Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Die Therapie

Politik

Die Therapie

    • |
    • |
    Ein Massagesessel, auf den viele hoffen.
    Ein Massagesessel, auf den viele hoffen. Foto: FOTO B. Buss

    Ein Reisebus voller Gewinner! Rund 60 weiß-graue Haarschöpfe schweben über den Sitzreihen. Wohin die Fahrt durch den morgenvernebelten Spessart führt, wissen die Passagiere nicht. Sie kennen nur den Zweck der Reise: eine feierliche Gewinnübergabe. Sie haben bei einem Preisrätsel gewonnen. Das Lösungswort: „Aufstand der Alten“. Sie werden zehn Jahre lang eine monatliche Rente von 2500 Euro und womöglich einen Massagesessel bekommen. Wer seinen Partner mitbringt, kriegt zudem ein Navigationsgerät geschenkt. So zumindest haben die Senioren den Text auf der Karte verstanden, mit der sie zu der Fahrt eingeladen wurden. Wer dahintersteckt, ist unklar. Keine Firma, kein Name, nur eine Postfachadresse.

    „Die wollen uns eh nur wieder irgendwas aufschwatzen“, tönt es durch die Reihen. „Musste halt Nein sagen“, gibt sich ein anderer abgeklärt. Ein Fünkchen Hoffnung glimmt in ihnen. Die Hoffnung, nicht wieder auf einer Verkaufsfahrt gelandet zu sein, diesmal tatsächlich als Gewinner gefeiert zu werden. Im Saal eines Gasthofs mitten in Geiselwind (Lkr. Kitzingen). Auf der Bühne steht einer der versprochenen Massagesessel. Die Blicke der Senioren suchen nach den Kisten, in denen die zig Navigationsgeräte lagern müssten. Ihre Skepsis wächst. Ablenkung bietet das Frühstück. Auf jedem Teller: ein Brötchen, eine halbe Scheibe Brot, ein Ei, eine dünne Scheibe Mortadella und Käse, etwas Butter, daneben ein winziges Glas Orangensaft und ein Tässchen Kaffee. Das auf der Postkarte versprochene Buffet fällt flach.

    Frank – so möchte der schmächtige Mann mit dem Oberlippenbart genannt werden – erzählt. Von sich als einem, der hält, was er verspricht. Den bitte niemand mit den schwarzen Schafen seiner Branche in einen Topf werfen solle. Die meiste Zeit – knapp fünf Stunden – wird Frank aber über eine Magnetmatte erzählen. Davon, wie ihre Kraft das Eisen im Blut bündelt, so dass Ablagerungen in den Adern quasi abgeschliffen werden. Herzinfarkt, Schlaganfall oder Rheuma haben keine Chance.

    Frank erklärt auch, dass es nur die Schuld der miesen Pharmaindustrie sei, dass die Matten nicht längst in allen Klinikbetten liegen und dass es sie nicht auf Rezept gibt. „Woran verdienen die denn, die Dame, der Herr? An den Gesunden? Nein! Die verdienen an den?“ Pause. Franks Blick wandert durchs Publikum. Einige murmeln: „ . . . an den Kranken.“ – „Richtig, die Dame, der Herr!“

    Dass die Gäste mitarbeiten müssen, damit es ein schöner Tag wird, hat Frank schon anfangs klargestellt – in einem harschen, autoritären Ton. Gegenwehr gleich null. Vielleicht hatten sie Franks Satz von davor noch im Ohr: „Ich habe hier viele Sachen zu verschenken. Aber wem ich sie schenke, meine Damen, meine Herren, entscheidet nur einer. Nämlich?“ Pause. Saal: „Sie!“ „Danke, die Dame, der Herr.“ Frank verteilt drei Präsente: „Lächeln Sie viel! Es soll nicht zu Ihrem Schaden sein.“

    Franks Zuckerbrot-und-Peitsche-Rhetorik funktioniert. Mal ist er der nette 50-Jährige, der die Sorgen und Nöte der Alten kennt, der ausspricht, was sie im Stillen denken und der sie mit einer Prise Der-kleine-Mann-muss-alles-ausbaden-Politik in Wallung bringt. Im nächsten Moment plustert sich der schmächtige Frank plötzlich zum Alpha-Tier auf: Er ist der Chef. Kritische Fragen bügelt er ab, führt den Miesmacher als Dummkopf vor, der nicht zugehört hat. Sein Publikum hält still.

