Nein. So ein Wort wird in der Formel 1 nicht akzeptiert. Und vielleicht sind das Selbstbewusstsein und die Arroganz dieser Männerwelt das Glück der Sabine Kehm. Denn als vor elf Jahren, im Spätsommer, das Angebot von Michael Schumachers Manager Willi Weber kam, Medienberaterin des damals zweimaligen Formel-1-Weltmeisters zu werden, da sagte Sabine Kehm spontan: "Nein." Weber, am anderen Ende der Telefonleitung, ließ die Antwort nicht gelten. Sie solle zumindest einmal in Ruhe darüber nachdenken, sagte er. Die Redakteurin Sabine Kehm, damals frisch im Sport-Ressort der "Süddeutschen Zeitung", erbat sich 14 Tage Bedenkzeit. Es wurden 14 bewegte Tage. Die Journalistin führte viele Gespräche, wog ab. "Einerseits war ich für die SZ für die Olympischen Spiele in Sydney akkreditiert, worauf ich mich wahnsinnig gefreut habe. Andererseits willst du ja als Journalistin genau das: hinter die Kulissen gucken." Dazu ging es um Michael Schumacher, "einen Weltstar, um eine der ganz großen Figuren im internationalen Sport". Sie konnte sich lange nicht entscheiden: "Das Angebot klang sehr verführerisch, aber mein Job war es eben auch." Letztlich gab Sabine Kehms Naturell den Ausschlag, das Wagnis einzugehen. Den Job bei der Zeitung zu kündigen und auf die andere Seite zu wechseln. "Es war die Neugier, die gesiegt hat", sagt sie heute, "du willst wissen, was wirklich dahintersteckt. Dies war die Chance, es aus erster Hand zu erfahren."
Ein Jahrzehnt ist seitdem vergangen, eine Dekade an der Seite des vielleicht prominentesten deutschen Sportlers in diesem Zeitraum. All das war nicht zu erwarten gewesen für eine, die noch wenige Jahre zuvor für die Lokalsportredaktion der "Main-Post" von den Fußballplätzen im Landkreis Rhön-Grabfeld berichtet hatte. Doch die A-Klassen dieser Welt sind für die Blondine aus Bad Neustadt an der Saale bald zu klein, sie entwickelt früh Ehrgeiz. Sie lernt an der Springer-Journalistenschule in Hamburg und Berlin, wird Redakteurin beim renommierten Magazin "Sports" und später bei der Tageszeitung "Welt". Eines ihrer Aufgabengebiete: die Formel 1. Es ist die Zeit, in der sie auch Michael Schumacher kennenlernt.
"Michael ist nie link"
Jetzt sitzt Sabine Kehm in Spa im Motorhome von Mercedes an einem Tischchen. Vor ihr: eine Tasse Kaffee und ihr BlackBerry, Kehms Telefon ist ihr Tor zur Welt zu jeder Tages- und Nachtzeit. Es ist bewölkt in den Ardennen, es regnet. Drinnen, in diesem gläsernen Kasten, erinnert sich Sabine Kehm an die Anfangszeit. "Ich hatte damals zwei oder drei große Interviews für die ,Welt' mit Michael geführt. Speziell eines davon war sehr intensiv, ein richtiger Schlagabtausch." Es war wohl dieses Interview, an das sich Schumacher erinnert, als er seine Pressebetreuung neu ordnen möchte. "Voraussetzung war", sagt Sabine Kehm, "dass ich mich vorher mit Michael treffen und mit ihm sprechen kann. Ich wollte ihm ins Gesicht sehen, ich wollte ein Gefühl für ihn bekommen, ich wollte sehen, wie er auf meine Bedingungen reagiert." Denn eine Bedingung war der Zugang zum Star in kritischen Momenten. "Mir war klar, ich muss an ihn ran, wenn's wirklich wichtig ist. Auch wenn er in seinem Zimmer hockt und richtig sauer ist, muss ich mit ihm sprechen können."
