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Die Klingen des Todes

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Die Klingen des Todes

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    Aufräumarbeiten: Kurz nachdem auf dem Al-Safah-Platz im Zentrum des alten Riyadhs zwei Mörder enthauptet wurden, reinigen Arbeiter mit einem Wassertankwagen die Hinrichtungsstätte von Blut.
    Aufräumarbeiten: Kurz nachdem auf dem Al-Safah-Platz im Zentrum des alten Riyadhs zwei Mörder enthauptet wurden, reinigen Arbeiter mit einem Wassertankwagen die Hinrichtungsstätte von Blut. Foto: Foto: katharina eglau

    Ein heißer Windstoß fegt über den Al-Safah-Platz, treibt leise schmirgelnd einen leeren Pappkarton vor sich her. Versteinert steht die etwa tausendköpfige Menge hinter den Absperrgittern und verfolgt mit den Augen die beiden großen, schlanken Gestalten in weißen Gewändern, wie sie zur Mitte des Platzes schreiten. Hüfthohe, silbrige Krummsäbel blitzen in ihren Händen. Die Augen sind hinter Sonnenbrillen verborgen, Mund und Nase verhüllt, der Kopf mit dem üblichen Kufiya-Tuch bedeckt.

    Langsam rollt der grau-blaue Kleintransporter rückwärts heran, die hintere Ladetür wird geöffnet. Auf den grauen Steinplatten, wo bis zum Mittag noch Jungen lärmend Fußball spielten und Springfontänen plätscherten, sind zwei Areale mit mehreren Lagen aus rötlichen Decken ausgelegt. Auf den umliegenden Dächern recken sich Scharfschützen, an den Ecken des Platzes liegen kubische Lautsprecher aus für die beiden Todesurteile des Tages.

    Es ist kurz vor 16 Uhr an diesem Freitag. Helfer stützen die beiden Todeskandidaten bei ihren letzten Schritten auf Erden. Wahrscheinlich sind sie vollgestopft mit Beruhigungsmitteln. Ihre Hände sind auf den Rücken gefesselt, über die Gesichter breite, graue Tücher geknotet.

    Einen Moment mustert der Henker konzentriert sein flach kniendes Opfer, drückt mit dem linken Zeigefinger den frei gelegten Hals noch ein wenig nach unten. Dann saust das Krummschwert herab – der Kopf fällt auf das Deckenlager, eine runde Blutfontäne spritzt aus dem Rumpf. Der Torso macht einen Satz nach vorne und schlägt auf den Boden. Hastig werden über die blechernen Lautsprecher Name und Taten des Hingerichteten heruntergeleiert, während der Scharfrichter bedächtig seine Klinge mit einem weißen Tuch abwischt. Der geköpfte Saudi Abdullah Al-Qassim soll einen Mann erdrosselt, der Minuten später exekutierte Jemenit Khadr Al-Tahiri sein Opfer mit Säure übergossen und zu Tode geätzt haben.

    60 Menschen hat Saudi-Arabien in diesem Jahr bereits öffentlich mit dem Schwert hingerichtet, allein im August waren es 23, im vergangenen Jahr und 2012 jeweils 79. Immer wieder appellieren die Vereinten Nationen mit scharfen Worten an das erzkonservative Königreich, diese brutale Praxis zu beenden, die auf der Welt sonst nur die Barbaren vom „Islamischen Staat“ praktizieren. „Trotz zahlreicher Aufrufe von Menschenrechtsorganisationen fährt Saudi-Arabien in widerlicher Regelmäßigkeit mit seinen Exekutionen fort und verstößt damit in schamloser Weise gegen internationale Rechtsstandards“, kritisiert Christof Heyns, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für außergerichtliche, wahllose und willkürliche Hinrichtungen. Human Rights Watch spricht von „einem weiteren dunklen Makel in der Menschenrechtsbilanz des Königreichs“.

    Die Zuschauer auf dem Al-Safah-Platz haben für diese Bedenken kein Verständnis, die sie als typisch westliche Bevormundung empfinden. „Leute wissen, wo sie bei uns dran sind. Sie bekommen ihre gerechte Strafe – das dient der Sicherheit unseres Landes“, sagt ein fülliger Saudi in traditioneller Kleidung. Ein älterer Herr mit schütterem Haar, abgewetztem Trainingsanzug und goldfarbenem Brillengestell gesellt sich dazu. „Ich bin undercover hier“, kokettiert der 66-Jährige in makellosem Englisch. Seinen Vornamen gibt er mit Aziz an und stellt sich als pensionierter Geheimdienst-General vor, der ganz in der Nähe wohne. 42 Jahre lang war er Agent, spezialisiert auf das Entschärfen von Bomben, wie er sagt, zuletzt arbeitete er als Dozent bei der Staatssicherheit. In den 80er Jahren als junger Leutnant habe er saudische Geldkoffer eigenhändig nach Afghanistan zu Osama bin Laden und dessen Gefolgsleuten gebracht.

