Blass, zusammengesunken, den Tränen nah: Den beiden Hauptangeklagten im Transrapid-Prozess ist die Last ihrer Schuld deutlich anzusehen. Die beiden Männer, 61 und 52 Jahre alt, hatten am Morgen des 22. September 2006 die Verantwortung für den Transrapid und seine Passagiere auf der Teststrecke im emsländischen Lathen. Einen Augenblick lang waren die Fahrdienstleiter unachtsam – und die Katastrophe geschah: Mit Tempo 170 krachte der Magnetzug in einen vergessenen Werkstattwagen. Die Folge: 23 Tote und elf Verletzte.
Wer trägt die Verantwortung für die Tragödie? Die Justiz beschäftigte sich seit dem Unglück mit dieser Frage. Am Donnerstag zog sie nun endlich einen Schlussstrich. Die beiden Angeklagten sind schuldig, sagt der Vorsitzende Richter Dieter Temming. Aber nicht nur sie. „Technische und organisatorische Besonderheiten der Testanlage haben bei dem Unglück auch eine Rolle gespielt“, stellt der Richter fest. Das Urteil des Gerichts lautet auf eineinhalb Jahre sowie ein Jahr Haft auf Bewährung. Beide Männer müssen außerdem jeweils 4000 Euro an gemeinnützige Einrichtungen zahlen. Bereits 2008 waren zwei frühere Betriebsleiter zu hohen Geldstrafen verurteilt worden.
Scheunentorgroßes Hindernis
Temming schildert als Beispiel, dass ein einfacher Mausklick am Steuerungscomputer das Unglück verhindert hätte. Der Hersteller der Anlage, der TÜV und die niedersächsische Landesverkehrsbehörde hatten diesen Mausklick in der Betriebsgenehmigung verbindlich vorgeschrieben. Die beiden Angeklagten versäumten diesen Bedienschritt. Dennoch sei ihnen deswegen kein Vorwurf zu machen, betont Temming. Denn ihre Vorgesetzten hatten es unterlassen, diesen Mausklick für eine sogenannte Fahrwegsperre verbindlich anzuordnen.
Zuvor hatte Oberstaatsanwalt Hubert Feldkamp auf die Rolle eines weiteren Mitarbeiters hingewiesen. Auch der Zugführer hätte vor dem Losfahren nur einen Blick aus dem Fenster zu werfen brauchen, und er hätte das scheunentorgroße Hindernis in 1,6 Kilometern Entfernung gesehen. „Es war von der Sonne beschienen“, sagt Feldkamp. Der Zugführer habe sich blind auf die Fahrtfreigabe aus dem Leitstand verlassen.
Wenn nur einer der Fahrdienstleiter ein wenig aufmerksamer gewesen wäre, wenn nur der Zugführer von seinem Instrumentenbrett aufgeschaut hätte, wäre das Unglück nicht passiert. Es sei das Unvorstellbare eingetreten, dass in derselben Sekunde drei Menschen denselben Fehler gemacht hätten, sagt Feldkamp. 20 Jahre lang hätten die Vorsichtsregeln auf der Anlage ausgereicht, um Unfälle zu vermeiden.
Tränen und Bitte um Vergebung
Die beiden Männer sind für ihr Leben gezeichnet. Einer hat einen Selbstmordversuch hinter sich, auch der andere gilt als suizidgefährdet, schilderten ihre Anwälte. Ihr Leben ist seit dem Unglück nicht mehr dasselbe. „Ich würde alles tun, um das Geschehene ungeschehen zu machen, aber ich kann es nicht“, sagt einer mit versagender Stimme. Unter Tränen bitten beide um Vergebung und Entschuldigung und räumen alle Vorwürfe ein.
Die Nebenkläger nehmen die Entschuldigungsversuche zur Kenntnis. Er vertrete einen kleinen Jungen, der seinen Vater bei dem Unglück verloren habe, sagt ein Anwalt. „Die Mutter ist noch sehr gezeichnet von dem Ereignis“, betont er. „Aber die Zeit heilt vieles. Und inzwischen gibt es auch einen Ansatz von Verständnis für Sie“, sagt er zu den Angeklagten. Am Schluss akzeptieren alle das Urteil, das damit rechtskräftig ist. Der juristische Schlusspunkt unter die Katastrophe ist gesetzt.