Dossenheim, idyllisch gelegen am Fuße des Odenwaldes, ist keine großen Kriminalfälle gewohnt. „Sonst ist es eine Sensation, wenn ein Fahrrad geklaut wird, jetzt wird auf einmal geschossen“, sagt ein Ladenbesitzer. Die 12 000-Einwohner-Gemeinde bei Heidelberg ist Schauplatz eines Amoklaufs geworden. Der Fall heizt mitten im Bundestagswahlkampf den alten Streit um Waffenbesitz wieder an: Der Täter war Sportschütze.
Täter schoss auch auf seine Frau
Der 71-jährige Mann rastete am Dienstagabend bei einer Versammlung von Wohnungseigentümern im Nebenraum einer Gaststätte aus. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft fühlte er sich betrogen – es ging um die Nebenkostenabrechnung. Die Stimmung unter den Eigentümern war schon lange schlecht, der Streit ist wohl der Tropfen, der das Fass für den Täter zum Überlaufen brachte: Er wird aus dem Raum geworfen – und kommt mit einer großkalibrigen Waffe zurück. Er hatte sie anscheinend aus seiner Wohnung geholt.
„Ich bring' Euch alle um“, ruft er noch und lädt durch. Zwei Miteigentümer fallen ihm zum Opfer, ein 82-Jähriger und ein 54-Jähriger. Es hätten noch viel mehr sein können: 17 Patronenhülsen findet die Polizei später. Die Frau des Täters kann sich vor seinen Schüssen unter einen Tisch flüchten, doch auch sie wird schwer verletzt. Der 71-Jährige, Vater einer Tochter und Großvater zweier Enkel, hatte mehrere Waffen zu Hause. Die großkalibrige Tatwaffe besaß er laut Polizei seit 1992, ganz legal.
Am Tatabend wechselt er sogar einmal das Magazin. Er ist ein guter Schütze, wie die Auszeichnungen in seiner Wohnung zeigen. Wieso nicht noch mehr Menschen im Kugelhagel starben, ist vielen ein Rätsel. „Ich glaube nicht, dass er zwei speziell töten und die anderen nur anschießen wollte“, sagt der Leiter der Kriminalpolizei Heidelberg, Siegfried Kollmar.
Sportschützen haben in Deutschland schon mehrfach Bluttaten verübt. Die Folge waren stets politische Debatten, manchmal auch schärfere Gesetze: 2002 etwa stieg die Altersgrenze für Kauf und Besitz von Schusswaffen bei Sportschützen von 18 auf 21 Jahre. Dossenheim hat am Morgen danach fast nur ein Thema. Immer wieder kommen Schaulustige zum Tatort, aber auch Menschen, die am Abend die Tat teilweise miterleben mussten.
Waffengesetze verschärfen
Ein älterer Mann erzählt, er habe auf der Gaststätten-Terrasse gesessen, als er etwa zehn bis 15 Schüsse gehört habe. „Wir waren wie verdattert. Danach war es ganz still. Dann sind alle runtergerannt.“ Die Bluttat ruft nicht nur bei den Menschen in Dossenheim Erinnerungen an Winnenden wach, wo ein 17-Jähriger 2009 an seiner ehemaligen Schule und auf der Flucht 15 Menschen und sich selbst erschoss – mit der Waffe des Vaters.
Eine Dossenheimer Passantin sagt, nun müsse endlich etwas geschehen. „Munition und Waffen müssen getrennt gelagert werden, man sieht ja, was sonst passiert.“ Auch das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden pocht einmal mehr auf schärfere Waffengesetze. Es ist wohl nur der erste Tag einer längeren Debatte. Kaum vorstellbar, das Thema im Wahlkampf auszusparen. Der Fall schürt Ängste, die in Deutschland wieder etwas aus dem Blick geraten waren. Eine Dossenheimerin sagt: „Gestern habe ich gedacht, wenn der noch rumläuft und flüchtet, dann kann der bei uns im Garten stehen.“