    Mehr noch: Als eine Dame Franks suggestiven Fragen Paroli bietet („Sie behandeln uns ja wie unmündige Kinder!“), wird es unruhig im Saal. Gar nicht höflich lässt Frank die Dame auflaufen: Sie könne ja gehen. Die Frau hakt nach, will wissen, was mit ihrem versprochenen Gewinn ist. „Die hatse doch nicht alle!“, zischt ein Mann – laut genug, dass es alle hören. Der Unmut des Publikums richtet sich gegen die „Querulantin“. Wütend verlässt sie den Saal, Frank hat gewonnen. Ungeduldig erklärt er, wie der Text auf dem Gewinnanschreiben zu verstehen ist: Alle haben nur die Teilnahme an der Verlosung für die Rente gewonnen. Und: Es gibt EIN Navigationsgerät für alle, das wird verlost. Basta. Fragen unerwünscht. Das Mittagessen wird serviert. Das muss jeder selbst bezahlen.

    Dann kommt der Star des Tages: eine dünne Decke, prallvoll mit Heilsversprechen – die Biomagnetmatratze. Ein Wundermittel gegen zig Krankheiten, für Gesundheit und Wohlbefinden. Frank nennt sie nur „Die Therapie“. Alles, was er über sie erzählen wird, ist wissenschaftlich abgesichert. Sagt Frank. Er hält ein Büchlein von Dr. Jörg Zittlau hoch. Titel: „Heilende Magnete“. Das ist Franks erster Beweis. Der Doktor habe belegt, dass Magnete heilen. Sagt Frank. In dem Buch liste Dr. Zittlau auf, welche Krankheiten Magnete lindern oder kurieren können. Sagt Frank.

    Dass Dr. Zittlau kein Mediziner ist, sondern Wissenschaftsjournalist, der in einem geisteswissenschaftlichen Fach promoviert hat, wissen die Senioren nicht. Und Frank sagt es ihnen nicht. Auch, dass Zittlau nicht über „Die Therapie“, sondern über Magnetfolien im Allgemeinen schreibt, sagt Frank nicht. Und was ist mit den Heilkräften? „Was die dort erzählen ist Quatsch. Die wollen den Leuten doch nur das Geld aus der Tasche ziehen!“, sagt Zittlau. „Wenn Magnete überhaupt was können, dann Schmerzen lindern.“ Er ist froh, dass sein Büchlein vom Markt ist. Unzählige Mails und Anrufe hat er schon beantworten müssen, weil er auf solchen Verkaufsshows gerne als führender Wissenschaftler zitiert wird.

    Franks zweiter Beweis: Ein Schreiben, das wie ein Zertifikat vom TÜV Rheinland und dem TÜV Berlin-Brandenburg samt Siegel aussieht. Nur wenige Sekunden projiziert Frank es an die Leinwand. Nickende Köpfe im Saal. Was die Senioren nicht wissen: Der TÜV hat die „Therapie“ selbst nie geprüft, sagt Ralf Diekmann, Sprecher für den Bereich Produkte beim TÜV Rheinland. „Wir haben lediglich einen der Magnetstreifen getestet, die auch in der Matte verarbeitet werden und kamen zu folgendem Prüfergebnis: Ja, der Magnetstreifen ist magnetisch. Mehr nicht!“ Die medizinische Wirksamkeit des Magnets oder der Matte habe man nie untersucht. Weil aber der TÜV vermutet, dass eben dieser Anschein in Verkaufsveranstaltungen erweckt werde, kümmern sich nun die Juristen der Markenüberwachung des TÜV um den Fall.

    Zurück im Saal: Dort liefert Frank seinen dritten Beweis: „Die Therapie“ sei ein Medizinprodukt der Klasse 1. Das klingt nach verbürgter Spitzen-Qualität. Dass auch eine Mullbinde oder eine Gehhilfe ein Medizinprodukt der Klasse 1 ist, weil ihr Einsatz im Vergleich zu Herzkathetern oder Brustimplantaten (Medizinprodukte Klasse 3) weniger riskant ist, erzählt Frank nicht. Er dosiert Informationen. Und manchmal ist weniger eben mehr. Zumindest für das, was er vorhat.