    Parallelen zwischen der offiziell lizenzierten archaischen Strafpraxis der saudischen Monarchie und ihren Nachahmern vom „Islamischen Kalifat“, die bisher vier westlichen Geiseln vor laufender Kamera die Köpfe abschnitten, wollen Geheimdienstveteran Aziz und andere Umstehende nicht gelten lassen. „Was Isis macht, sind Verbrechen, was wir tun, geschieht nach Recht und Gesetz des Islam“, deklamieren sie. Außerdem seien Enthauptungen humaner und weniger qualvoll als Giftspritze oder elektrischer Stuhl.

    So professionell der „Islamische Staat“ seine Horror-Videos für das Internet inszeniert, so generalstabsmäßig plant die Heimat des Propheten Mohammed ihre öffentlichen Enthauptungen. Kurz nach dem Freitagsgebet in voller Mittagshitze schwärmt bereits das erste Dutzend braun-weißer Polizeijeeps auf den Al-Safah-Platz und postiert sich an dessen Rändern. Am Schluss sind es über 50 Fahrzeuge.

    Die Bereitschaftspolizisten beordern alle Passanten hinter die Absperrgitter und halten jeden Zuschauer genau im Auge. Niemand darf auch nur ein Handy in die Hand nehmen. Fotos vom Hinrichtungsort sind absolut verboten, sie könnten den Ruf des Landes schädigen. Imbisstube und Café unter den Arkaden müssen schließen, die Plastikstühle zusammenräumen und die eisernen Rollladen herunterlassen. Am Ende fahren mit Blaulicht und Sirenen zwei Gefangenentransporter und zwei Krankenwagen vor gefolgt vom Suburban des Staatsanwalts und einem weißen Pickup mit Verwandten eines Mordopfers. Nach Scharia-Recht kann die Familie den zum Tode Verurteilten im letzten Moment begnadigen. Dann wird ein Blutgeld fällig, der Tarif für Mord liegt in Saudi-Arabien gegenwärtig bei 60 000 Euro. Doch die Verwandten lehnen endgültig ab, exakt sechs Minuten später entfernen sich die beiden Henker mit strammem Schritt vom Exekutionsort. Ein Krankenwagen rollt heran, Sanitäter schlagen die Enthaupteten in die blutgetränkten Decken, hieven sie auf Bahren und schieben sie ins Innere, dann jagen sie heulend davon.

    Der pensionierte Geheimdienst-General Aziz wirkt erleichtert und zufrieden, steckt sich eine Zigarette an und spendiert den ausländischen Besuchern Dosen-Cola aus dem Imbiss. Ob es ihnen gefallen habe und ob sie wiederkommen werden, will er wissen. „Wir hätten allen Isis-Leuten sofort die Köpfe abschlagen sollen wie diesen Mördern, dann hätten wir dieses Problem heute nicht“, deklamiert er in die Runde.

    Am Hinrichtungsort steht inzwischen der weiße Tankwagen, der die ganze Zeit hinter den Zuschauern im Vorhof der Moschee gewartet hatte. Pakistanische Gastarbeiter schrubben die Steine, einige Saudis in weißen Gewändern schauen zu. Mit einem dicken Schlauch wird das Blut in den speziellen Abfluss in der Platzmitte gespült. Und dann sind die jungen Fußballer vom Mittag wieder da. Einer im Ronaldo-Trikot lässt den Ball tanzen. Andere kurven lachend um die große Pfütze.

    Die Todesstrafe weltweit

    Mindestens 778 Exekutionen wurden im Jahr 2013 nach Angaben von Amnesty International weltweit bekannt. Die meisten davon fanden in der Volksrepublik China statt. Zurzeit gibt es laut der Menschenrechtsorganisation 57 Staaten, die die Todesstrafe beibehalten haben und noch anwenden. Unter anderem gehören dazu Ägypten, die Bahamas, Indien, Japan, Syrien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Darüber hinaus gibt es 35 Länder, die die Todesstrafe zwar in der Praxis, aber nicht im Gesetz abgeschafft haben, beispielsweise Südkorea und Russland. Und zusätzlich noch sieben Länder, wie Brasilien und Israel, die die Todesstrafe nur noch für außergewöhnliche Straftaten, wie Kriegsverbrechen vorsehen.

    Blickpunkt USA: Von den 50 Bundesstaaten in den USA sehen 32 die Todesstrafe in ihren Gesetzen vor. Seit der Wiederaufnahme der Todesstrafe im Jahr 1977 wurden bis zum 31. Dezember 2013 insgesamt 1359 Hinrichtungen in den USA vollzogen. text: eam

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