In einem Hotel in Köln hört sich Schumacher Kehms Sicht der Dinge an. "Ich hatte sehr bald das Gefühl, dass es gut laufen könnte", erinnert sie sich an das entscheidende Treffen. Anfangs war sie der Meinung, auf einem Schleudersitz Platz zu nehmen. "Erstens war 1999 ja nicht abzusehen, wie Michaels Karriere weitergehen würde. Zweitens war klar: Wenn ich in meiner Position einen Fehler mache, dann geht der um die Welt und kann extreme Auswirkungen auf sein Image haben." Nach zehn Jahren hat sie den Schritt aus dem Journalismus auf die andere Seite nicht bereut: "Michael ist nie link, er ist mir nie in den Rücken gefallen oder hat mich im Regen stehen lassen. Und er ist beratungsfähig. Das schätze ich so an ihm, dass er sich von guten Argumenten überzeugen lässt, auch wenn er ursprünglich anderer Meinung war. Er lässt mich autonom arbeiten und vertraut mir." Er sei zwar ihr Boss, sagt sie, "aber doch, es ist auch eine Freundschaft entstanden". Die Wertschätzung für seine Medienberaterin, die ihm all die Jahre rund um den Globus, von Strecke zu Strecke, von Test zu Test gefolgt war, lässt auch nach Schumachers Rücktritt Ende 2006 nicht nach. Im Gegenteil. Zwar arbeitet Sabine Kehm jetzt für Ferrari Deutschland in Wiesbaden, doch koordiniert sie auch weiterhin Schumachers Medientermine. Als sich der Rekordweltmeister zum Comeback entschließt, wird Sabine Kehm wichtiger denn je für den Formel-1-Piloten. Er befördert die 45-Jährige Anfang diesen Jahres zu seiner Managerin. Als Nachfolgerin von Willi Weber kümmert sie sich seitdem auch um die Vermarktung. Sie ist nach Genf in die Schweiz gezogen und leitet dort Schumachers Büro, das sich auch um die Ranch seiner Frau Corinna kümmert. Einer Anlage, auf der bereits die Europameisterschaften im Western-Reiten ausgetragen wurden. Hier also, unweit des Genfer Sees, hält Sabine Kehm die Fäden in der Hand, konferiert mit Anwälten, prüft Anfragen, und entzaubert ihren Status in einem Satz: "Der Willi hat das ja auch nicht alles alleine gemacht." Natürlich, sagt sie, "das Privatleben hat unter dem Job gelitten. Du hast einfach weniger Freizeit als andere. Du musst immer erreichbar sein, richtig abschalten ist schwierig." Das ist der Preis. Die Frage nach einer Beziehung quittiert sie mit einem Lächeln auf den Lippen: "Ich bin ledig." Auch ihre Familie sieht sie nicht oft. Nach Bad Neustadt, heim zu ihren Eltern und den drei Geschwistern, kommt sie sehr selten, eigentlich nur an Weihnachten. Christbaumschmücken als Ritual. "Sie selbst hat sich überhaupt nicht verändert", sagt ihr Neffe Daniel Rathgeber, der, wie Kehm früher, für die Lokalsportredaktion der "Main-Post" im Kreis Rhön-Grabfeld arbeitet.
Seit Michael Schumacher wieder fährt, in Spa, in Melbourne, in Singapur, überall auf der Welt, seit diesem Jahr also, steht sie wieder bei jedem Rennen an seiner Seite. Sie ist sein blonder Schatten. Die Rückkehr war für Sabine Kehm logisch. "In den 16 Jahren Formel 1 vorher hat er 15 Jahre mehr oder weniger aussichtsreich um den Titel gekämpft. Das ist im Spitzensport eine unmenschlich lange Zeit. In diesen Jahren wurde der Motorsport für ihn mit so vielen Dingen befrachtet. Jeder hat an ihm gezerrt, überall, wo er auftrat, war Wallung. Am Ende war er einfach müde und ausgelaugt." Aber warum dann das Comeback? "Weil er in diesen drei Jahren ohne Formel 1 die Liebe zu diesem Sport wieder neu entdeckt hat. Sie war zugeschüttet gewesen mit Verpflichtungen, mit Interviews, mit tausend Sachen." Als er, befreit vom Ballast, wieder Kart oder Motorrad gefahren sei und danach mit Kumpels ein, zwei Bierchen an der Strecke getrunken habe, "da hat er gespürt, wie sehr er das alles noch mag". Dass die Ikone mit ihrem Mercedes in dieser Saison hinterherfährt, damit könne Michael Schumacher gut umgehen. "Das jetzige hat mit dem ersten Kapitel Formel 1 nichts mehr zu tun", sagt Kehm, "Michael geht es um den Sport, um den Wettkampf. Er will sich durchsetzen. Deshalb zieht er trotzdem eine Befriedigung aus der momentanen Situation, weil er immer noch mitkämpfen kann unter den Besten der Welt. Natürlich würde er gerne gewinnen, aber er ist auch Realist und weiß um die Schwierigkeiten." Längst läuft die Planung bei Mercedes für 2011. "Aber ob das dazu führt, dass er noch mal Weltmeister wird? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es natürlich."
