosovo), Kundus (Afghanistan) oder Dschibuti (Ostafrika) kommen anderen fremd daher, dem 53-Jährigen gehen sie so leicht über die Lippen wie unsereinem die Namen von Fußballvereinen. Rügamer ist ein Symbol dafür, wie sich die Bundeswehr gewandelt hat – von Vaterlandsverteidigern zu einer Eingreiftruppe in aller Welt: Wenn deutsche Soldaten heute am Hindukusch im Einsatz sind (und einem halben Dutzend anderer Orte auf der Welt), sind das Männer und Frauen wie Rügamer. Niemand am Standort Veitshöchheim hat mehr Auslandseinsätze als er – und nicht viele in der Bundeswehr: Achtmal ist er ausgerückt seit 1983, als es nach Somalia ging. 1645 Tage „Fronterfahrung“ listet sein Kompaniechef auf, fast fünf Jahre seines Lebens – mehrfach in Bosnien, Kosovo, Afghanistan, ehe sich der Kreis schloss: Die Sicherung der Seewege am Horn von Afrika führte ihn 2010 zum letzten Einsatz mit der Fregatte „Rheinland-Pfalz“ zurück nach Somalia.

    Sein Arbeitszimmer zu Hause in Mainstockheim (Lkr. Kitzingen) hängt voller Erinnerungen. Grußkarten und Fotos in Felduniform in exotischer Umgebung hängen an der Wand. Ein Bild zeigt Fußballerlegende Günther Netzer neben ihm, im gefleckten Tarnanzug in Sarajevo. Und auf einem Ortsschild seiner Heimatgemeinde Mainstockheim finden sich die Autogramme der Spieler der Fußball-Nationalmannschaft, die 2002 mit Teamchef Rudi Völler Vizeweltmeister geworden waren.

    Bald darauf waren sie zu einem Freundschaftsspiel im Bürgerkriegsland in Bosnien, wo Rügamer stationiert war – und sich plötzlich als Personenschützer im Bus des Teams um Carsten Jancker, Christian Wörns und Thorsten Frings wiederfand. Das Ortsschild hatte er sich – wie viele Soldaten – als Erinnerung an seine Heimatgemeinde schicken lassen. Kurz entschlossen wurde es als Autogrammkarte zweckentfremdet – eine einmalige Erinnerung an einen Auslandseinsatz.

    Rügamer hat auch weniger angenehme Erinnerungen, die davon handeln, wie man mit Leid und Tod umgeht. Seine Tätigkeit bestand nicht darin, was er „Parkplatzwächter im Truppenlager“ nennt. Er hat auf Patrouillen um sein Leben gebangt und den Geruch von Leichen in Massengräbern gerochen. Rügamer sah, wie die Fassade manch eines harten Kerls unter der Belastung bröckelte, und er kam selbst an Grenzen: als er den Tod einer Soldatin untersuchen musste – und ihm plötzlich im Feldlager der Leichentransport Richtung Heimat entgegenkam. Da schossen ihm Tränen in die Augen. Bei der Erinnerung an den Jahre zurückliegenden Vorfall verschwindet erneut das Lächeln, das ihm sonst aus dem Gesicht strahlt. „Ich habe geheult wie ein Schlosshund“, bekennt er. Lange schwieg er darüber. Als er es nicht mehr aushielt, vertraute er sich seinem besten Freund an. Von ihm wusste er: Der würde es für sich behalten und ihm würde es helfen, mit jemanden darüber gesprochen zu haben.

    Rügamer kennt die Belastung solcher Einsätze: die Trennung von der Familie, das Leben unter Einsatzbedingungen, die tägliche Bedrohung im Einsatzgebiet, das bedrückende Erlebnis, wenn Kameraden verletzt oder getötet werden. „Meine Armee hat die Belastung vielleicht nicht von Anfang an in ihrer Dimension richtig eingeschätzt“, meint er heute. Aber inzwischen hätten sich die Betreuungsangebote deutlich verbessert. Man müsse sie auch wahrnehmen, betont er. „Es ist wichtig, richtig damit umzugehen – und nicht zu stolz zu sein, sich Hilfe zu suchen, wenn man allein nicht damit klarkommt.“

    Karl-Heinz Rügamer war ein Soldat, wie ihn sich Vorgesetzte wünschen: ein Brocken von Kerl, immer optimistisch. Einer, der anpackt. Engagiert, leistungsbereit, geradeheraus – auch wenn es unbequem ist. Er hat sein Soldatsein auch außerhalb der Kaserne gelebt: Als er 2008 auf der Mainfähre in Mainstockheim heiratete, trug er Uniform. Als diese Zeitung in Kitzingen für eine Podiumsdiskussion einen Soldaten mit Auslandserfahrung suchte, ging Rügamer aufs Podium. Ihm war es wichtig, einen Einsatz zu erklären, den ein Teil der Bevölkerung gar nicht genau kennt.

    „Was wir im Umgang mit Behörden erleben, ist zum Teil abenteuerlich.“

    Andreas Timmermann-Levanas,

    Bund deutscher Veteranen

    Wenn Rügamer zwei Jahre später sagt, er habe genug von Auslandseinsätzen, muss es Vorgesetzten zu denken geben. Fast 300 000 Rügamers hat die Bundeswehr bisher in solche Einsätze geschickt. Sie klagen laut über mangelnde Fürsorge nach dem Einsatz. Viele haben mit dem Staat, der sie in die Einsätze schickt, um Entschädigung, Therapie und Anerkennung zu kämpfen.

    Mehr Soldaten als gedacht leiden an PTBS und haben Probleme, sich wieder an das normale Leben in Deutschland anzupassen. Sie waren in einem Krieg, den sie nicht so nennen durften. Nun sprechen sie vom „Krieg gegen das System“, vom „Krieg gegen die Bürokratie“, den sie kämpfen müssen.

    Im Herbst 2010 wurde deshalb der „Bund deutscher Veteranen“ (BDV) gegründet. „Die Hilfsangebote reißen ab, wenn die Soldaten aus der Armee ausscheiden“, warnt der Vorsitzende Andreas Timmermann-Levanas. Posttraumatische Belastungsstörungen träten häufig erst Monate oder Jahre nach dem aktiven Dienst auf. Wenn ehemalige Soldaten die Hilfe am meisten benötigten, fühle sich die Bundeswehr nicht mehr zuständig. Militärische und zivile Verwaltung schöben einander die Verantwortung zu. „Was wir im Umgang mit Behörden erleben, ist zum Teil abenteuerlich“, so Timmermann-Levanas, der selbst im Ausland stationiert war und mit PTSB als dienstunfähig entlassen wurde.

    Nicht alle überstanden die Auslandseinsätze so gut wie Oberstabsfeldwebel Karl-Heinz-Rügamer. Der ist jetzt pensioniert und will sich viel im Ausland anschauen – nicht mit der Bundeswehr, sondern als normaler Tourist mit seiner Frau. Bei dem Gedanken daran findet er sein Lächeln wieder: Glück gehabt, mag er denken – das ist auch Verpflichtung, nun etwas daraus zu machen.

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