Mit der Mafia hat Leoluca Orlando nur eines gemeinsam: seine Heimat. Schon lange bevor der Sizilianer Bürgermeister von Palermo wurde, begann er seinen Kampf gegen die Cosa Nostra. Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt er das Wesen der italienischen Mafia, die längst nicht mehr nur von süditalienischen Hinterzimmern aus agiert, sondern global in Banken oder an der Börse ihre Geschäfte macht.
Frage: Ihr Kampf gegen die Mafia hat Sie international bekanntgemacht. Wie sehr bestimmt die Mafia Ihr Leben?
Leoluca Orlando: Zunächst einmal habe ich nichts gegen die Mafia – die Mafia hat etwas gegen mich und gegen mein Recht, ein normales Leben zu führen. Ich stehe seit über 27 Jahren unter Polizeischutz. Ich kenne es nicht mehr, alleine Auto zu fahren, einzukaufen oder einen Caffe trinken zu gehen.
Einen hohen Preis, den Sie täglich für Ihre Mission bezahlen. Dafür haben Sie aber viel erreicht: Zum Beispiel gingen Mitte der 1980er Jahre, bevor Sie Bürgermeister von Palermo wurden, alleine in der sizilianischen Hauptstadt über 200 Morde jährlich auf das Konto der Mafia . . .
Orlando: . . . und jetzt gab es schon seit Jahren keinen einzigen Mafiamord auf ganz Sizilien. Das liegt aber auch daran, dass die Mafia großes Medieninteresse nicht brauchen kann. Wir müssen hier zwischen der alten und der neuen Mafia unterscheiden. Der Kampf gegen die alte Mafia war gefährlicher, aber sie war leichter zu besiegen. Heute ist sie weniger gefährlich, aber schwieriger zu bekämpfen.
Weil sie heute mehr im Verborgenen agiert?
Orlando: Es gibt viele Theorien, woher das Wort „Mafia“ kommt. Eine lautet, dass es einen arabischen Ursprung hat und so viel wie „das gibt es nicht“ bedeutet. Das beschreibt das Handeln der Mafia gut: Sie will im Dunkeln und Geheimen bleiben.
Was unterscheidet die Mafia von anderen Formen organisierter Kriminalität?
Orlando: Organisierte Kriminalität pervertiert Gesetze. Die Mafia pervertiert Gesetze und Kultur. Sie missbraucht das Wertesystem einer Gesellschaft: Sie verübt Verbrechen im Namen der Ehre, der Familie, der Freunde. So wird aus Ehre Schande, aus Familie eine kriminelle Gruppe, aus dem Freundeskreis eine kriminelle Organisation. Die Mafia ähnelt hier dem islamistischen Terrorismus, der im Namen islamischer Werte Anschläge verübt.
Verbrechen im Namen der Ehre oder für die Familie – das klingt nach altbekannten Mafiaklischees a la Hollywood. Wie sieht die Realität aus?
Orlando: Die italienische Mafia ist ein modernes Unternehmen, das global agiert und Geld über Investitionen großer Summen wäscht. Mafiosi von heute sehen aus wie Geschäftsmänner und bewegen sich in Banken oder an der Börse. Und sie sind keineswegs immer Italiener: In Deutschland zum Beispiel haben sie deutsche Kontaktleute. Das ist unauffälliger. Jemand, der Toto oder Luca heißt, ist einem deutschen Bankdirektor vielleicht verdächtig. Jemand, der Jürgen heißt, nicht.
Sie beschreiben ein sehr komplexes System. Und obwohl mittlerweile die wichtigsten Mafiabosse im Gefängnis sitzen, funktioniert es weiter.
Orlando: Im Kampf gegen die Mafia reicht es eben nicht, die Bosse wegzusperren. Polizeieinsätze allein sind nicht genug. Was wir brauchen, sind Gesetze auf europäischer Ebene, vor allem, was die Finanzwelt angeht. Und der Kampf gegen die Mafia muss auf kultureller Ebene stattfinden. Die Gesellschaft muss mobilisiert werden. Um zu funktionieren, braucht die Mafia nämlich zwei verschiedene Arten von Freunden: nur ein paar Hundert, die notfalls mit einer Waffe umgehen können, aber Millionen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen.
