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Die Erinnerung an die „Weltmacht Sowjetunion“ nutzt Putin für sich

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Die Erinnerung an die „Weltmacht Sowjetunion“ nutzt Putin für sich

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    Entspannung sei nur möglich, wenn Russland sich aus der Ukraine zurückzöge, sagt Professor Benno Ennker.
    Entspannung sei nur möglich, wenn Russland sich aus der Ukraine zurückzöge, sagt Professor Benno Ennker. Foto: Foto: ennker

    Der Konstanzer Professor Benno Ennker (73) ist Osteuropa-Historiker und spezialisiert auf die russische und sowjetische Geschichte. Er war am Osteuropa-Institut in Tübingen und an der Uni St. Gallen tätig. Derzeit forscht er in Moskau.

    Frage: Herr Ennker, was haben 70 Jahre Kommunismus mit dem Land gemacht?

    Benno Ennker: Jahrzehnte lang haben die Menschen statt der Erfahrung als Gesellschaft vor allem Erfahrungen als „Massen“ gemacht. Politik war etwas, gegen das man sich gerade wegen der allgemeinen Indoktrination nur immunisieren konnte. Das sind Wunden, die in den 30 Jahren seither nicht einfach vernarbt sind, sondern immer wieder aufbrechen, auch als Nostalgie, wie die Erinnerung an die „Weltmacht Sowjetunion“. Das ist etwas, was vom gegenwärtigen Regime auch genutzt wird.

    Die Russen haben Putin mit großer Mehrheit wiedergewählt. Besteht knapp 30 Jahre nach dem Fall der Sowjetunion noch die Sehnsucht nach einem starken Führer?

    Ennker: Diese Führersehnsucht ist sehr verbreitet. Das ist in empirischen Umfragen nachgewiesen. Seit dem Krieg, den Russland mit der Ukraine führt, und der Konfrontation mit dem Westen scharen sich die Menschen noch stärker um Wladimir Putin als dem „nationalen Führer“. Im Alltag des Volks spielt er dagegen kaum eine Rolle, weil es sich Politik nach wie vor vom Halse hält.

    Die Opposition wird vom Kreml kleingehalten. Würden die Menschen anders stimmen, wenn es eine echte Alternative gäbe?

    Ennker: Darüber kann ich nur spekulieren. Zu allererst ist die Schwäche der Opposition ein Ergebnis ihrer vielfältigen Spaltungen, das Parteiensystem ist in Russland seit Jahrzehnten unterentwickelt. Parteigründungen hängen hauptsächlich an einzelnen Führern, die heftig miteinander rivalisieren. Dazu kommt, dass der Staat diese Spaltungen fördert und gleichzeitig regelrechte Filter eingerichtet hat, um die Opposition von Wahlen weitgehend auszuschließen. Das zeigt sich auch bei den demnächst stattfindenden Bürgermeisterwahlen in Moskau.

    Hat sich die EU mit der Osterweiterung 2004 und 2007 zu weit vorgewagt oder war die Furcht, die Staaten könnten indirekt Satellitenstaaten der Russischen Föderation bleiben, berechtigt?

    Ennker: Die EU gewährleistete den Staaten die wirtschaftliche, rechtsstaatliche und demokratische Entwicklung – im Wesentlichen erfolgreich. Bei Polen und Ungarn erleben wir ja gerade einen anderen Trend. Diese Länder waren Bestandteil des Territoriums, das sich Stalin und Hitler in ihrem Pakt 1939 aufteilten, die die Sowjetunion am Ende des Krieges eroberte und in Satellitenstaaten verwandelte. Das hat in diesen Staaten ein tief sitzendes Trauma hinterlassen. Bis weit in die 90er Jahre hat Russland Truppen in einzelnen Ländern, zum Beispiel im Baltikum, stationiert. Ethnische Konflikte nahm die Armee zum Anlass, direkt einzugreifen. Das reicht bis in die Gegenwart: Blicken Sie nach Georgien, den Kaukasus oder Moldawien.

    Die Nato hat ihre Truppen im Osten verstärkt. Ist eine russische Invasion überhaupt realistisch?

    Ennker: Für Polen und Menschen in baltischen Staaten wurden und werden russische Bedrohungen hautnah vorgeführt. Nach Beginn des Krieges mit der Ukraine wird den Staaten gezeigt, wie wichtig ihr Beitritt zur Nato war. Seit der verdeckten Operation zur Annexion der Krim durch russische Truppen ohne Hoheitszeichen erscheint manches Szenario realistisch. Vor allem, wenn angeblich russische bedrohte Minderheiten als Vorwand genutzt werden. Darauf richtet sich die Nato mit ihren Möglichkeiten ein.

    Ist Deutschland im Umgang mit Russland mit Blick auf die Geschichte befangen?

    Ennker: Ja. Diese Befangenheit ist da und ist berechtigt. Von Deutschland aus wurde der Krieg gegen die Sowjetunion geplant und als Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung geführt. Allerdings wird in der allgemeinen Erinnerung leicht vergessen, dass unter diesem Krieg zuerst die Polen und dann vor allem die Ukrainer und Weißrussen litten, nicht allein die Russen. Diese Befangenheit allein Russland gegenüber verdrängt also geschichtliche Wahrheiten. Außerdem wäre eine gewisse historische Befangenheit Russlands gegenüber den osteuropäischen Staaten angemessen, die gibt es aber leider nicht.

    Wie wirkt sich diese Befangenheit aus?

    Ennker: Auf deutscher Seite unterstützt diese verengte Befangenheit ein Sonderverhältnis zu Russland. Darin scheint Russland ein Recht auf eine Art „imperialen Vorhof“ westlich seiner Grenzen zu haben. In dieser Logik wäre ein Vetorecht Russlands zur Westorientierung der Ukraine geradezu selbstverständlich. Eine solche Russlandpolitik führt uns auf eine schiefe Ebene und zur Spaltung Europas.

    Das Verhältnis der Bundesregierung zu Moskau ist angespannt. Wie kann eine Entspannung gelingen?

    Ennker: Das ist nur möglich, wenn Russland sich militärisch und politisch aus der Ukraine zurückzieht und das Minsker Abkommen erfüllt. Kurzum, wenn Russland das Völkerrecht wieder einhält. Moskau muss anerkennen, dass es in der Ukrainefrage mit der EU zu tun hat, nicht nur mit der Bundesregierung. Die EU verteidigt mit ihrem Standpunkt die Friedensordnung in Europa nach dem Kaltem Krieg.

    Die Krim-Krise war eine Machtdemonstration Putins gegenüber dem Westen. Er kam damit durch. Hätte Europa nicht schärfer reagieren müssen?

    Ennker: Die Krim-Annexion war ein absolut willkürlicher Akt, trotz aller Berufung auf historische Gründe. Fakt bleibt, dass Russland nie zuvor Anspruch auf die Krim erhoben hatte. Sie war vor allem eine Aggression und sollte ein Hebel gegen die Ukraine sein. Die EU konnte nur mit Sanktionen reagieren.

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