Raushalten aus den Klatschblättern
Draußen auf der Strecke beginnt irgendein Rennen aus dem Rahmenprogramm. Motorenkrach. Wie ein Surren hört sich das an, wie ein riesiger Schwarm Libellen. Längst besitzt Sabine Kehm einen Namen im Business. Christian Danner, der frühere Fahrer und jetzige RTL-Kommentator, grüßt freundlich. Der Kaffee ist leer. Ob Michael Schumacher 2012 seinen Vertrag noch einmal verlängern wird als Fahrer? "Das glaube ich eigentlich nicht. Er wäre dann 44 Jahre alt", sagt Kehm und scheint einen Augenblick irritiert über ihre eigenen Worte. "Wobei - bei Michael darf man nie etwas ausschließen." Aber irgendwann wird Schluss sein, und irgendwie fühlt sich Sabine Kehm auch ein wenig dafür verantwortlich, Schumacher beim Übergang ins neue Leben zu helfen. Es gibt Beispiele prominenter Sportler, die nach dem Karriereende seitenweise die bunten Klatschblätter füllen mit allerlei Unappetitlichkeiten aus ihrem armen Privatleben. "Natürlich ist das ein Thema, natürlich diskutieren wir darüber", sagt Sabine Kehm, "er möchte nicht abgleiten in die Spalten der Regenbogenpresse. Aber bei ihm sehe ich da überhaupt keine Gefahr." Michael Schumacher sei zwar bewusst, dass er nie mehr etwas so gut können wird wie das Rennfahren. "Aber er ist ein Macher und keiner, der auf Dauer nur rumhängen wird. Er wird sich eine neue Aufgabe suchen, und ich hoffe, dass ich ihm dabei helfen kann." Außerdem halte er sein Familienleben komplett raus aus der Öffentlichkeit. "Der Mechanismus in den Medien ist doch immer gleich", sagt Kehm, die die Branche aus dem Innenleben kennt. Sie meint das Hosianna und Kreuziget ihn.
Sabine Kehm ist nicht bange vor der Zukunft. Eine Rückkehr in den Journalismus kommt für sie kaum mehr in Frage. Es kann also gut sein, dass Michael Schumacher sie bis in die Rente begleiten wird. "Viele Verträge mit unseren Partnern sind sehr langfristig angelegt. Die Unternehmen verbinden mit Michael Geradlinigkeit, Qualitätsbewusstsein, Disziplin, Erfolg, Teamgeist, Stehvermögen. Er bringt sich auch wirklich ein und macht nicht nur mal kurz den Hampelmann." Der Mann, sagt sie noch, "ist eine weltweite Marke, die über den Sport hinausstrahlt. Einer der wenigen globalen Superstars, die wir in Deutschland haben und die diese Bezeichnung zu recht tragen". Sicher gehört so eine fast hymnische Beurteilung zu ihren Pflichten. Aber es klingt ehrlich. Der Job, soll das wohl auch heißen, birgt noch einige Aufgaben. Sabine Kehm ist keine, die Veränderungen scheut. Florian König, der RTL-Moderator, kommt an den Tisch: "Hey, Du hast ja eine neue Frisur."
Sabine Kehm
Die 45-Jährige aus dem unterfränkischen Bad Neustadt an der Saale ist seit Anfang des Jahres neben ihrer Tätigkeit als Medienberaterin auch "Managing Director" von Michael Schumachers Büro in Gland bei Genf in der Schweiz. "Von hier aus werden alle Management-Tätigkeiten koordiniert und abgewickelt", so der Formel-1-Pilot, der früher von Willi Weber gemanagt wurde. Kehm, ledig und kinderlos, ist damit, so schrieb es die "Bild", die "wichtigste Frau im Leben von Michael Schumacher - neben seiner Ehefrau Corinna". Von 2007 bis 2009 war Kehm auch Kommunikationschefin für Ferrari für Mittel- und Osteuropa.