Dass die Mafia auch heute nicht davor zurückschreckt, zu Waffen zu greifen, haben 2007 die Mafiamorde von Duisburg gezeigt.
Orlando: Duisburg hat vor allem gezeigt, dass es die italienische Mafia auch in Deutschland gibt. Vielleicht war das für die Deutschen eine Überraschung, für mich nicht. Ich erinnere mich noch, wie Giovanni (der 1992 von der Mafia ermordete italienische Staatsanwalt Falcone, d. Red.) und ich in den 80er Jahren einen Brief mit einer Morddrohung bekamen – abgeschickt in Wuppertal.
Sie haben auch schon vor Jahren gewarnt, dass Berlin oder Frankfurt für die italienische Mafia inzwischen wichtiger sei als Palermo. In Deutschland gibt es Stimmen, die kritisieren, dass sich aber selbst nach Duisburg zu wenig in Sachen Mafiabekämpfung getan hat. Wie sehen Sie das?
Orlando: Deutschland hat viel Zeit verloren, um zu verstehen, dass die italienische Mafia in Banken und nicht in Pizzerien sitzt. Dabei ist das größte Risiko in einer Pizzeria in Deutschland, dort eine schlechte Pizza zu bekommen.
Die italienische Mafia
Mit dem Begriff Mafia werden heute viele Erscheinungsformen organisierter Kriminalität bezeichnet. In Bezug auf Italien wird er meist als Synonym für Cosa Nostra, 'Ndrangheta, Camorra und Sacra Corona Unita verwendet. Gemeinsamkeiten haben die vier Syndikate genug: Drogenhandel, Geldfälschung, Korruption bei öffentlichen Bauvorhaben und bisweilen Auftragsmorde sind ihr Metier. Ihr Geld verdienen sie alle international. Dennoch ist Mafia nicht gleich Mafia.
Ursprünglich wurde nur die Cosa Nostra als Mafia bezeichnet. Die Sizilianer sind das älteste italienische Verbrechersyndikat. Man geht davon aus, dass es sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete. Die Cosa Nostra ist streng hierarchisch und pyramidenförmig organisiert. Das Sagen hatte lange die cupola, ein Führungsgremium, mit dem capo dei capi – „Chef der Chefs“ – an der Spitze. Nachdem inzwischen jedoch zahlreiche Bosse festgenommen wurden, soll die cupola nun von einem Dreiergremium abgelöst worden sein. Traurige Berühmtheit erlangte die Cosa Nostra durch spektakuläre Morde, unter anderem an den Richtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die 1992 bei Autobombenanschlägen in der Nähe von Palermo ihr Leben verloren.
Zwar ist die Cosa Nostra nach wie vor die bekannteste Mafia-Gruppierung. Als einflussreichste gilt allerdings mittlerweile die 'Ndrangheta aus Kalabrien, die den europäischen Drogenmarkt kontrolliert. Sie war für die Morde in Duisburg 2007 verantwortlich, gilt aber auch in Bayern als aktivste Gruppe: Laut dem Innenministerium in München sind 65 Prozent aller im Freistaat gemeldeten mutmaßlichen italienischen Mafiaangehörigen der 'Ndrangheta zuzurechnen. Die 'Ndrangheta ist ein Netzwerk aus mehreren Familien, die durch Eheschließungen teilweise miteinander verbunden sind.
Ein ähnliches Clan-System gibt es in der neapolitanischen Camorra. In den Medien tauchte sie zuletzt vor allem im Zusammenhang mit ihren Müllgeschäften auf: Die Camorra hat gegen Bezahlung Sondermüll aus ganz Europa abgeholt und – teils unter freiem Himmel – im Großraum Neapel entsorgt. Die Folgen der illegalen Deponien für die Umwelt sind verheerend. Eine weitere Spezialität der Camorra ist der Handel mit gefälschten Markenartikeln.
Die Sacra Corona Unita ist das jüngste Mafia-Syndikat Italiens. Sie soll erst in den späten 80er Jahren entstanden sein. Die apulische Organisation unterhält enge Kontakte zur organisierten Kriminalität in Osteuropa. Text: ben
ONLINE-TIPP
Razzia in Unterfranken – alle Informationen zum SEK-Einsatz in Bad Kissinger Pizzerien: www.mainpost.de/zeitgeschehen