    Eine Pharmazentralnummer, kurz PZN genannt, ist Franks vierter Joker. Mit dieser Nummer kann man in jeder x-beliebigen Apotheke „Die Therapie“ bestellen oder sich über den Preis informieren, sagt er. Großzügig bietet Frank an, bei einer Apotheke anzurufen und es zu überprüfen. Das will aber niemand. Ohnehin wäre Franks Risiko gleich Null. Die PZ-Nummer gibt es tatsächlich, und sie führt zur angepriesenen Magnetfeldmatratze. Das ist schon alles, was diese Nummer beweist. Jedes Produkt in der Apotheke hat eine PZN: 4634658 ist zum Beispiel die für Taschentücher.

    Franks fünfter Beweis: Patientenberichte aus Illustrierten. Kranke berichten von ihrer Leidensgeschichten und davon, dass erst ein Magnet Heilung brachte. Passagen daraus lässt Frank von einer Frau vorlesen. Würde sie genau hinschauen, könnte sie das Wort „Anzeige“ am Seitenkopf entdecken. Das genügt, um dem Gesetz Rechnung zu tragen und zu kennzeichnen, dass es sich um gekaufte Seiten, um Anzeigenseiten handelt. Dort können Firmen ihre Produkte präsentieren, wie sie mögen. Das Wort „Anzeige“ entdecken die wenigsten. Die Vorleserin auch nicht.

    Dann wird es ernst: Wer will „Die Therapie“ haben? Frank wäre nicht Frank, wenn er nicht klarstellen würde, dass er keinem böse sein wird, der den Finger jetzt nicht hebt. „Aber: Die werden noch an mich denken, die Damen, die Herren“, prophezeit er. „Wenn sie nachts wach liegen, weil sie Schmerzen haben. Oder wenn sie morgens aufwachen und ihr Partner liegt tot neben ihnen, weil er in der Nacht einen Schlaganfall hatte.“ Bedrücktes Schweigen im Saal. Bahn frei für den Preiskampf.

    Frank ziert sich, warnt davor, dass der Preis nicht ohne sei. „Aber was ist schon ein angemessener Preis für die Gesundheit, das kostbarste aller Güter, die Damen, die Herren?“ Nach einer halben Stunde steht die Zahl 1598 Euro auf dem Flip-Chart. Aber: „Ich habe gesagt, ich mache was für Sie, und was ich sage, dazu stehe ich auch.“ Frank senkt den Preis um 550 Euro. Möglich werde das durch einen Fonds. Der Deutsche Kur- und Heilverband, kurz DKHV, habe Dr. Jörg Zittlau einen Preis für sein Büchlein verliehen, sagt Frank. Das Preisgeld von 250 000 Euro habe Zittlau dem Therapie-Hersteller zur Verfügung gestellt, damit der sie an seine Kunden verschenkt. Quasi als finanzielles Dankeschön, dass sie etwas für ihre Gesundheit tun. Der Erste lässt sich auf den Deal ein und bekommt eine Mappe, darin ein Kuvert mit 550 Euro! In bar. Jetzt ziehen andere nach. Was sie nicht wissen: Einen DKHV gibt es nicht. Unter der Abkürzung findet sich der Deutsche Kletterhallenverband, der Deutsche Kartoffelhandelsverband oder der Deutsche Kinderhospizverein. Einen Deutschen Kur- und Heilmittelverband sucht man vergebens.

    Am Ende verkauft Frank die Therapie über ein Dutzend Mal. Den Endpreis – er wird um die 900 Euro liegen – verhandelt er einzeln, hinter verschlossener Tür.

    Ein Bratpfannen-Verkauf-Intermezzo später, gegen halb sieben ist Schluss. Die Zehn-Jahres-Rente hat keiner gewonnen, alle Lose waren Nieten. Das Navigationsgerät ging an jenen Mann, der drei Magnetmatten geordert hat. Zwei Tage später werden die Kitzinger Polizei und die Gemeinde Geiselwind Franks Veranstaltung im Gasthaus beenden. Sie war nicht angemeldet. Die Ordnungshüter nahmen noch weitere Verstöße gegen die Vorschriften für sogenannte Wanderlager zu Protokoll. Im Polizeibericht steht: „Gegen den anwesenden Veranstalter wurde Strafanzeige erstattet, weil er schon mehrfach gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen hat.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden